OLpe/Siegen. Am dritten Verhandlungstag gab es die Plädoyers im Siegener Schwurgericht. Der Verteidiger ist völlig anderer Meinung als der Staatsanwalt.

Rainer Hoppmann glaubt dem Angeklagten nicht. „Er hat mehrfach eingestochen und in Kauf genommen, dass er ihn tötet. Das war keine Notwehrsituation“, sagte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Der angeklagte Messerstecher hatte mehrfach behauptet, dass er sich nur verteidigt habe. Er sei von einem Mitbewohner (45) in der Obdachlosenunterkunft in Olpe am frühen Abend des 15. Oktober 2022 geschlagen worden. Zum wiederholten Mal. Da habe er keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als auf den körperlich weit überlegenen Mann einzustechen.

„Die Verletzungen sind wegen des hohen Blutverlustes lebensbedrohlich gewesen. Er hat sehr viel Glück gehabt, dass die Stiche nicht innere Organe getroffen haben. Der Angeklagte hat mit Tötungsvorsatz gehandelt, als er in diese Körperregionen gestochen hat“, so Rainer Hoppmann. Wegen versuchten Totschlags forderte er fünfeinhalb Jahre Freiheitsstrafe. Der Haftbefehl gegen den seit sechs Monaten in der JVA Attendorn in Untersuchungshaft sitzenden 50-Jährigen solle aufrecht erhalten bleiben.

Der Angeklagte habe dem Mitbewohner ansatzlos Messerstiche in Bauch, Rücken, Arm und Hand versetzt. Ein anderer Mitbewohner (33), der zur Hilfe kam, sei ebenfalls einmal gestochen worden. Dieser Stich sei aber wohl versehentlich in der Dynamik des Geschehens erfolgt. Hier handele es sich um eine fahrlässige Körperverletzung.

Kein versuchter Mord

Die Einlassung des Angeklagten, dass es in seinem Zimmer zu den Messerstichen gekommen sei, sei widerlegt, meinte Hoppmann: „Da gab es keine Blutspuren, sondern vielmehr im Flur. Im Flur hat der Zeuge einen Stich in den Rücken bekommen. Damit ist die Notwehrsituation widerlegt. Die Taten haben sich so abgespielt wie in der Anklageschrift.“

Einen versuchten Mord, auf den das Gericht ebenfalls als mögliche Bestrafung hingewiesen hatte, sah Staatsanwalt Hoppmann aber nicht. Dabei ging es um das Mordmerkmal der Heimtücke, weil der Angeklagte den Mitbewohner von hinten in den Rücken gestochen haben soll. Der 45-Jährige hätte aber arg- und wehrlos gewesen sein müssen: „Bei der Vorgeschichte war er das aber nicht. Er hat den Angeklagten gereizt. Das Merkmal der Heimtücke ist nicht gegeben.“

Es könne nicht aufgeklärt werden, was sich im Zimmer des Angeklagten abgespielt hat, meinte der Staatsanwalt. Den verharmlosenden Angaben des Kampfsport betreibenden 45-Jährigen könne aber nicht gefolgt werden: „Es handelt sich durchaus um einen gewaltbereiten Menschen, der vor allem unter Alkohol zuschlägt. Es ist nicht realistisch, dass er nur zu dem Angeklagten gegangen ist, um sich zu erkundigen, wie es ihm geht. Er hat etwas gemacht, das den Angeklagten gereizt hat. Der Angeklagte ist nicht aggressiv, er ist keine Person, die zur Gewalt neigt.“

Im Gegensatz zum Staatsanwalt sah Verteidiger Marcel Tomczak sehr wohl eine Notwehrsituation. Der mit 2,3 Promille stark alkoholisierte 45-Jährige sei ins Zimmer des Angeklagten und habe diesem wegen angeblicher Ruhestörung unvermittelt einen Schlag versetzt: „Mein Mandant hat sich mit dem Messer verteidigt. Es blieb meistens nicht bei einem Schlag. Das Maß war voll. Er hat gesagt: Jetzt wehre ich mich dagegen.“ Und: „Warum sollte der Angeklagte ohne ersichtlichen Grund ein Messer einsetzen?“

Urteil am 20. April

Es müsse vorher etwas Gravierendes passiert sein, sagte der Anwalt aus Olpe: „Die Notwehr war geeignet und erforderlich. Es war ein rechtswidriger Angriff. Der Angeklagte musste mit weiteren Körperverletzungen gegen ihn rechnen. Er ist ihm körperlich weit unterlegen. Er ist Kampfsportler und geht äußerst brutal vor.“ Tomczak forderte einen Freispruch für den Angeklagten.

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Im letzten Wort betonte der Angeklagte erneut: „Es war eine Notwehrsituation. Ich wurde angegriffen und habe mich verteidigt. Ich habe die Wahrheit erzählt.“ Das Urteil wird am 20. April gesprochen.