Bühren. „Cold case“: Auf einer Wiese im Drolshagener Dörfchen Bühren wurde vor 40 Jahren ein Leichnam gefunden. Was weiß man über den Unbekannten?
Seit 40 Jahren sorgt ein Kriminalfall aus dem Kreis Olpe für Rätsel. Es ist nach dem toten Säugling, der 1980 an der Autobahn bei Ottfingen gefunden wurde, der zweite „Cold case“, den wir in Erinnerung rufen. Es war am 6. November 1983, als Spaziergänger auf dem abseits aller Siedlungen gelegenen Festplatz des St.-Georg-Reiter- und Heimatvereins Bühren im Drolshagener Land einen männlichen Leichnam fanden. Der Tote, etwa 1,75 Meter groß, war mit Benzin übergossen und verbrannt worden. Die Obduktion des Leichnams ergab, dass der Mann bereits tot gewesen war, als er zum späteren Fundort transportiert wurde. Das 40 bis 50 Jahre alte Verbrechensopfer war schlank und trug im Oberkiefer eine Zahnprothese. Äußere Verletzungen ließen sich nicht feststellen. Die Untersuchungen der Forensiker ergaben, dass der Mann lediglich Unterwäsche trug, als er verbrannt wurde.
Zeugen hatten am 5. November, dem Allerheiligentag, zwischen 19 und 20 Uhr ein grelles Feuer auf dem Festplatz gesehen. Der Fahrer eines Ford Granada mit Gummersbacher Kennzeichen hatte einem Bührener dieses Feuer gemeldet. Behälter, in denen das Benzin herangeschafft worden war, fanden sich nicht. Polizei und Staatsanwaltschaft ermittelten um die Jahreswende von 1983 bis 1984 äußerst intensiv, aber alle Bemühungen, auch nur die Identität des Toten geschweige denn die Täter zu ermitteln, verliefen im Sande. Alle Spuren führten ins Leere.
Cold Case – Mord verjährt nie
Einer der englischen Begriffe, die im Deutschen keine echte Entsprechung finden, ist „cold case“. Wörtlich „kalter Fall“, ist damit ein Kriminaldelikt gemeint, das nicht mehr aktiv verfolgt wird, aber juristisch nicht abgeschlossen ist. Dazu gehören alle Tötungsdelikte, die seit 1979 aufgetreten sind und nicht geklärt wurden – denn in besagtem Jahr änderte der deutsche Bundestag das entsprechende Gesetz und sorgte so dafür, dass ab sofort ein Mord nicht mehr verjähren kann. Bis dahin galt: War ein Tötungsdelikt nach 20 Jahren nicht geklärt, wurden die Unterlagen geschlossen. Seitdem heißt es: Mord verjährt nie.
Was das praktisch bedeutet, erklärt auf Anfrage unserer Redaktion Oberstaatsanwalt Patrick Baron von Grotthuss, Pressesprecher der auch für den Kreis Olpe zuständigen Staatsanwaltschaft Siegen. Er erklärt, dass alle offenen Akten in Tötungsdelikten einmal im Jahr geöffnet werden. „Ein Kollege oder eine Kollegin geht die Akte durch und prüft, ob es mögliche neue Ermittlungsansätze gibt“, so Baron von Grotthuss. Dies komme nicht oft vor, aber immer wieder, etwa, wenn durch technischen Fortschritt DNS-Spuren an Asservaten festgestellt werden können, was zur Tatzeit noch nicht möglich war. Bis 100 Jahre reicht dieser Aktenbestand zurück, „danach ist man ja sicher, dass der oder die Täter nicht mehr leben“. Und ergeben sich, etwa durch ein Testament, ein Geständnis oder Ergebnisse anderer Fälle, neue Ansätze, dann wird die jeweilige Akte ohnehin sofort hervorgeholt, um wieder zu ermitteln.
Seinerzeit kümmerte sich die Drolshagener Pfarrgemeinde um eine würdige letzte Ruhestätte: Das Mordopfer wurde unter großer Anteilnahme der Bevölkerung auf dem Drolshagener Friedhof beigesetzt. Eine Todesanzeige in der WESTFALENPOST gab bekannt: „Da in der Pfarrgemeinde St. Clemens das Begräbnis einen festen Platz im Leben der Pfarrei hat, nehmen wir auch diesen unbekannten Toten in die bergende und fürbittende Gemeinschaft der Pfarrfamilie auf.“ Am 15. November 1983 wurde der Mann auf dem Drolshagener Friedhof beigesetzt. Bis zum Ablauf der Ruhefrist erinnerte ein Grabstein an den „unbekannten Diener“, dessen Identität wohl nur noch durch Zufall oder ein Geständnis des Täters geklärt werden könnte.
Die Akte bei der Staatsanwaltschaft Siegen wurde 2022 letztmals aktualisiert. Oberstaatsanwalt Patrick Baron von Grotthuss, Pressesprecher der Behörde: „Der Fall ist im Lauf der Jahre mehrfach auch bei der Fernsehsendung ,Aktenzeichen XY ungelöst‘ eingereicht worden, es wurde aber nie ausgestrahlt.“ Der Schädel des Toten wurde seinerzeit zur Rechtsmedizin nach Kiel überstellt. Dort versuchten die Fachleute, durch Modellieren das Gesicht des unbekannten Toten wiederherzustellen – vergeblich. „Die Akte ist digitalisiert und liegt beim Polizeipräsidium Hagen samt Meldebogen beim Landeskriminalamt, weil der Fall als einer der ,Cold Cases‘ eingestuft wurde, die man noch mal nachermitteln sollte“, so Baron von Grotthuss. Allerdings habe die erneute Ermittlung ergeben, dass seinerzeit keine Spuren genommen wurden, die neue Ermittlungsansätze ermöglichen würden. „Man hat keine Schuss- oder Stichverletzungen festgestellt, lediglich Anhaltspunkte, dass der Mann möglicherweise stranguliert worden ist. Auch fanden sich Spuren von Schlafmittel in seinem Körper, möglicherweise ist er an einer Überdosis davon verstorben.“ Genaueres habe sich aber wegen des Verbrennens des Körpers nicht ermitteln lassen. Oberstaatsanwalt von Grotthuss: „Es wird also einer der Fälle bleiben, bei denen es höchstens sein kann, dass ,Kommissar Zufall‘ irgendwann ins Spiel kommt und doch noch für eine Klärung sorgt.“