Siegen/Olpe. Ein 52-jähriger Mann aus Olpe muss sich wegen zahlreicher Delikte vor Gericht verantworten. Jetzt hat der Zeugen-Marathon begonnen.

Ist der 52-jährige Angeklagte eher eine Art aggressiver Eulenspiegel, der nur seinen Mitbürgern unentwegt auf die Nerven geht? Ist er ein gewiefter, aber doch überwiegend harmloser Bürgerschreck? Oder am Ende doch die „tickende Zeitbombe“, die im Falle des völligen Kontrollverlustes eine Gefahr für die Gesellschaft darstellt? Oder irgendetwas dazwischen? Fragen, die die Erste Große Strafkammer des Landgerichts Siegen bis zum 15. August beantworten muss. Denn bis dahin steht ein 52-jähriger Angeklagter vor Gericht, der seit über 40 Jahren in Olpe lebt und sich mit einer ellenlangen Liste von Anklagevorwürfen konfrontiert sieht.

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Türsteher im Blickpunkt

Nach der Prozesseröffnung am 4. Juli startete das Gericht an diesem Montag mit dem notwendigen Zeugen-Marathon. Neben Bedrohungen, Beleidigungen und einer Sachbeschädigung standen dabei Vorfälle im Mittelpunkt, die sich Anfang Juli 2018 vor der Olper Gaststätte Zur Grotte abspielten. Dort kam es nach Aussage zweier Türsteher zu handfesten Auseinandersetzungen mit dem Angeklagten. Ein heute 62-Jähriger, der als Türsteher in der Grotte arbeitete, berichtete ausführlich, was sich in seiner Erinnerung abgespielt habe: „Er fuhr mit seinem Fahrrad in unserem Eingangsbereich in eine Gruppe von Mädchen, und ich sagte: ,Was soll das’?“ Das habe gereicht, um die Situation eskalieren zu lassen. Der Angeklagte habe sein Fahrrad wütend zur Seite geworfen, sich sein Hemd vom Leib gerissen und sei mit erhobenen Fäusten auf ihn zugekommen. „Er wollte auf mich drauf“, wiederholte der Türsteher mehrfach im Zeugenstand, und schilderte dann, wie er die Rippen des Angreifers mit Füßen und einem Teleskop-Schlagstock traktiert habe. Nachdem der Angeklagte auf der Erde gelegen habe, habe er ihn dort fixiert und versucht, ihn unter Kontrolle zu bringen. Aber: „Er hörte einfach nicht auf, das ging eine halbe Stunde so.“ Nachdem er erwähnte, dass es ein Kurzvideo von Szenen des Vorfalles gebe und er das auf seinem Handy habe, sahen sich die Prozessbeteiligten die Aufnahme an. Munition für Strafverteidiger Andreas Trode (Iserlohn), der gesehen haben wollte, wie sein Mandant mit Faustschlägen bearbeitet worden sei. Das habe in der Aussage des Türstehers gefehlt. Fortan sprach Trode davon, sein Mandant sei dort verprügelt worden und: „Diese Szenen will ich ganz groß auf dem Bildschirm haben.“ Ein Türsteher-Kollege des 62-Jährigen schilderte danach einen Vorfall wenige Tage später - wieder vor der Grotte. Dieses Mal habe der Angeklagte mit einem ausgefahrenen Teppichmesser vor seiner Nase herumgefuchtelt und gedroht: „Ich stech Dich ab, ich schlitz Dich auf.“

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Verteidiger Trode ließ nichts unversucht, bei Zeugenaussagen Schwachstellen aufzudecken und Belastendes gegen seinen Mandanten zu entschärfen. Viele der gestern vernommenen 14 Zeugen hatten allerdings deshalb Probleme, sich an genaue Details zu erinnern, weil sie so lange zurücklagen - in dem Fall fünf volle Jahre. Warum die Justiz in manchen Fällen erst jetzt anklagt, wurde zumindest am Montag im Gerichtssaal nicht erörtert.

Vorfall in der Redaktion

Auf den Tag fünf Jahre zurück lag auch ein Vorfall in der Olper Westfalenpost-Redaktion. Betroffen ein 64-jähriger Redakteur, der die Geschehnisse im Zeugenstand schilderte. Der Angeklagte sei über einen Zeitungsartikel nach einem Prozess ausgerastet, in dem er unter anderem wegen Körperverletzung angeklagt gewesen sei.

Aus Wut über den Bericht, so der 64-Jährige, sei der Angeklagte in die Redaktion gestürmt und habe ihn namentlich heftig beleidigt und bedroht, ihn umbringen und ihm den Kopf abreißen zu wollen.

Noch vor gut drei Wochen, so der Redakteur auf Nachfrage des Gerichts, habe er ein erneutes Ausrasten des Angeklagten mitten in Olpe miterlebt. Beim Christopher Street Day habe der 52-Jährige die Teilnehmer mit den Worten „Scheiß Deutsche und Nazischweine“ beleidigt.

Eine zusammenfassendere Charakterisierung des Angeklagten gab eine 48-jährige Polizistin, die bis August 2021 in Olpe ihren Dienst versah: „Er ist eine Person, die den Bürgern in Olpe das Leben schwer macht, fast täglich präsent ist und sogar nachts herumbrüllt. Es gibt kaum ein Geschäft, in dem er kein Hausverbot hat, viele Verkäuferinnen haben Angst vor ihm.“ Seine übliche Masche sei es, alles „zusammen zu schreien“, „er tritt hochgradig aggressiv auf, ist unberechenbar.“ Geladen war die Polizistin zu einem konkreten Vorfall im Zusammenhang mit den Attacken vor der Grotte. Sie sei zum Einsatz dorthin gerufen worden. Als der 52-Jährige auf sie zugestürmt sei, sei ihr nichts anderes übrig geblieben, als das Reizgasgerät einzusetzen. Erst danach habe er sich zurückgezogen.

Am Dienstag ab 10 Uhr werden im Landgericht Siegen die nächsten Zeugen gehört. Der 3. Prozesstag findet planmäßig am Dienstag, 1. August, statt.