Bethlehem/Heid. Wolfgang und Brigitte Engel adoptierten die heute 43-Jährige aus einem SOS -Kinderdorf. Jetzt kehrt sie erstmals zurück nach Bethlehem.
Ihre biologischen Eltern kennt sie nicht. Und überhaupt weiß sie wenig über ihre Herkunft. Nur, dass sie arabischer Abstammung ist und als Findelkind ihre ersten Jahre in einem SOS-Kinderdorf in Bethlehem gelebt hat. Als sie drei Jahre alt war, wurde sie von Wolfgang und Brigitte Engel aus Bebbingen adoptiert. Jetzt, nach 40 Jahren, reist Hanan Engel – heute mit Nachnamen Müller – zum ersten Mal zurück zu ihren Wurzeln nach Bethlehem.
Wolfgang Engel kann sich noch gut erinnern. An den April 1983, als er sich auf nach Bethlehem machte, um Hanan abzuholen. Vorangegangen war ein langes, viele Monate dauerndes Prozedere. Denn die kleine Hanan hatte keine Papiere. „Sie war das einzige christliche Kind unter den sonst ausnahmslos muslimischen Kindern in dem SOS- Kinderdorf und musste raus. Der Kontakt kam über einen Geistlichen aus Jordanien, der in Jerusalem studiert hatte und dann im Siegerland wirkte“, erzählt er.
Mann und zwei Kinder
Man kann es sich heute kaum noch vorstellen: eine Welt ohne digitale Medien, ohne ständigen Kontakt, ohne Möglichkeiten, sich jederzeit kurzzuschließen. Vor 40 Jahren aber war das so. Und es war die Zeit des ersten Libanonkrieges. „Es war und ist eine durch anhaltende Gewalt gekennzeichnete Region. Ich weiß noch, als ich endlich ein Hotel gefunden hatte und nach Hause telefonieren konnte, damit alle beruhigt waren“, so Wolfgang Engel. An was er sich aber ganz besonders erinnert: „Vor meiner Ausreise mit Hanan hat mir der Gouverneur einen Zettel gegeben, darauf ein kurzer Text mit arabischer Schrift. Ich weiß nicht, was darauf geschrieben stand. Ich weiß aber, dass genau dieser Zettel letztendlich der Passierschein für Hanan nach Deutschland war.“
Hanan ist heute 43 Jahre, lebt zusammen mit ihrem Mann Detlev in Heid und hat zwei erwachsene Kinder. „Ich hatte eine sehr glückliche Kindheit. Dafür bin ich sehr dankbar. Der 21. März 1983, der Tag, an dem ich nach Bebbingen kam, ist mir sehr wichtig.“ Immer schon wollte sie in das Land, in dem ihre Wurzeln liegen. Eine solche Reise war stets ein Punkt auf ihrer persönlichen Bucket List, der Liste mit Dingen, die man im Leben unbedingt tun möchte. „In der Schul- und Ausbildungszeit fehlte das Geld. Dann waren die Kinder klein. Dann war da die Landwirtschaft. Und immer im Hinterkopf die desolate Situation in der Region. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen. Denn der Gedanke lässt mich nicht los. Ich freue mich darauf, das Land, die Menschen und ihre Kulturen kennenzulernen.“
Eisstand bei der Kunsttour
Wolfgang Engel und seine Tochter Hanan haben sich einer Reisegruppe angeschlossen. Im November geht es los. Zwölf Tage werden sie von Ort zu Ort reisen. Mit der Agentur haben sie vereinbart, sich zwei Tage ausklinken zu können. Um das SOS-Kinderdorf zu besuchen, in dem Hanan ihre ersten Lebensjahre verbracht hat. Gerne würde sie auch mehr über ihre Herkunft erfahren. Ein schwieriges Unterfangen, das kaum Aussicht auf jedweden Erfolg hat. Denn oft sind es junge oder vergewaltigte Frauen, die ihre Kinder anonym abgeben. Zwei große Narben hat sie am Körper. Niemand weiß, woher und warum. „In der ersten Zeit, als Hanan bei uns war, ist sie bei jedem Flugzeug, das über Bebbingen flog, unter einen Stuhl gekrochen“, erzählt Wolfgang Engel.
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Das SOS-Kinderdorf in Bethlehem möchte Hanan nicht mit leeren Händen besuchen. Im Rahmen der bekannten „Heider Kunsttour“, die am ersten Sonntag im August stattfindet, wird sie mit Unterstützung der Spendengruppe Heid einen Eisstand betreiben. „Das Eis ist echtes Hofeis mit frischer Kuhmilch aus Weidehaltung vom Bauernhof Wingenbach im Bergischen Land“, so Hanan, der – als Kind vom Biodorf Bebbingen – Nachhaltigkeit wichtig ist. 1000 Kugeln will Hanan am Kuchenstand der Heider Frauen verkaufen. „Die Unterstützung in Heid ist einfach klasse. Auch darüber bin ich sehr glücklich.“