Altenhundem. Die „Kümmerin“ des Kreises ist vielgleisig unterwegs, um der drohenden Unterversorgung mit niedergelassenen Medizinern zu begegnen.

Die genaue Stellenbezeichnung von Christina Röcher ist lang: Sie besetzt die „Servicestelle für Ärztinnen und Ärzte zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung im Kreis Olpe“. Schon als die Schaffung ihrer Stelle noch diskutiert wurde und niemand wusste, wer sich auf diesen Posten bewerben wird, hatte sich im Kreistag wie im Kreishaus eine gängigere Bezeichnung durchgesetzt, und diese wird bis heute genutzt: Die in Oberveischede aufgewachsene Christina Röcher ist daher schlicht „Ärztekümmerin“. Was genau sie tut und was sie bisher erreicht hat, um die Versorgung der Bevölkerung im Kreis Olpe insbesondere mit niedergelassenen Ärzten sicherzustellen bzw. zu verbessern, darüber informierte sie am Dienstag die Mitglieder des Aussschusses für Schulen, Kultur, Sport und Soziales der Stadt Lennestadt. Im Altenhundemer Ratssaal stieß sie dabei auf interessierte Kommunalpolitiker und sachkundige Bürger, die mit einer Vielzahl von Fragen und Anmerkungen unterstrichen, wie hoch die Priorität dieses Themas ist.

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Christina Röcher, hier mit Landrat Theo Melcher, ist die „Ärztekümmerin“ des Kreises.
Christina Röcher, hier mit Landrat Theo Melcher, ist die „Ärztekümmerin“ des Kreises. © Kreis Olpe

Christina Röcher berichtete, vorher bei einer Personalberatung in Düsseldorf tätig gewesen zu sein, die in Lennestadt nicht unbekannt sei, habe sie doch vor einigen Jahren vergeblich versucht, einen Kinderarzt für Lennestadt zu finden. In diesen Vorgang sei sie allerdings nicht involviert gewesen, ergänzte sie. „Uns ist allen klar, dass wir massiv einer medizinischen Unterversorgung entgegensteuern“, so ihre ernüchternde Bilanz. „Die Stelle hätte viel früher geschaffen werden müssen“, und zwar schon Jahre vorher. Sie umschrieb die Problemlage so, insbesondere bezogen auf den „klassischen Hausarzt“: Hier sei der Altersdurchschnitt im Kreis Olpe hoch, infolgedessen müsse insbesondere hier für Nachfolgerinnen und Nachfolger gesorgt werden. „Aber die heranwachsenden Ärztinnen und Ärzte finden diese Art Praxen altmodisch. Einzelpraxen sind für die neuen Mediziner weniger attraktiv als früher. Sie haben eine andere Auffassung von Arbeit.“ Diese Situation, oft mit „Work-life-Balance“ umschrieben, sei vergleichbar mit der Motivation anderer Fachkräfte und habe zur Folge: „Ein Hausarzt, der auf die 70 zugeht, muss durch zwei bis drei Personen ersetzt werden.“ Die 60-Stunden-Woche, die in einer solchen Praxis oft zu leisten sei, sei für die jungen Kräfte keine Option. Hinzu komme, dass der bürokratische Aufwand hoch sei. Niedriger als früher schätzt sie das finanzielle Risiko ein, das es zwar weiterhin gebe, aber nicht mehr in der Intensität vergangener Jahre: „Der Verkauf von Praxen für horrende Summen funktioniert nicht mehr. Das gilt für den gesamten Kreis, da ist keine Kommune auszunehmen.“

Nachholbedarf ist da

Noch nicht ganz ein Jahr im Amt, hat Christina Röcher festgestellt, dass der Kreis Olpe großen Nachholbedarf in Sachen Sichtbarkeit für Ärztenachwuchs hat: „Der Kreis ist selten an Praxisbörsen vertreten. Es gibt kaum Auftritte nach außen.“ Auch fehle im Kreis ein Weiterbildungsverbund, ein einheitliches Auftreten. Noch arbeite jede Kommune für sich.

Bei Befragungen habe sie festgestellt: „Die Ärzte fühlen sich vom Kreis nicht ausreichend unterstützt.“ Das gelte beispielsweise für die Suche nach Wohnraum oder Kindergartenplätzen, die Interessenten für Praxisnachfolgen eine Hilfe seien. Abgebenden Ärzten habe meist ein Ansprechpartner gefehlt, wobei die Stadt Lennestadt hier eine positive Ausnahme bilde.

Um den Stand der Dinge zu erfahren, habe sie 110 Praxen angeschrieben, 62 Antworten seien zurückgekommen. „42 Prozent wollen in den nächsten fünf Jahren aufhören.“ Auch hätten die Ärztinnen und Ärzte zurückgemeldet, noch werde der Bereich Telemedizin sehr selten angewandt. Digitalisierung gebe es häufig nur genau so weit, wie es die Kassenärztliche Vereinigung vorgebe.

Vielversprechendes Projekt

Vielversprechend sei das Projekt „Localhero“, bei dem angehende Medizinerinnen und Mediziner in Praxen im Kreis Olpe Erfahrungen sammeln können. Sie nutze diese Zeit, um den angehenden Ärztinnen und Ärzten das Arbeiten und Leben im Kreis Olpe schmackhaft zu machen und die Vorteile einer Praxisübernahme zu vermitteln. Ein weiteres Konzept sei kurz vor der Fertigstellung, mit dem Kreis und Kommunen junge Leute ansprechen wollen, die aus dem Kreis Olpe stammen, um diese zurückzuholen. Auch sei geplant, ein Netzwerk junger Ärzte zu bilden und zu pflegen unter dem Stichwort „Heimat auf Rezept”. Seminarreihen könnten den Kreis bei Ärzten bekannter machen, auch installiere sie ein Modell „Landarzt auf Probe”.

Ein großes Anliegen ist ihr der Aufbau eines Netzwerks von Medizinstudenten aus dem Kreis – „das ist nicht so einfach, wie Sie sich das vorstellen“. Ein solches Netz könne dafür sorgen, dass Nachwuchsmedizinerinnen und -mediziner den Kreis bei Kommilitonen interessant machen. Auch wenn sie vorrangig für die niedergelassenen Ärzte zuständig sei, vergesse sie die Krankenhäuser nicht. Hier laufe ein vielversprechendes Projekt, bei dem angehende Ärztinnen und Ärzte von der Uni Rotterdam ihr letztes Jahr der Ausbildung im Kreis Olpe verbringen.

Christina Röcher erhielt Applaus vom Ausschuss, allerdings auch positiven Druck. Heinz Vollmer (SPD) fasste zusammen: „Hier in Lennestadt sind von 19 Ärzten zwölf jetzt schon im Rentenalter. Die Lage ist noch viel dramatischer als von Ihnen dargestellt. Wir müssen mit Volldampf dran, sonst steuern wir in eine echte Krise.“