Menden. . Ein drogenabhängiger Mendener spricht darüber, wie er in ein Leben mit der Sucht abrutschte – und was ihm jetzt hilft.

Kein Tag vergeht, an dem ihn sein Schatten nicht verfolgt. Doch es ist kein stummer Schatten. Es ist ein Teufel, sagt er, der ihn dazu überreden will, wieder zur Nadel zu greifen; dem Verlangen nachzugeben, das inzwischen knapp zwei Jahrzehnte sein Leben bestimmt hat. Die Sucht nach Heroin.

Der Teufelskreis

Es ist der Rausch, dem Henry* (Name von der Redaktion geändert) seit fast 20 Jahren immer wieder nachgibt, inzwischen sogar nachgeben muss, weil es nicht mehr anders geht. Der Rausch nach diesem wohlig-warmen Gefühl. „Man kann Probleme und negative Gefühle damit gut beiseite schieben“, sagt der Mittdreißiger. Henry trägt Dreitagebart, eine helle fleckenfreie Jeans und eine dunkelblaue Jacke. Er wirkt freundlich und wortgewandt. Mit den Fingern lässt er seine kabellosen, magnetischen Kopfhörer zusammenklacken.

Angefangen hat alles, als er 14 Jahre alt war. Durch Freunde und Bekannte fängt er an zu kiffen, findet Gefallen daran. Auf Partys kommen sogenannte Benzos (Benzodiazepine, Anm. d. Red.) dazu. Einer Aufgedrehtheit und Unruhe folgt mit Benzos eine gewisse Entspannung. „Wer auf schnellen Sachen wie Ecstasy feiert, braucht was, um wieder runterzukommen“, beschreibt Henry.

Heroin-Abhängigkeit

Wenige Jahre später probiert Henry das erste Mal Heroin. Er raucht es, schnupft es, später spritzt er sich. „Alle sagen immer, es macht sofort abhängig, aber das ist nicht so“, sagt er. Doch es dauert nur wenige Wochen, bis auch er dem Heroin verfallen ist, sagt Henry rückblickend. Eben diesem wohlig-warmen Gefühl, das den Körper durchströmt.

Er lässt seine In-Ear-Kopfhörer zusammenklacken, blickt kurz zu Boden. Auf den Rausch durch das Heroin folgt der erste körperliche Entzug. „Ich konnte nicht schlafen, hatte Rückenschmerzen“, erklärt Henry. Ein Arzt verschreibt zunächst Neuroleptika. Doch kein herkömmliches Medikament hilft. Erst ein Freund bringt ihn auf den Gedanken, dass er das Heroin wohl brauche, um wieder klarzukommen. Der erste Schritt in den Teufelskreis.

Der Kampf

Henry fasst den Plan, zu substituieren. Nach einer abgebrochenen Therapie und einer von mehreren Entgiftungen pendelt er wie viele andere Süchtige nach Fröndenberg. Methadon. Ein Mittel, um die körperlichen Beschwerden zu lindern; nicht aber die psychische Abhängigkeit. Als der Fröndenberger Arzt stirbt, muss Henry ausweichen. Nach Schwerte. „Ich war teilweise vier Stunden unterwegs, um meine Medizin zu holen.“ Methadon ist seine medizinische Fußfessel, sagt er. „Das hab’ ich mir selbst eingebrockt.“

Praxis in der Körnerstraße eröffnet

Sven Naujoks hat sich als neuer Haus- und Substitutionsarzt in Menden niedergelassen.

Der Mediziner hat bereits im Fröndenberger Justizvollzugskrankenhaus und in der JVA Hagen Gefangene im Substitutions-Programm betreut.

Substitutions-Patienten haben in seiner Praxis an der Körnerstraße einen separaten Eingang und werden mit dem Drogenersatzstoff Methadon versorgt. So sollen beide Patientengruppen autark voneinander bedient werden.

Durch das Warten am Bahnhof oder im Praxisumfeld komme man leicht wieder in Kontakt mit der Szene. Beikonsum – also Drogenkonsum zusätzlich zur Methadontherapie – ist zwar verboten, lasse sich aber so kaum vermeiden. Es folgt eine Art On-Off-Beziehung zum Heroin. Entgiftung, Rückfall. Entgiftung, Rückfall. Entgiftung, Rückfall.

In der Entgiftung lebe man wie unter einer Käseglocke, erst nach der Behandlung beginne der wahre Kampf. „Sobald man raus ist, kann man nicht mehr richtig schlafen.“ Zehn Wochen habe er einmal durchgehalten. Dann haben die negativen Gedanken ihn wieder eingeholt. Wie viele andere Süchtige hat auch Henry Freunde an den Rausch, den Teufel, verloren. Die Gedanken daran schmerzen. Die Köpfhörer klacken.

Der Ausweg

„Das ist mein Leben, zum Glück ist der Arzt jetzt hier“, sagt er über Mendens neuen Substitutionsarzt Sven Naujoks. Henry gehe es vor allem darum, zu zeigen, dass die Methadontherapie für Betroffene dringend notwendig ist. Er und andere Süchtige seien ganz und gar nicht arbeitsfaul oder lungern den ganzen Tag herum. Viele waren oder sind berufstätig, brauchen das Methadon aber, um den Tag zu meistern. Er selbst brauche es, um sich um seine Familie kümmern zu können.

Die Zukunft

Sein Ziel ist es clean zu werden, sauber zu sein. Sein Blick schweift zum Fenster hinaus, über die Dächer Mendens. Doch er weiß, wie schwer das Ziel zu erreichen ist. „Ich bleibe süchtig, bis ich sterbe“, sagt Henry. Das sei ihm bewusst. Seine Kinder wolle er vor einem Leben im Rausch schützen. „Keiner will so ein Leben führen, das ist nicht schön.“ Der Mittdreißiger will später einmal wieder – wie früher – normal arbeiten gehen. Ein ganz einfaches Leben eben. Mit dem Teufel auf der einen, dem Engel auf der anderen Schulter. „Spießig ist was Schönes“, sagt Henry und steckt sich die Kopfhörer in die Ohren.

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