Olpe/Lütringhausen. Die Schenkung einer Familie lüftet das Geheimnis um die ersten Jahre jenes Betriebs, der von Thyssen-Krupp gerade geschlossen wurde.
Oft sind es Zufälle, die das Gefühl aufkommen lassen, da füge sich etwas zusammen. So auch hier: Noch stehen die Gebäude des Thyssen-Krupp-Werks in Lütringhausen, auch wenn die Fertigung komplett abgezogen wurde und der Konzern einen Käufer für das Areal sucht. Die Geschichte des Industriestandorts ist jedoch wohl endgültig beendet, will die Stadt doch das jahrhundertelang industriell genutzte Gelände zum Wohle der Anlieger weiterentwickeln und städtebaulich neu ordnen. Und genau in dieser Phase wuchs das Stadtarchiv von Olpe um einen Bestand, der ein bislang praktisch im Dunklen liegende Kapitel eben jenes Standorts neu beleuchtet.
Renate Gipperich aus Lütringhausen sprach kürzlich bei Stadtarchivar Josef Wermert vor und bat um Hilfe beim Entziffern alter Unterlagen, die von Generation zu Generation in der Familie Wüsthoff weitergegeben worden waren.
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Wermert sagte gern zu, und als er einen Blick in die Kladden und Akten werfen konnte, wurde ihm rasch klar, wie historisch wertvoll das Ganze war. „So etwas haben wir hier wirklich noch nicht“, freut sich Wermert, denn nachdem er Renate Gipperich erklärt hatte, was da in sauberer, aber für den Unkundigen nicht lesbarer deutscher Handschrift festgehalten worden war, befand sie als Nachkomme der Familie Wüsthoff, dass die Papiere am besten im Stadtarchiv aufgehoben seien. Wermert: „Da sind ganz seltene Drucke dabei, die wir gar nicht oder nur als Abschriften hatten, etwa die erste Forstverordnung für Olpe, das Forstgesetz von 1810. Das Tollste aber ist das Anschreibebuch von Xaver Wüsthoff.“ Dieses führt säuberlich und minutiös von 1795 bis 1812 auf, was im Lütringhauser Hammer verarbeitet wurde. Dieser Hammer ist der direkte Vorgänger des Werks, das zuletzt von Thyssen-Krupp betrieben wurde. Bisher verfügt die Stadt nur über detaillierte Unterlagen ab 1834, dem Jahr, in dem die Familie Ruegenberg den damals schon jahrelang stillliegenden Hammer übernahm und aufrüstete.
Für andere Hämmer gearbeitet
„Der Lütringhauser Hammer gehörte vorher einer Gewerkschaft, und Xaver Wüsthoff war einer der Gewerken“, so Wermert: Es war praktisch ein Gemeinschaftsunternehmen, das die einzelnen Anteilseigentümer reihum nutzten und je nach Menge ihrer Anteile über eine bestimmte Anzahl von Hammertagen verfügten. „Xaver Wüsthoff hat hier genau aufgeführt, wieviel Roheisen er geliefert bekam und wieviel Bleche oder Schmaleisen er wieder ablieferte“, so Wermert, der die Schrift flüssig lesen kann und nur an Stellen, die im Lauf der Jahrhunderte verbleicht sind, genauer hinsehen muss. Und dabei findet er viele Informationen, die neu für ihn sind: „Der Lütringhauser Hammer hat diesem Buch zufolge sehr viel für andere Hämmer gearbeitet, etwa den Dohmer Hammer in Olpe oder den Hammer in Rüblinghausen, hier noch als Rübbelkuser Hammer bezeichnet.“ Und auch, dass Wüsthoff die Holzkohle für sein Schmiedefeuer in Kirchveischede holte, ist für Wermert ebenso überraschend wie Auftragsarbeiten für Anton Gerlach in Saalhausen. „Über die Zeit des Hammerwerks vor Ruegenberg war bisher praktisch nichts bekannt“, ist Wermert froh über die Schenkung. „Schön, dass es Leute gibt, die einerseits solche Unterlagen aufgewahren und nicht irgendwann wegwerfen und die dann noch das Stadtarchiv und seine Arbeit zu schätzen wissen.“ Unter anderem ist zu lesen, dass im Lütringhauser Hammer auch Schaufeln und Pflugscharen hergestellt wurden, später auch Mahlkugeln.
1812 stellte der Lütringhauser Hammer seine Arbeit ein. Xaver Wüsthoff führte das Buch jedoch säuberlich fort, er verdiente sein Brot nun mit Fuhrmannsarbeiten und Landwirtschaft. So hielt er jede Fahrt fest, mit der er den „Messhaber“ von Lütringhausen nach Olpe brachte, festgelegte Mengen an Hafer, der als Abgabe an die Kirche zu zahlen war, eine der ältesten Steuern in Deutschland.
Eine Messe für 4,50 Mark
Ein weiteres Heft wurde im Jahr 1811 von Franz-Josef Hengstebeck und Heinrich-Josef Wüsthoff verfasst und stellt eine exakte Auflistung aller Gemeinschaftsparzellen in Lütringhausen dar. Hier gibt es noch vieles zu erforschen, so weiß Wermert noch nicht, warum seinerzeit in Zweimark-, Dreimark- und Viermarkstücke unterschieden wurde. Ein drittes Heft stammt aus den 1890er-Jahren: Dieses wurde von Johann Wüsthoff geführt, der seinerzeit Gemeindevorsteher von Lütringhausen war. Er hat hier alle Ausgaben und Einnahmen der Gemeinde festgehalten, etwa den Vertrag mit dem Viehhirten, der „sich der Gemeinde vermietet“ für ein Salär von 120 Mark, zahlbar in zwei Raten zu Johanni und am Stefanstag. Auch die Geschäfte der Kapellengemeinde hat Wüsthoff damals geführt: Eine Messe vom Pfarrer kostete 4,50 Mark, hielt sie der Vikar, waren nur 3 Mark zu entrichten. Das Buch gibt weitere Einblicke ins damalige Alltagsleben, ebenso einige Briefe aus Familienbesitz, die Wermert stutzen lassen: So spricht im Jahr 1877 eine Frau ihre Mutter förmlich mit „Sie“ an, als sie sie zur Feier des Cyriakus-Tags einlädt, „das kenne ich eigentlich nur vom Adel“, und es war offenbar noch üblich, Onkel und Tante mit „Ohm“ und „Möhne“ anzusprechen.