Attendorn/Kreis Olpe. Krisenstimmung in der Wirtschaft. Was sagt Erfolgsunternehmer und IHK-Präsident Walter Viegener aus Attendorn dazu? Wie geht es weiter bei Viega?
Inmitten einer drohenden Wirtschaftsrezession, Rekordinflation, Kostensteigerungen bei Energieträgern und der Bauindustrie stand uns einer der erfolgreichsten Unternehmer Südwestfalens, Walter Viegener (Viega Gruppe), seit wenigen Monaten auch Präsident der IHK für die Kreise Siegen und Olpe, im Interview Rede und Antwort.
Frage: Gerade haben die Halbzeitwahlen in den USA stattgefunden. Wie betrifft Sie das als Unternehmer, und wie bewerten Sie die bisher bekannten Ergebnisse?
Walter Viegener: Wir haben ein großes Werk in den USA, und ich halte es für wichtig, dass es dort stabile Mehrheiten gibt. Mit unseren Kollegen in den USA sind wir im steten Austausch. Einschneidende Veränderungen für unser Geschäft in den USA erwarten wir für die kommende Zeit nicht.
Wie viel Prozent ihres Umsatzes erwirtschaften Sie mit ihrem Werk in den USA?
Etwa 25 Prozent. Nordamerika ist unser strategisch wichtigster Markt im internationalen Geschäft. Wir machen natürlich auch Geschäfte in anderen Regionen der Welt, aber nicht in dem Ausmaß.
Wird in Nordamerika mehr gebaut?
Dort wird viel gebaut, nach meinem Eindruck mehr als in Deutschland, und das Thema Energieversorgung ist momentan kein kritisches. Die Energiekosten sind um ein Vielfaches niedriger als in Deutschland und West-Europa. Die Wirtschaft in den USA läuft solide.
+++Lesen Sie auch: Verstecktes Mädchen in Attendorn: Was sagt der Staatsanwalt?+++
Viega ist im Kreis Olpe eines der erfolgreichsten Unternehmen. Welches sind die wichtigsten Rezepte, um ein Unternehmen dauerhaft in die Erfolgsspur zu bringen und dort zu halten?
Ein Familienunternehmen wie unseres ist ein Unternehmen der kurzen Wege. Das ist eines unserer Erfolgsrezepte. Dazu muss ich ein wenig ausholen: Ich war bis vergangenes Jahr gemeinsam mit Claus Holst-Gydesen CEO und habe diese Verantwortung zum 1. Januar 2022 vollständig an ihn übertragen. Seitdem bin ich, wie Anna Viegener auch, Vorsitzender des Gesellschafterausschusses. Ich bin in dieser Funktion, ebenfalls mit Anna Viegener, aktiver Gesellschafter, und wir beide sind oberste Entscheidungsträger. Die Handlungsalternativen, wie die Strategie ausgerichtet wird, wie wir in den Märkten agieren oder wo wir wie investieren, werden uns vorgelegt und dann entschieden - zeitnah. Wir können uns dabei sehr auf Claus Holst-Gydesen und eine klasse Führungsmannschaft verlassen. Ich bin noch jeden Tag im Büro.
Was also in Ihrer Firma an wesentlichen Dingen geschieht, läuft nicht an Ihnen vorbei.
So ist es. Aber noch einmal: Es sind Anna Viegener und ich. Wir machen das gemeinsam.
Aber Sie waren mir noch weitere Erfolgs-Rezepte schuldig.
Erstens also die kurzen und schnellen Entscheidungswege. Wenn unser CEO zu uns kommt und um eine solche Entscheidung bittet, bekommt er sie meist sofort. Es gibt aber auch Dinge, da nehme ich mir die Zeit, mal eine Nacht drüber zu schlafen. Und das ist auch ratsam. Darüber hinaus ist es wichtig, immer zu investieren und Innovationen voranzutreiben. Das haben wir auch in Rezessionen immer getan. Gerade bauen wir das große Seminarcenter Viega World in Ennest, das im Januar eröffnet wird. Und das 3. Rezept ist, dass wir Gesellschafter das Kapital in der Firma lassen.
Also Sauerland statt Segelyacht an der Costa Brava?
Genau. Wir besitzen keine Luxusjacht, und auch keinen Hubschrauber.
Energie ist das Benzin des Motors ,Wirtschaft’. Wie lange hat Deutschland noch Benzin für diesen Motor?
Das hängt von vielen Faktoren ab. Bisher ist es noch sehr warm für diese Jahreszeit, und ich höre, dass die Gasspeicher in Deutschland voll sein sollen. Aber ich mache mir große Sorgen, wie es weitergeht. Da müssen wir Unternehmer an einem Strang ziehen und an die Politik appellieren, dass uns gegebenenfalls geholfen wird. Beim Gas war es ein Fehler, nur auf den einen Partner Russland zu setzen.
Wie viele Werke und wo hat die Viega?
Hier in Attendorn ist die Zentralverwaltung, Forschung und Entwicklung für Rohrleitungssysteme, in Ennest ist die Produktion und Logistik, des weiteren Standorte in Elspe, Thüringen, Bayern, USA, Schweiz, China und Indien. Summiert sind rund 5.000 Menschen bei uns beschäftigt.
Zurück ins Sauerland: Bauplätze sind Mangelware, Gewerbegebiete ebenfalls, Fachkräfte kaum zu finden, jetzt auch noch Inflation, Bau- und Energiekostenexplosion. Was muss passieren, dass das nicht in eine heftige und langfristige Krise mündet?
Eine der größten Herausforderungen vor unserer Haustüre ist erst einmal die Talbrücke Rahmede. Sie ist seit Dezember 2021 gesperrt. Verkehrsminister Wissing war beim IHK-Empfang in Siegen und hat gesagt, er wolle alle zu sanierenden Brücken in Deutschland, rund 4.000 an der Zahl, in den nächsten zehn Jahren saniert haben. Aber für die Rahmede-Talbrücke sind wir noch keinen Zentimeter weitergekommen. Gemeinsam mit der IHK sowie weiteren Verbänden, den Gewerkschaften und der Politik drängen wir mit Hochdruck darauf, dass die Brücke so schnell wie möglich abgerissen wird. Nach wie vor fehlt ein verbindlicher Zeitplan für Abriss und Neubau.
+++Auch interessant: Viega ehrt langjährige Mitarbeiter+++
Inwiefern spielt das für Viega eine solch große Rolle?
Allein schon für unsere Pendler, die das täglich auf sich nehmen müssen. Außerdem: Der Stillstand kostet Unsummen. Wir schaffen das nur, weil unser Fuhrpark deutlich mehr Zeit einkalkuliert, damit unsere Produkte rechtzeitig bei unseren Kunden jenseits der Brücke ankommen. Seitens der IHK werden wir nächste Woche ein Gespräch mit dem NRW-Verkehrsminister führen. Und es geht ja nicht nur um die Autobahn: Auch die das Nadelöhr umgehenden Landstraßen gehen in die Knie, ganz abgesehen von den bedauernswerten Lüdenscheidern, die 365 Tage im Jahr diese Automassen ertragen müssen.
Wie begegnen Sie dem Fachkräftemangel?
Das ist die nächste Baustelle. Wir haben gerade hier in Attendorn-Ennest eine topmoderne Ausbildungswerkstatt errichtet, mit der wir junge Menschen für uns gewinnen wollen. Wir setzen für unsere Fachkräfte aus dem Raum Köln eigens einen Pendelbus ein, der auch gut angenommen wird. Mit etwa 20 Beschäftigten. Als die Idee entstand, war ich erst noch skeptisch und habe gesagt, wir seien doch kein Busunternehmen. Ich habe aber schnell erkannt, dass wir es machen müssen. Das klappt hervorragend.
Und Ingenieure für die Entwicklung?
Auch darauf haben wir reagiert. Auf dem Campus der RWTH Aachen ist ein Viega-Büro gegründet worden.
Gibt’s da kein Gedränge aus dem Sauerland. Kirchhoff und Mubea können auch Ingenieure gebrauchen.
Nein. Mubea ist beispielsweise auch dort vertreten, sogar im selben Gebäude. Aber nicht nur das. Im Fachbereich IT, wo es einen unheimlichen Engpass bei Topleuten gibt, haben wir ein Büro in Dortmund gegründet, aber auch eines in Köln. Wir ziehen alle Register, dem Fachkräftemangel zu begegnen.
Wollen Sie wachsen?
Ja natürlich. Wir müssen wachsen.
Auch weitere Firmenzukäufe sind ein Thema.
Welche Firma kaufen sie als nächstes.
Das werde ich Ihnen nicht beantworten.
Viega ist in der Bauwirtschaft zu Hause. Wir haben gleichzeitig extrem schnell gestiegene Zinsen und explodierte Baukosten. Drohen der Bauwirtschaft ein starker Abschwung und damit auch Ihrem Unternehmen ungemütliche Zeiten?
Das vergangene Jahr war für uns noch ein sehr gutes. Der Handel hat sozusagen auf Vorrat die Lager gefüllt und verkauft jetzt Bestände. Das merken wir am Auftragseingang, der sich stark abgesenkt hat. Am Bau wird es weniger werden. Wir sehen uns alle Zahlen genau an. Erfreulich ist, dass es in unserer Firma noch keine dramatischen Lieferengpässe gegeben hat.
Der Bauboom dauert jetzt fast zwei Jahrzehnte. Was, wenn der Abschwung genau so lange dauert?
Das glaube ich nicht. Der Zyklus wird kürzer sein. Wir machen uns Sorgen, aber Viega ist gut aufgestellt. Ich denke, wir kommen mit einem blauen Auge davon. Größere Sorgen gelten unseren Zulieferern. Davon sind einige erheblich stärker von den Energiepreisen betroffen. Und wenn sie uns nicht mit Rohstoffen beliefern können, die wir verarbeiten, zum Beispiel Kupferrohr, Stahl und Edelstahl, Granulate und so weiter, dann wird es problematisch. Ich denke, noch heftiger könnte es die Automobilzulieferer treffen. Ich habe vor einiger Zeit am Münchner Flughafen hunderte von MAN-Lkw-Chassis gesehen, die nicht fertiggestellt werden konnten, weil Außenspiegel fehlten, Getriebe oder Lenkräder. Wenn Lieferketten stocken, hat das dramatische Folgen.
Sie sind 66 Jahre alt und schon lange an Bord von Viega. Hat es nie einen Moment gegeben, wo sie mal die Nase voll hatten, alles hinschmeißen wollten, um stattdessen lieber mit dem Jagdgewehr durch die Wälder zu streifen?
Nein, nie. Wir sind seit 1899 ein hundertprozentiges Familienunternehmen, und darauf sind wir auch stolz. Davon gibt es in unserer Branche nicht mehr viele. Nur noch Viessmann und Vaillant. Große Namen wie Friedrich Grohe oder Hansgrohe und Villeroy & Boch, die haben alle verkauft. Wir nicht.
Und das bleibt auch so?
So lange Blut in meinen Adern fließt, wird die Firma nicht verkauft.
Und die nachfolgende Viegener-Generation?
Die wissen das auch, und der andere Familienstamm denkt genauso. Wir sind und bleiben ein Familienunternehmen.
Warum tun sich Unternehmer so schwer, in die Politik zu gehen?
Das kann ich Ihnen ganz ehrlich beantworten. Mir hat immer die Zeit gefehlt.
Aber sie sind immerhin IHK-Präsident geworden.
Das hatte ich mir eigentlich anders vorgestellt. Aber als ich konkret gefragt wurde, ob ich es machen würde, habe ich eine Nacht drüber geschlafen und am nächsten Morgen gesagt: Ich stelle mich zur Wahl. Ich gebe zu, es hat mich gereizt.
Was haben Sie sich als IHK-Präsident vorgenommen.
Ich hoffe, dass ich dazu beitragen kann, dass die Rahmedetalbrücke, wenn nicht fertiggestellt, dann doch während meiner Amtszeit weit gediehen sein wird. Es gibt viele weitere Arbeitsfelder: Fachkräftemangel, energieintensive Betriebe, der Hotel- und Gaststättenbereich und so weiter.
Apropos energieintensive Betriebe - würden Sie eher dafür plädieren, Atomkraftwerke weiter laufen zu lassen.
Bereits bestehende ja. Zeitlich befristet, aber länger als derzeit geplant. Und nicht einmotten.
Sie befinden sich als 66-Jähriger mitten im Rentenalter. Ist das Rentnerdasein denn für Sie überhaupt denkbar?
Ich werde meine jetzige Funktion als Vorsitzender des Gesellschafterausschusses bis Ende 2025 bekleiden, sofern ich gesund bleibe. Geplant ist, dass unser ältester Sohn Franz dann in meine Fußstapfen tritt.
Sie wollen also nicht mit 97 in der Waagerechten aus der Firma getragen werden?
Nein. Man sollte rechtzeitig der nächsten Generation die Verantwortung übergeben.
Wenn Sie bei der Guten Fee einen Wunsch frei hätten, was wäre das?
Mein größter Wunsch als IHK-Präsident ist, dass wir auf allen staatlichen Ebenen mehr Tempo aufnehmen. Wir sind in vielen Bereichen einfach zu behäbig geworden.
Zur Person:
Walter Viegener ist 66 Jahre alt, verheiratet und Vater von sechs Kindern. Seit 1994 gehört er der Vollversammlung der IHK an, er wurde im Sommer diesen Jahres zum IHK-Präsidenten gewählt.
In das Familienunternehmen Viega trat Viegener 1988 ein, zunächst als Prokurist und von 1997 bis 2021 als geschäftsführender Gesellschafter. Seit Januar diesen Jahres ist er Vorsitzender des Gesellschafterausschusses der Viega Holding GmbH & Co. KG.
Die Viega Gruppe zählt zu den Weltmarkt- und Technologieführern der Installationsbranche und beschäftigt international rund 5.000 Mitarbeiter. Umsatz 2021: Rund 1,7 Milliarden Euro.