Olpe/St. Augustin/Vítoria. Der 76-Jährige hat in Brasilien unter anderem einen Radiosender, ein Krankenhaus und eine Hochschule gebaut. Nun feiert er Priesterjubiläum.

Er ist nicht nur Olper, sondern waschechter Ölper, und auch wenn er zwei Drittel seines Lebens außerhalb seiner Vaterstadt verbracht hat, ist und bleibt Hugo Scheer seiner Heimat verbunden. Der Missionar, der 1946 an der Olper Winterbergstraße geboren wurde, 1972 zum Priester geweiht wurde und 1975 nach Brasilien ausreiste, ist zurzeit Gast im Missionshaus der Steyler Missionare in St. Augustin. Und wie schon oft, ist es Pater Scheer gelungen, seinen turnusmäßigen Aufenthalt in Deutschland so zu legen, dass er zur Muggelkirmes, dem Kirchweihfest der Olper St.-Martinus-Kirche, zu Hause sein kann. Denn in diesem Jahr gibt es einen besonderen Grund zum Feiern: Scheers goldenes Priesterjubiläum.

Sie sind seit 50 Jahren Priester, im vorigen Jahr sind Sie 75 Jahre alt geworden, ein Alter, in dem weltliche Arbeitnehmer schon seit zehn Jahren ihre Rente genießen. Sie haben im vorigen Jahr Ihrem Bischof, zum 75. Lebensjahr üblich, den Rücktritt von allen Ämtern angeboten. Wie hat er entschieden?

Hugo Scheer: Noch gar nicht. Die Pandemie hat hier alles durcheinandergewirbelt, ich arbeite weiter im vollen Umfang.

Wie kamen Sie nach Brasilien?

1980 bei einem Besuch in Olpe: Hugo Scheer berichtet von seiner Arbeit.
1980 bei einem Besuch in Olpe: Hugo Scheer berichtet von seiner Arbeit. © Wolfgang Hesse

Ich wollte Missionar werden. Das war mein Traum. Ich wollte in die Welt hinaus. Da gab es in Olpe die Pallottiner, die hatten auch Mission. Da gab es die Franziskaner, die hatten auch Mission. Aber die Steyler haben nur Mission, daher habe ich mich dort umgesehen. Wer in die Gesellschaft eintritt, muss bereit sein, seine eigene Kultur zu verlassen, in eine andere Kultur hineinzuwachsen. Wir konnten drei Wunschziele nennen, und für mich war Brasilien oder besser ganz Südamerika der Wunsch. Es war die Zeit nach dem Zweiten Vatikanum, und die Kirche war dort auf einem sehr guten Weg. Weg von einer von außen versorgten Kirche, mit ausländischen Priestern, hin zu Basisgemeinden, zu einer integrierten Befreiungstheologie. Ich wollte helfen, dass sich die Kirche hier auf eigene Beine stellen konnte, wo der einzelne Mensch als Protagonist gesehen wird, nicht als Empfänger.

Ohne Corona wäre dieses Jahr die 50. Muggelkirmes gefeiert worden. Nun ist es erst die 49. Was hat die Muggelkirmes für Sie für eine Bedeutung?

Seit ich in der Mission bin, wird bei der Muggelkirmes Geld dafür gesammelt. Erst nur für Brasilien, später auch für Afrika und Asien. Ich habe das Geld nicht gezählt, aber es ist sehr viel. Noch wichtiger aber ist, dass die Muggelkirmes viele andere Initiativen ausgelöst hat. Es fing an mit einem Gemeindezentrum in meiner ersten Gemeinde in Rubim, in dem einerseits Gottesdienste gefeiert werden, wo aber andererseits auch soziale Arbeit geleistet wird. Dann gibt es dort ein Krankenhaus, das ohne das Geld aus Olpe nicht auf die Beine gekommen wäre. 1979 gab es eine schlimme Flut, bei der zum Glück keine Menschen starben, wo aber vielen alles genommen wurde. Es gab Geld von Caritas International und anderen Hilfswerken, insgesamt bekamen wir 500.000 DM, aber 10 Prozent davon kamen allein aus Olpe! Meine Mutter rief mich damals an und sagte, sie wisse nicht, wohin mit den ganzen Umschlägen, die für mich bei ihr abgegeben worden waren. Sie hatte allein 15.000 DM zu Hause. Von der Muggelkirmes geht eine regelrechte Strahlung aus.

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1986 wechselten sie nach Vítoria. Was kam da auf Sie zu?

Es gab damals im Bundesstaat Espirito Santo kaum Diözesanpriester, sondern fast nur Missionare aus dem Ausland. Es war abzusehen, dass das irgendwann dazu führen würde, dass keine Priester mehr da sind, wenn wir nicht Einheimische dazu ausbilden. Das Priesterseminar ist immer weiter gewachsen, gerade haben wir ein neues Hochschulgebäude gebaut, aus einer Bibliothek mit 3000 Büchern ist eine mit 50.000 geworden. Praktisch alle Professoren dort sind meine ehemaligen Schüler, fünf von ihnen sind Bischöfe geworden.

Mission ist für Sie nie eine Einbahnstraße gewesen. Wie ist das entstanden?

Das kam einerseits durch die Initiative „Missionare auf Zeit“. Deutsche Jugendliche kamen nach Brasilien und arbeiteten hier ehrenamtlich mit. Später haben wir auch Brasilianer nach Deutschland geschickt, denn wir können gegenseitig voneinander lernen. Zum Weltjugendtag in Köln bin ich 2005 mit Jugendlichen aus Vítoria gereist, und 2013 beim Weltjugendtag in Brasilien kam Bischof König mit 150 Jugendlichen aus der Erzdiözese Paderborn zu uns nach Vítoria, bevor sie nach Rio de Janeiro weiterreisten. Und der erste Ausgangspunkt von alldem war tatsächlich die Muggelkirmes.

Früher wurde in den deutschen Fernsehnachrichten von Überschwemmungen und Waldbränden in Brasilien berichtet. Jetzt gibt es das auch in Deutschland. Was dachten Sie, als Sie die Nachrichten etwa aus dem Ahrtal gesehen haben?

Das Ahrtal ist ja von unserem Missionspriesterseminar in Augustin nur einen Steinwurf entfernt. Ein weltlicher Mitarbeiter hat alles verloren, er und seine Frau haben danach übergangsweise hier gewohnt. Ich hoffe, man lernt daraus und baut nicht an Flüssen. Es gibt einen berühmten brasilianischen Fotografen, Sebastião Salgado, der hat eine Farm geerbt und zweieinhalb Millionen Bäume gepflanzt und damit gezeigt, dass man sehr schnell sehr viel wieder zurückholen kann. Dort ist das Klima besser, dort ist wieder Regenwald. Ich hoffe, die Menschen lernen daraus und stellen ihr Leben um.

Wenn es zur Muggelkirmes nicht klappt, dann sind Sie nach Möglichkeit beim Olper Schützenfest dabei. Warum ist das wichtig?

Ich bin genau zwischen der Martinuskirche und dem Schützenplatz geboren (lacht). Das sind meine Wurzeln, und die darf man nicht abschneiden. Ich in in der ganzen Erzdiözese der einzige Deutsche und spreche außer am Telefon mit niemandem Deutsch, wenn ich in Brasilien bin. Aber wenn ich im Flugzeug nach Deutschland sitze, freue ich mich auf Olpe, und wenn es zurück geht, freue ich mich auf Vítoria. Ich habe zwei Heimaten, ich komme zweimal nach Hause. Ich komme nie richtig an und bin immer unterwegs. Das finde ich schön.

Gibt es zurzeit konkrete Projekte, für die Geld nötig ist?

Ja. Da ist einmal das Programm „Frieden und Brot“, da können sich arme Familien einmal im Monat ein Paket mit Grundnahrungsmitteln und Hygieneprodukten abholen, um wenigstens eine Grundversorgung zu haben. Die Pandemie hat hier viel Elend verursacht. Solange Kinder in die Schule gehen, bekommen sie dort wenigstens einmal am Tag eine ordentliche Mahlzeit. Aber die Schulen waren lange geschlossen, und die Familien konnten das Essen nicht bezahlen. Und dann gibt es leider wieder steigende Zahlen von Obdachlosen. Wir betreiben eine Art Suppenküche oder eher, wie man in Deutschland sagen würde, eine Tafel, wo wir die „moradores de rua“, die Bewohner der Straße, versorgen.

Irgendwann wird der Tag kommen, an dem der Bischof Ihnen den Ruhestand erlaubt. Bleiben Sie dann in Brasilien?

Natürlich. Das ist erstmal auch nicht meine Entscheidung, sondern die zwischen dem Bischof und dem Orden. Aber normal ist, dass wir dort bleiben, wo wir hingeschickt wurden, wenn es gesundheitlich und von den Umständen her geht. Es gibt in Brasilien auch zwei Häuser, in die Missionare im Ruhestand gehen können, und es gibt auch einen Friedhof (lacht).