Drolshagen. Wolfgang Weiß aus Drolshagen war in Jerusalem, als die Hamas losschlug. Er schildert seine Erlebnisse bis zur Heimreise per Sonderflug.

Wolfgang Weiß ist einer der drei Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Olpe, die auch Wenden und Drolshagen umfasst. In den vergangenen Wochen war er jedoch nicht vor Ort, sondern fast 4000 Kilometer von seinem Dienstort Drolshagen entfernt: Er erlebte die Folgen des Angriffs der Hamas-Terroristen in Israel mit. Per Sonderflug gelang ihm unter schwierigen Umständen die Heimreise. Im Interview hat er uns seine Erlebnisse geschildert.

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Warum waren Sie in Israel?

Ich hatte ein dreimonatiges Studiensemester angetreten. Wer sich tief mit dem christlichen Glauben befassen will, der kommt nicht umhin, sich auch mit dem Judentum zu befassen. Unser christlicher Glaube wurzelt tief im Judentum. Seit 50 Jahren gibt es von der evangelischen Kirche das Programm „Studium in Israel“, und da habe ich ein Stipendium bekommen mit dem Ziel, den jüdischen Glauben besser kennenzulernen.

Wie haben Sie den Angriff auf Israel erlebt?

Unsere Studienleitung war sehr eng mit der deutschen Botschaft verknüpft, die haben dort ständig die Krisenherde im Blick. Wir waren schon recht früh vor dem Angriff gewarnt worden, dass da ein größerer Konflikt auf uns zukommt. Ein paar Stunden später gingen dann die Sirenen. Und das heißt für Jerusalem: Man hat 90 Sekunden Zeit, einen Schutzraum aufzusuchen, falls die Raketen nicht rechtzeitig vom Himmel geholt werden können.

Wo haben Sie während Ihres Studienaufenthaltes gewohnt?

Wirklich mitten im Geschehen, vielleicht 500 Meter vom Amtssitz von Ministerpräsident Netanjahu in Jerusalem entfernt.

Wann war Ihnen klar, dass Sie aus Israel ausreisen mussten?

Wir haben in der ganzen Studiengruppe die Lage erst nicht so dramatisch gesehen wie sie war. Meine Frau war gerade angereist, sie wollte acht Tage bleiben, um mich zu besuchen. Dann wurden die Rückflüge storniert. Als dann wieder Flüge angeboten wurden, war der Andrang unbeschreiblich. Wir haben dreieinhalb Stunden in einer Warteschlange verbracht, und das, obwohl wirklich alle Schalter offen waren und die Leute am Flughafen alles taten, um die Passagiere schnell abzufertigen. Aber alle Flüge waren überbucht, das heißt: Ein Ticket zu besitzen war keine Garantie, auch wirklich fliegen zu können. Für mich war da aber noch nicht klar, dass ich auch rausmuss. Wir hatten alle eine App des israelischen Staates installiert, auf der jeder einzelne Raketenangriff alarmiert und angezeigt wird, und da hatte sich bislang alles auf die Küste beschränkt. Ich hatte bis dahin nur zweimal selbst Alarm erlebt und fühlte mich noch relativ sicher. Als ich vom Abflug meiner Frau vom Flughafen zur Unterkunft zurückkam, war mir eigentlich klar: Ich bleibe erstmal. Und das ging der Mehrheit der Gruppe so. Dann wurden wir aber als Studiengruppe darüber informiert, dass alle, wirklich alle in Israel tätigen deutschen Hilfsorganisationen ihre Leute nach Hause holten, und innerhalb der Gruppe kippte die Stimmung innerhalb von fünf Minuten.

Was hätte es bedeutet, zu bleiben?

Wir wohnten nicht alle an einem Ort, sondern in der Stadt verteilt. Das heißt, wir mussten fürs Studium und auch schon, um uns zu treffen, raus auf die Straße. Und das wurde einfach zu gefährlich. Ich hätte also praktisch auf meinem Zimmer gesessen. Dann kam auch schon die erste Nachricht von der Botschaft mit einer Telefonnummer bezüglich der ersten Flugmöglichkeiten. Einige bekamen sofort eine Rückmeldung, ich gehörte zu denen, die noch keine erhielten. Wir wurden dann aber kurze Zeit später von der Lufthansa angerufen, die alle Daten abfragten. Ich habe den Flug auch sofort bezahlt. Am nächsten Morgen sollte die Maschine fliegen. Die anderen, die zuerst eine Rückmeldung bekommen hatten, sind einfach mitgefahren, auch ohne Zusage. Da standen dann vier Maschinen: zwei von der Lufthansa und zwei von der deutschen Luftwaffe, mit denen Außenministerin Baerbock nach Israel gekommen war. Die wurden für die Rückreise von deutschen Staatsbürgern genutzt. Ich fand Platz in einer Lufthansa-Maschine, andere aus meiner Studiengruppe waren an Bord mit Frau Baerbock.

Man hörte viele Beschwerden von Reisenden über Probleme bei ihrer Rückreise. Wie haben Sie das empfunden?

Alle haben sich ganz toll ‘reingehängt, sowohl die Leute von der Botschaft als auch die vom Flugpersonal. Alle hatten sich freiwillig für den Flug gemeldet, weil sie Menschen in Not helfen wollten. Auch nachdem wir gelandet waren, kümmerten sich die Leute an den Flughäfen ganz engagiert darum, dass wir den richtigen Zug in Richtung Heimat nehmen oder sonstwie heimreisen konnten. Ich persönlich kann die Kritik am Auswärtigen Amt nicht nachvollziehen. Wir als ganze Studiengruppe fühlten uns vom Anfang bis zur Rückkehr bestens begleitet.

Wann wurde Ihnen erstmals klar, wie ernst die Lage ist?

Als die Flüge gestrichen wurden, hieß es erst, wir könnten per Bus über Jordanien ausreisen. Der Mann unserer Reiseleitung übersetzte und bekam mit, dass wir uns alle in Seelenruhe auf diese Busreise vorbereiteten. Da sagte er: „Es ist Krieg, ob dieser Bus je fährt, ist nicht klar.“

War das Ihr erster Aufenthalt in Israel?

Nein, mein dritter. Ich war zweimal als Reisender dort, und Land und Leute haben mich sofort fasziniert. Ich wollte mehr als nur Bilder vor Augen zu haben und habe mich deshalb um ein Stipendium im Studienprogramm beworben.

Gab es einen Grund, dies genau jetzt zu tun?

Ja: Die evangelische Kirchengemeinde Olpe steht vor einem personellen Neuanfang. Meine beiden Amtsbrüder stehen beide recht kurz vor dem Ruhestand, und danach wird es nur noch zwei statt drei Pfarrstellen geben. Ich glaube, es ist besser, wenn das mit einem kompletten Neustart vollzogen wird und nicht einer aus der alten Riege weitermacht. Daher werde ich Ende des Jahres meinen Abschied aus der Kirchengemeinde Olpe feiern und eine neue Stelle im Münsterland antreten.

Wie geht Ihr Studienseminar weiter?

Es gibt in Heidelberg und Berlin Studiengänge, die sich anbieten würden und zum Thema passen. Aber ich nutzte diese Woche erstmal zum Durchatmen, und dann sehe ich weiter.

Wolfgang Weiß (59 Jahre) ist seit 21 Jahren Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Olpe und betreut den Pfarrbezirk Drolshagen, der auch Randbereiche der Stadt Olpe umfasst. Er wurde in Münster geboren und hat im Münsterland seine Vikarszeit verbracht. Er ist verheiratet und hat eine Tochter. Wenn ihm sein Beruf Zeit lässt, liest er gern und viel.