Lennestadt. Energieberater Martin Rabe hat sich den Energiebedarf der Stadt genauer angeschaut und kommt zu verblüffenden Ergebnissen.

Die Energiewende ist geschafft, wenn wir unseren Energieverbrauch autark durch erneuerbare Quellen vor Ort decken können und damit unabhängig von teuren Öl- und Gasimporten sind. Viele sehen diesen Tag irgendwann in der Zukunft. Die Stadt Lennestadt Lennestadt könnte schon heute rein rechnerisch ohne Öl, Kohle und Gas auskommen, um die Energieversorgung zu sichern. Das hat Lennestadts früherer Klimamanager Martin Rabe ausgerechnet.

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Zum Abschied von Lennestadt hat der Energieberater und Umweltpädagoge eine interessante Studie hinterlassen, wo die Stadt Lennestadt, seit 2018 immerhin zertifizierte Energie- und Klimaschutzkommune, in Sachen Energieeffizienz- und verbräuche steht, oder anders gesagt: Lennestadt ohne Gas und Öl, geht das? Das Ergebnis hat ihn selbst überrascht:

„Lennestadt ist ungefähr zu 80 Prozent abhängig von Gas und Öl, so wie die meisten Städte in Deutschland. Industrie und Handel, dazu alle Heizungen und Fahrzeuge in Lennestadt brauchen derzeit noch sehr große Mengen an Gas und Öl. Kann die große Herausforderung überhaupt gelingen, den gesamten Jahresenergie-Bedarf selbst zu produzieren? Und das innerhalb der eigenen Stadtgrenzen mit Erneuerbaren Energien in naher Zukunft?“, diese Fragen hatte sich Martin Rabe gestellt. „An den Berechnungen habe ich wochenlang immer wieder mal dran gesessen. Zu Beginn war mir der Ausgang der Berechnungen nicht klar“, sagt Rabe, der die Stadt an der Lenne Ende Juni auf eigenen Wunsch verlassen hat, um sich einer neuen Herausforderung zu stellen.

Wer rechnen will, der benötigt Daten. Und diese sind für Martin Rabe quasi kraft seines Amtes Tagesgeschäft. Doch im Grunde kann sie jeder Interessierte im Klimaschutzkonzept der Stadt Lennestadt von 2017 nachlesen, das auf der Homepage der Stadt hinterlegt ist. Dort stehen die Verbrauchswerte der Stadt, die sich seit 2017 nur geringfügig verändert haben. Der Strom-Verbrauch pro Jahr liegt bei ungefähr 151 Gigawattstunden (GWh), der Wärme-Verbrauch pro Jahr bei 421 GWh und der Verbrauch durch den Verkehr bei 231 GWh. Übrigens: 1 Gigawattstunde sind 1.000.000 Kilowattstunden.

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Alle Jahresverbräuche von Strom, Wärme und Verkehr addiert, ergeben zusammen einen gesamten Jahres-Energieverbrauch in Höhe von 803 Gigawattstunden. Davon sind bislang aber nur ungefähr 20 Prozent, also 160 GWh, aus Sonne, Wind und Biomasse pro Jahr hervorgegangen. „Wie die Sonne auf dem eigenen Hausdach genutzt werden kann, zeigt das Solardach-Kataster der Stadt Lennestadt. Viele Bürgerinnen und Bürger nutzen das Werkzeug im Internet als Einstieg zur Planung einer eigenen Photovoltaik- oder Solarwärme-Anlage. Alle für Solarstrom geeigneten Gebäudedächer in Lennestadt könnten pro Jahr allein ungefähr 160 Gigawattstunden Solarstrom liefern, das ist allein schon rechnerisch mehr als der derzeitige Jahresstromverbrauch in Lennestadt“, so Martin Rabe.

Auf dieser Wiese an der Habuche in Grevenbrück soll eine Freiflächen-Photovoltaikanlage entstehen.  
Auf dieser Wiese an der Habuche in Grevenbrück soll eine Freiflächen-Photovoltaikanlage entstehen.   © Privat | Privat

Zum Solarstrom vom Dach käme zusätzlich noch der Solarstrom der Photovoltaik-Anlagen auf den Freiflächen im Außengelände hinzu. „Würden für diese sogenannten PV-Freiflächen-Anlagen 0,5 Prozent der Gesamtfläche der Stadt Lennestadt zur Verfügung gestellt werden, könnten damit ca. 270 GWh Solarstrom zusätzlich im Jahr erzeugt werden. Rechnerisch könnte damit allein der gesamte Verkehr in Lennestadt elektrisch betrieben werden. Die mögliche Jahres-Solarstrom-Ernte aus Dach- und Freiflächen-Anlagen beträgt in Summe 430 Gigawattstunden“, so Rabe.

Zur Nutzung der Sonnenergie kommt als zweite regenerative Energiequelle noch die Windkraft hinzu. Derzeit sind in Lennestadt 17 Windkraftanlagen in Planung, zusammen mit den bereits fünf vorhandenen ist ein Jahres-Windstromertrag von ungefähr 244 GWh zu erwarten. Und auch das neu errichtete Pelletwerk der Firma Josef Schmelter GmbH in Lennestadt-Oedingen hat Rabe nicht vergessen, es produziert durch die Pellet-Jahresproduktion ca. 158 GWh erneuerbare Wärme.

Klimamanager Martin Rabe hat alle beschriebenen Jahresenergien aus Sonne, Wind und Biomasse zu den 20 Prozent schon vorhandener Erneuerbaren Energien in Lennestadt addiert. Daraus ergibt sich ein möglicher Jahresenergie-Ertrag aus Erneuerbaren Energien von 992 GWh, das sind 189 GWh mehr als der Lennestädter Jahresenergie-Verbrauch von 803 GWh.

„Diese zugegeben einfache Überschlagsrechnung zeigt, dass Lennestadt in Zukunft rechnerisch ohne Gas und Öl auskommen könnte. Es geht jetzt um die Umsetzung der Energiewende, wobei die großen Hebel Windkraft, Photovoltaik, Biomasse und Energiespeicherung sind. Traditionell werden die Sektoren der Energiewirtschaft Elektrizität, Wärmeversorgung, Verkehr und Industrie weitgehend unabhängig voneinander betrachtet. Sektorenkopplung bedeutet die Vernetzung der Sektoren miteinander. Erneuerbare Energien werden dann nicht nur zur Stromerzeugung, sondern auch in den Sektoren Wärme, Gas sowie Mobilität und Industrie nutzbar gemacht.“

Theoretische Rechnung

Natürlich ist dies nur eine theoretische Rechnung. Niemals werden ausnahmslos alle für Solarstrom geeigneten Gebäudedächer in Lennestadt mit PV-Anlagen bestückt werden. Andererseits gehen die Experten von infas enermetric in einem Klimaschutzkonzept in einem Szenario davon aus, dass durch verschiedene Faktoren, unter anderem Effizienzsteigerungen durch Gebäudesanierungen, staatliche Marktanreizprogramme, mehr E-Mobilität, verändertes Nutzerverhalten etc. der Energiedurst bis 2030 um zehn und bis 2050 bundesweit um 29 Prozent sinken wird, ausgehend von 2015. Die Stadt Lennestadt selbst hat sich das Ziel gesetzt, den Energiebedarf bis 2050 um 40 Prozent zu senken. Umweltpädagoge Rabe begrüßt das, „denn die beste Kilowattstunde ist die, die nicht mehr benötigt wird.“