Olpe. Tanja B. aus Olpe bekommt nach der Geburt ihres Sohnes Panikattacken. So heftig, dass sie denkt, sie müsse sterben. Das hat ihr geholfen.
Schwindel. Herzrasen. Atemnot. Beim ersten Mal weiß Tanja B. noch nicht, was mit ihr los ist. Ihre Gedanken überschlagen sich, keiner wird greifbar. Nur einer: „Ich werde sterben“. Es ist ihre erste Panikattacke. Sie ist 31 und hat gerade ihren Sohn auf die Welt gebracht.
+++ Lesen Sie auch: Große Liebe für Oldtimer: „Macht unglaublich viel Spaß +++
„Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nie eine Vorstellung davon, was Panikattacken oder Depressionen sind“, erzählt die heute 34-Jährige aus Olpe. Ihre Schwangerschaft verlief völlig unproblematisch. Als die Wehen einsetzten, kam sie ins Krankenhaus. Dort fielen plötzlich ihr hoher Blutdruck und ihre schlechten Leberwerte auf. Schwangerschaftsvergiftung.
Ärzte machten sich Sorgen um gesundheitlichen Zustand
„Die Ärzte sagten mir, dass sie einen Kaiserschnitt machen müssten“, erinnert sich Tanja B. Erst sei die Reden von in zwei Stunden gewesen, dann musste plötzlich alles ganz schnell gehen. Eine Nacht verbrachte Tanja B. zur Kontrolle auf der Intensivstation, insgesamt eine Woche lag sie im Krankenhaus. „Als es mir etwas besser ging, haben die Ärzte Sachen zu mir gesagt wie ‚Gott sei Dank geht es Ihnen wieder so gut. Wir haben uns wirklich Sorgen um Sie gemacht‘“, erzählt Tanja B. Ihr selbst war dabei gar nicht bewusst, wie kritisch ihr Zustand offensichtlich war. Der Moment, in dem sie das erkannte, hinterließ Spuren.
+++ Lesen Sie auch: Größtes Oldtimer-Treffen im Kreis Olpe – Das sind die Bilder +++
Als Tanja B. aus dem Krankenhaus entlassen wurde, wünschte sie sich erstmal Ruhe. Eine entspannte Kennenlern- und Kuschelzeit mit dem Sohn. Doch die Erinnerungen, die Hektik, die Sorgen aus dem Krankenhaus holten sie ein. „Ich hatte Angst, dass sich mein Zustand wieder plötzlich verschlechtert. Ich hatte Angst zu sterben.“ Ihre Angst entlud sich plötzlich in normalen Alltagssituationen. Schwindel. Herzrasen. Atemnot. „Ich fühlte mich, als ob ich unter Wasser gewesen wäre. Ohne Ausweg.“ Die Angst verselbstständigte sich und wurde zur Panik. Sie kam immer wieder. Jeden Tag. Mehrmals. Dazu die Angst vor der Angst, grübelnde Gedanken und eine innerliche Schwere. „Erst habe ich gedacht, dass ich es alleine daraus schaffen kann. Aber irgendwann habe ich es nicht mehr ausgehalten. Nach etwa einem Monat habe ich mir Hilfe gesucht. Und Viktoria gefunden“, erinnert sich Tanja B.
Panikattacken und Depressionen nach schwerer Erkrankung
Viktoria Langjahr ist psychologische Beraterin und leitet eine Coaching-Praxis in Olpe. Als ihre Tochter vor neun Jahren schwer krank wurde, hatte sie selbst das Gefühl, in ein tiefes Loch zu fallen. Sie bekam Panikattacken und Depressionen. Sie begab sich in psychotherapeutischer Behandlung und fand dort für sich keine Lösung. Erst die Hypnosetherapie und spezielle Visualisierungstechnik haben ihr geholfen. „Ich war von diesem Ansatz so überzeugt, dass ich mich in Hypnotherapie und Visualisierung ausbilden ließ“, erzählt Viktoria Langjahr.
+++ Lesen Sie auch: Attendorn: Neuer Kinderspielplatz an der Waldenburger Bucht +++
Damit habe sie ihre alte Energie, ihre alte Balance wiedergefunden. Sie wollte anderen Menschen helfen, auch wieder dorthin zurückzufinden. Mittlerweile hat sie kombiniert aus den erlernten Methoden eine eigene Visualisierungstechnik entwickelt, die sie in der Praxis anwendet. „Wir arbeiten mit der Vorstellungskraft, mit Bildern und Gefühlen. Das geht über das Reden hinaus“, erklärt Viktoria Langjahr. Häufig liege die Schlüsselsituation für eine unangenehme Emotion weit zurück, zum Beispiel in der frühesten Kindheit. „Man kann sich das so vorstellen, dass man als Erwachsener dann Trigger-Situationen erlebt. Also Fragmente, die der ursprünglichen Situation ähneln“, so Langjahr. Im Fall der Angst lösten diese Trigger-Situationen häufig eine Grundanspannung im Körper aus, die im Laufe der Jahre so „normal“ werde, dass Betroffene sie nicht mehr bemerken. Irgendwann sei aber der Punkt erreicht, an dem es zur „Entladung“ komme. „Das System wird durch eine Art Kurzschluss entlastet, damit es zu keinen organisatorischen Schäden kommt.“ Das ist das, was Betroffene als Panikattacke wahrnehmen.
+++ Lesen Sie auch: Gerlingen: Eltern sollen Kinder nicht mehr zur Schule fahren +++
Visualisierung, erklärt Langjahr, sei etwas sehr Natürliches. Etwas, das Kinder sehr gut beherrschen, Erwachsene aber fast vergessen haben. „Ich frage unter anderem: ‚Wo sitzt deine Angst? Im Hals, in der Brust, im Bauch? Und wie sieht deine Angst aus? Für manche ist es ein Sensenmann, für andere ein schwerer, schwarzer Stein.“ Ein abstraktes Gefühl werde so greifbar. Und so auch veränderbar. „Wir stellen uns dann zum Beispiel vor, wie wir den schwarzen Stein aus unserem Körper ziehen und ihn weit wegwerfen. Das ist natürlich nur fiktiv. Aber unser System kann nicht unterscheiden, ob es real oder fiktiv ist, wenn es Bilder und Emotionen wahrnimmt. Dadurch entstehen neue Wege in unserem Gehirn“, so Langjahr. Mithilfe der Visualisierungstechnik kehrte Tanja B. zu dem Schlüsselmoment ihrer Angst zurück. „Ich konnte mich nicht mehr bewusst daran erinnern, aber wie in einer Art Flashback war ich wieder 5 Jahre alt und schaute mir Fotos von der Beerdigung meiner Oma an“, erinnert sich Tanja B.
Viktoria Langjahr nennt ihre Arbeit ressourcenorientiert. Bei diesem Ansatz wird davon ausgegangen, dass der Mensch selbst bereits die Lösung in sich trägt. Dementsprechend kommen auch keine Patienten, sondern Klienten in ihre Praxis. „Ich behandle nichts und therapiere nichts. Ich begleite die Menschen lediglich auf ihrem Weg“, betont Langjahr. Ein „Aha“-Effekt trete meist nicht abrupt, sondern rückblickend auf der gemeinsamen Reise ein. „Es ist ein fließender Prozess, ohne dass sich die Menschen der Lösung bewusst geworden sind, sie spüren sie.“ Oft seien es aber die Angehörigen, die noch vor dem Betroffenen selbst eine Veränderung feststellen.
Therapie ist nicht für alle geeignet
Diese Form der Begleitung hat ihre Grenzen, denn es gibt Kontraindikationen, zum Beispiel für Menschen mit Epilepsie oder mit Tromboserisiko. All das muss vorher gründlich im Vorgespräch abgeklärt sein, so Viktoria Langjahr. Zumal sie auch mit Hypnosetechniken arbeitet, für die nicht jeder empfänglich ist. „Es gibt auch manchmal Menschen, zum Glück selten, die innerlich so aufgewühlt sind, dass sie im Gespräch nicht mehr erreichbar sind. Für diese Menschen kann es sinnvoll sein, wenn sie zunächst mithilfe von Medikamenten etwas ruhiger werden.“ Eine langfristige und nachhaltige Lösung seien Medikamente jedoch nicht. Und sollten auch nicht als einzige therapeutische Maßnahme ergriffen werden.
+++ Lesen Sie auch: Ruhr-Sieg-Strecke – Unfall schränkt Zugverkehr stark ein +++
„Ich kann mein Leben wieder genießen“, sagt Tanja B. Ihr Coaching bei Viktoria Langjahr liegt jetzt 2 Jahre zurück. Sie hat sich kleine „Anker“ in den Alltag eingebaut. Ihren Schlüsselanhänger, zum Beispiel. Daran hängen bunte Kugeln, jede Farbe assoziiert sie mit einem positiven Gefühl, das sie vorher im Coaching visualisiert hat. Ab und zu kommt die Angst wieder. „Dann stelle ich mir vor, wie ich alle meine Sorgen in einen großen Kartoffelsack packe, ihn zuschnüre und mit aller Kraft wegwerfe“, erzählt Tanja B. Sie ist ihrer Angst nicht mehr ausgeliefert. Weil sie weiß, dass sie mit Kartoffelsäcken umgehen kann.