Stefan Schulte, Mendens einziger MdB, arbeitet heute als Regionalmanager für Burgwald-Ederbergland (Teil II).
Menden. Der Bart ist ab. In jeder Hinsicht. 1987 Schluss mit der Bundespolitik. Nochmal wollte Stefan Schulte nicht in den Bundestag: „Jetzt sollen mal die anderen ran“, befand er. Den Grünen kehrte er 1988 ganz den Rücken, weil sie ihm nicht mehr ökologisch genug waren, auch wenn er zugibt, dass Realpolitik nicht zulässt, dass alle Wünsche erfüllt werden. Geblieben ist das Gefühl einer „wohlwollenden kritischen Distanz“ zu seiner alten Partei und die Gewissheit, der erste und bisher einzige Mendener zu sein, der je den Sprung in den Deutschen Bundestag geschafft hat (1983-87/Rotationsprinzip). Noch vor wenigen Jahren sagte er einer Zeitung: „Ich habe eine so grüne Seele, dass ich heute Probleme habe, die Grünen zu wählen“.
Nach Bonner Zeit wieder ins Biologie-Studium
Nach der Politik war wieder Studium angesagt, das der Jüngling von damals 26 Jahren 1983 zu einem nicht gelinden Schrecken seiner Eltern und fünf Schwestern unterbrach, als die damalige Bundeshauptstadt Bonn ihn rief. Damals begründete er das Studium-Werfen mit dem schon glühenden Hinweis: „Der Einsatz für eine lebenswerte Umwelt ist mir wichtiger als das berufliche Fortkommen“.
1987 dachte er wohl nicht mehr so absolut. Er orientierte sich neu, nahm sein Biologie-Studium an der Uni Göttingen wieder auf, wurde 1991 fertig und sagte rückblickend auf seine Bonner Zeit: „Sie war fruchtbar und ich hab sie nie bereut. Wir haben einiges bewegt.“ Was ihn aber nicht daran hinderte, 1991 auch den letzten Überrest dieser wilden Grünen-Zeit zu entfernen: den Vollbart.
Schröders Blicke wollten ihn töten
Wer jemals einen Rauschebart entfernt hat, der kennt die Schmerzen, die beim Abrasieren damit verbunden sind. „Meine Haut hat drei Tage so gebrannt, dass ich einen Kerzenschein aus drei Metern Entfernung nicht ausgehalten habe“, bekannte er.
Aber dieser Bart war ja Teil seiner Bonner Jahre und immer dabei, wenn was los war. Und wer kann schon von sich behaupten, mit den Politgrößen Otto Schily Schach und mit Joschka Fischer Fußball gespielt zu haben? Stefan Schulte, der Junge aus dem Obsthof, kann es. Aber damals waren Schily und Fischer noch keine Größen. Mit Fischer gründete er den Grünen-Fußball-Club die „Grüne Tulpe”. Am Abend nach einer Klausur-Tagung entdeckten Otto Schily und Stefan Schulte ein Schachspiel und maßen ihre Kräfte. 1:1 endete die Begegnung.
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Im „Provinz“, einer links-alternativen Szene-Kneipe und Treffpunkt der Jusos und der jungen Grünen-Abgeordneten, wäre Stefan Schulte fast von Blicken getötet worden. So fragte er Joschka Fischer an der Theke nach seinem Gesprächspartner. Stefan kannte den jungen Mann nicht, weil er viel arbeitete und nicht so oft ausging. Es war Gerhard Schröder, der Juso-Vorsitzende, der ihm zwar dem Namen nach ein Begriff war aber nicht vom Aussehen. „Schröder hat mich nur böse angeschaut“, lacht Schulte heute. Das „Provinz“ an der Willy-Brandt-Allee wurde 1988 abgerissen.
Otto Schily empfahl ihm eine neue Jacke
In den ersten Jahren seiner Bonner Zeit wohnte Stefan Schulte bei seiner Schwester Brigitte und seinem Schwager Helmut Stahl. Das gab Diskussionen bis in die Nächte, denn Helmut Stahl war CDU-Politiker, Sekretär von Heiner Geißler, gehörte 10 Jahre dem NRW-Landtag an und war später CDU-Fraktionsvorsitzender.
An Tipps hat es Stefan Schulte nicht gemangelt. Als er ständig seine alte Adidas-Regenjacke trug, riet ihm Otto Schily einmal im Aufzug, sich doch mal eine neue Jacke anzuziehen. Der frühere CDU-Abgeordnete Alfred Dregger rief ihm sogar zu: „Machen Sie erst mal Ihr Studium fertig.“
Schulte ist der grünen Zielsetzung in seinen Berufen treu geblieben, wenn auch ohne politisches Diktat. „Für die Menschen das machen, was für sie vernünftig ist“, lautet auch heute seine Devise. Er ist seit 1995 Geschäftsführer bzw. Regionalmanager der Region Burgwald-Ederbergland e.V., eine, wie er schwärmt, „wunderschöne Region“ am Rande des Nationalparks Kellerwald.
Als Diplombiologe leitete und organisierte er nach dem Studium Bildungsurlaube im Allgäu, arbeitete danach als selbstständiger Gutachter. In den frühen 1990er Jahren verfasste er Gutachten unter anderem zu „Waldferien im Kellerwald“ und „Umweltfreundlicher Ferienort Frankenau“. Bis er 1995 dem Ruf des Vereins Burgwald-Ederbergland folgte. Mit vielen Projekten, so schrieb eine Zeitung, habe Stefan Schulte „unabhängig und überparteilich“ die Region vorangebracht.
Nachhaltig nutzen Gemeinsam schützen
Diese Region ist ein Zusammenschluss von 11 Gemeinden des Burgwaldes mit den vier Gemeinden des Oberen Edertals (878 qkm mit rund 94 000 Bewohnern). Der Verein mit Stefan Schulte als Manager will diese Region nachhaltig nach vorn bringen. Offenbar schon mit Erfolg. Die EU und das Land Hessen sind aufmerksame Wegbegleiter. Für die Strategien, die Stefan Schulte entwickelt hat, standen dem Verein von 2007 bis 2013 Fördergelder von Land Hessen und EU in Höhe von 1,7 Mio Euro zur Verfügung, seit 2014 für die nächsten sechs Jahre weitere 2,1 Mio Euro.
Für diese Region zwischen Marburg und dem Sauerland nennt Schulte das Leitbild „nachhaltig nutzen, gemeinsam schützen“. Drei eng zusammengehörende Bereiche sind dabei für ihn von Bedeutung: Energie und Natur, Leben und Arbeit, Tourismus und Regionkultur.
Als Anschieber versteht er sich. So hat er zum Beispiel die Regionalschau mit über 200 Ausstellern ins Leben gerufen, die großen Anklang findet. „Eines meiner Kinder“, vermerkt er stolz.
Schultes Arbeit hat dazu geführt, dass die Region Burgwald-Ederbergland in Hessen bereits zum vierten Mal aus dem Programm LEADER finanziell gefördert wird. LEADER ist die französische Bezeichnung für „Liaison entre les actions de developpement de reconomie rurale“. Im schlichten Deutsch ist das ein Europäisches Förderprogramm zur Verbesserung der Struktur im ländlichen Raum, an dem sich seit 1995 auch das Land Hessen beteiligt.
Bierzelt-Entscheidung unter 48 Bewerbern
Eine besondere Auszeichnung erhielt Stefan Schulte 2009, als er „Manager der Region“ wurde. „Er ist die personifizierte Region Burgwald-Ederbergland“, schrieb die Waldeckische Zeitung. „Die Entwicklung der Region unter Beachtung ökologischer Gesichtspunkte, dafür tritt der diplomierte Biologe ein.“
Zur achten Burgwald-Messe unter Schultes Regie waren 10.000 Besucher gekommen. Thema in Frankenberg war der Klimaschutz. Treu seinen Vorstellungen setzte Schulte Reize für die Einhaltung von Umweltfreundlichkeit. Damit eine CO2-neutrale Anreise belohnt wurde, hatte jeder, der mit dem Fahrrad kam, freien Eintritt: Auch wer mit der Bahn anreiste, erhielt Freikarten.
Die erste Burgwaldmesse 1995 war für Stefan Schulte von besonderer Bedeutung: Dort hat er sich im Bierzelt dem damaligen Vorsitzenden Adam Daume vorgestellt. Unter 48 Bewerbern entschied sich die Entwicklungsgruppe Burgwald, der sich 2008 die Kommunen des Ederberglandes anschlossen, für den gebürtigen Mendener.
„Burn out“ war ein gefährlicher Begleiter
Die Mitgliederversammlung des Vereins wählt alle zwei Jahre einen 13-köpfigen Vorstand. Etliche Bürgermeister der Gemeinden sind darin vertreten, Aktueller Vorsitzender ist Rüdiger Heß, Bürgermeister von Frankenberg.
Was Stefan Schulte tut, ist mit so viel Arbeit verbunden, dass er schon drei Mal unter einem Burn-Out gelitten hat. Einmal hat er sich deshalb als krank abmelden müssen. Diese Erfahrungen mit dem Völlig-erschöpft-sein und Nicht-mehr-schlafen-können haben ihn vorsichtig gemacht. Erstmals seit Jahren hat er sich im Sommer 2008 einen Badeurlaub gegönnt. Drei Wochen in Südfrankreich am Atlantik. „Ich achte jetzt mehr auf mich“, verspricht er. Zu mehr Radfahren und Fotografieren aber dürfte die Zeit kaum reichen. Zumindest kam der Sohn des verstorbenen Konrektors Fritz Schulte immer wieder mal nach Menden, um seine Mutter Marianne zu besuchen. Sie ist 2013 gestorben.
Seit Mitte Mai eine Patchwork-Familie
Stefan Schulte wohnt in Marburg, hat zwei leibliche Kinder. Tochter Alina ist 19 und hat gerade ihr Abitur gemacht, Sohn Christopher ist 32 und Lehrer. Seit Mitte Mai 2017 hat Stefan Schulte eine Patchwork-Familie. Er hat noch einmal geheiratet. Zu seinen zwei eigenen Kindern hat seine Frau Sabine eigene drei Kinder im Alter von 16, 18 und 23 Jahren mitgebracht. „Wir alle verstehen uns bestens“, freut er sich.