Siegen/Rönkhausen. 2. Prozesstag im Kettensägerprozess: Zeugen berichten vom dramatischen Tathergang. Ein 30-jähriger Unbeteiligter griff damals mutig ein.

Als ein jahrelanges eheliches Eifersuchtsdrama in der Silvesternacht zu 2022 fast einen tödlichen Verlauf genommen hätte, fasste sich ein eigentlich unbeteiligter junger Mann ein Herz, griff in den lebensgefährlichen Streit ein und verhinderte vermutlich ein Gewaltverbrechen. Das ging aus der Zeugenvernehmung am Donnerstag Vormittag vor der 1. Großen Strafkammer am Landgericht Siegen unter Vorsitz von Richterin Elfriede Dreisbach hervor.

Rasende Eifersucht war der Auslöser dafür, dass ein 52-jähriger Mann wenige Minuten vor Mitternacht am 31. Dezember 2021 mit einem Fleischermesser und einer Kettensäge Kurs auf die Gastwirtschaft Rönk’ser Treff in Rönkhausen nahm, weil er den neuen Lebensgefährten seiner geschiedenen Frau, den Gastwirt, verletzen oder sogar umbringen wollte. Das zumindest hatte er nach der Trennung von seiner Ehefrau 2020 schon angedroht. Mitten in die Rangelei in der Kneipe mischte sich dann der unbeteiligte Kneipengast: ein 30-jähriger Maschinenführer aus Rönkhausen, der gerade vor der Türe gestanden hatte, als der Angeklagte aus dem Auto stieg. Mit Messer und Kettensäge, so der 30-Jährige, sei der Angeklagte auf die Kneipentür zugesteuert und habe deutlich gemacht, wem er an den Kragen wolle. Statt sich aus begründeter Furcht herauszuhalten, verhielt sich der junge Mann heldenhaft, was auch Richterin Dreisbach in der Vernehmung am Donnerstag würdigte: „Sie haben Mut gezeigt.“

„Irgendetwas muss ich machen“

Der Rönkhauser hatte der Richterin zuvor berichtet, an was er sich erinnern konnte: „Als ich das sah, dachte ich nur: Irgendetwas muss ich machen.“ Er sei dann in den Gastraum gegangen, habe den Messerangriff des 52-Jährigen auf den Gastwirt gesehen und den Angreifer mit beiden Armen von hinten um den Hals umschlungen. In dem Moment habe der Gastwirt auch schon mit einer Sektflasche auf den Kopf des Angeklagten geschlagen, und der sei zu Boden gegangen. Mit vereinten Kräften sei es gelungen, den Angreifer am Boden festzuhalten, bis die Polizei eingetroffen sei.

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Interessant: Der 30-Jährige wirkte im Zeugenstand alles andere als abgebrüht. Während er von der Richterin befragt wurde, hatte er Mühe, die Tränen zu halten, seine Stimme zitterte teilweise. Er wache in der Erinnerung an die Tatnacht manchmal nachts auf und sei dann um den Schlaf gebracht, schilderte er. Richterin Dreisbach ermahnte ihn, er solle besser psychologische Hilfe in Anspruch nehmen, um möglichen chronischen Beeinträchtigungen entgegenzuwirken. Bemerkenswert: Auch andere Gäste der Wirtschaft hatten zum Tatzeitpunkt vor der Türe gestanden, um noch eine Zigarette zu rauchen, dem rasenden Angeklagten folgte aber nur der 30-Jährige.

Das heldenhafte Eingreifen des jungen Mannes würdigte nach dessen Zeugenvernehmung sogar der Angeklagte selbst. Er war sich bewusst, dass der 30-Jährige ihn möglicherweise vor einem dramatischen Ausgang des Streites bewahrt hatte: „Ich danke Dir, dass Du mich zurückgehalten hast“, sprach er den 30-Jährigen an, den er offenbar persönlich kannte, da er ihn mit Vornamen ansprach.

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Der Angeklagte selbst beteuerte während des Prozesses, er könne zum Tathergang nicht viel sagen, da er einen weitgehenden Blackout gehabt habe und sich nur noch an wenig erinnern könne. Er nutzte die Gelegenheit aber, sich zu entschuldigen und sein Bedauern zum Ausdruck zu bringen: „Ich entschuldige mich. Das war absolut nicht meine Absicht. Es war eine bösartige Reaktion, die mir von ganzem Herzen leid tut.“ Wesentliche Ursache: die Eifersucht der Ex-Ehefrau gegenüber und die Wut auf deren neuen Lebensgefährten. „Wir waren 24 Jahre verheiratet, haben eine Tochter.“ Er sei durch einen Herzinfarkt und dessen Folgen gesundheitlich stark angeschlagen, habe an dem Abend einen heftigen Streit mit seiner neuen Lebensgefährtin gehabt, die ihm das Ende der Beziehung praktisch vor die Füße geworfen habe. Was die Frau im Zeugenstand am Nachmittag allerdings anders darstellte. Die Initiative zur Trennung sei von ihm ausgegangen.

Der Angeklagte versicherte aber, er habe in der Silvesternacht aus Wut und Verzweiflung Kokain gekauft und eine große Portion durch die Nase gezogen. Zuvor bereits drei große Gläser Wodka mit Red Bull getrunken. Letztlich alles Gründe, die zusammengenommen wohl die Ursache für seinen Blackout gewesen seien. „Ich kann mich an das Meiste nicht mehr richtig erinnern, habe erst wieder im Krankenhaus angefangen, klarer zu sehen. Ich wollte niemand verletzen“, versicherte er. Nicht ganz klar wurde am Donnerstag, ob der Angeklagte mit der Kettensäge den Gastraum betrat oder sie schon vorher aus der Hand gelegt habe. Möglicherweise, um die Tür zur Kneipe zu öffnen. Den Angriff im Gastraum auf den Wirt führte er ausschließlich mit dem Messer.

Ex-Frau sicher: „Wollte uns umbringen“

Seine geschiedene Frau (46), die während der Silvesternacht neben ihrem neuen Lebensgefährten hinter der Theke gestanden hatte, berichtete von einem mehrjährigen Ehedrama mit dem Angeklagten. Ihr Ex-Mann sei immer mal wieder auch handgreiflich geworden und habe ihr mehrfach zu Unrecht Affären unterstellt, ob nun mit einem Nachbarn oder einem Kollegen. Im Zeugenstand hatte sie mit den Tränen zu kämpfen: „Ich war sicher, dass er uns beide umbringen wollte.“ Sie trage immer noch seelische Schäden davon, habe Alpträume und sei in psychiatrischer Behandlung.

Der Prozess, der am 30. Juni begann, wird am 25. Juli fortgesetzt. Weitere Termine sind der 12., 15. und 23. August.