Attendorn. Olena ist mit ihren drei Kindern bei einer Familie im Ihnetal in Attendorn untergekommen. Die vier Ukrainer haben eine echte Tortur erlebt.
Zwei lange Wochen war Olena (38) mit ihren Kindern Sofia (16), Jevgenia (13) und Roman (9) auf der Flucht. Zu Fuß, mit dem Bus, mit dem Zug. Sie kämpften sich an Kiew vorbei, harrten bei Minusgraden in eiskalten Kellern aus, hatten kaum Schlaf und keine Dusche. Und ganze vier Tage lang kein Essen. Sie wollten einfach nur leben, überleben und so schnell wie möglich raus aus der Ukraine, wo seit einem Monat ein grausamer Krieg tobt. Schutz suchen vor dem Bombenhagel, der auch auf ihrer Heimatstadt niederprasselte. Sie lebten in der heftig umkämpften Stadt Tschernihiw nördlich von Kiew. Einfach nur raus aus dem Land, das sie Heimat nennen. Nein, Heimat nannten. Denn zurück möchte die junge Familie nicht mehr.
Bloß nicht in die Sammelunterkunft
Seit Sonntag, 13. März, leben die vier Ukrainer im Sauerland. Genau genommen im Ihnetal in Attendorn. Aufgenommen von Laura (39) und ihrer Familie. Eine Firma aus Plettenberg holte das Quartett zuvor hierher. Die 39-jährige Laura ist selber Mutter von drei Kindern, die ähnlich alt sind wie Sofia, Jevgenia und Roman. Die Attendorner Familie war nach kurzer Überlegung bereit, dem Quartett einen Unterschlupf zu gewähren. Seitdem leben Olena und ihre Kinder in einer kleinen Einliegerwohnung im Ihnetal. 40 Quadratmeter groß, bestückt mit Bad, Küche und Schlafraum. „Meine Tochter“, erklärt Laura im Gespräch mit dieser Redaktion, „war am Ende die Initialzündung dafür, dass wir die Familie aufgenommen haben.“
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Ihre Tochter lebte nämlich bislang in der Einliegerwohnung, sie siedelte von dort kurzerhand um in das Zimmer ihrer kleinen Schwester. Ein Akt der Nächstenliebe.
Doch für immer wird die Familie aus der Ukraine nicht bei Laura und ihrer Familie bleiben können. „Wir waren am Anfang vermutlich etwas naiv und haben gesagt, vier bis sechs Wochen können wir eine Familie aufnehmen.“ Doch die Frage, was mit den Ukrainern anschließend geschehe, sei ihr zunächst gar nicht in den Sinn gekommen. Nachdem Laura mit der Stadt Kontakt aufgenommen hatte, wurde ihr bewusst, wie schwierig es wird, eine dauerhafte Bleibe für ihre Gäste in der Hansestadt zu finden. Denn eines will die Attendornerin unbedingt verhindern: Die vier Ukrainer sollen am Ende bloß nicht in einer städtischen Sammelunterkunft landen. Laura: „Olena und ihre Kinder sind schon ein Mal entwurzelt worden, das wollen wir ihnen ein zweites Mal ersparen. Ich hoffe sehr, dass wir für sie ein Zuhause finden, wo sie zur Ruhe kommen können.“
Ihre Worte möchte sie als Appell verstanden wissen und sie hofft, dass sich jemand findet, der Olena und ihre Kinder für längere Zeit aufnimmt. Dafür rührt sie auch in den sozialen Netzwerken die Werbetrommel. Bis jemand gefunden ist, bleibt die Familie im Ihnetal.
Stadt lässt niemanden im Stich
Ist die Flucht für die junge, hilflose Familie schon grausam genug gewesen, erreichte sie die nächste Tragödie. Der Ehemann und Vater der drei Kinder starb bei einem Angriff auf ihre Heimatstadt. Sofia, Jevgenia und Roman wachsen also ohne Vater auf. Fernab der alten Heimat.
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In der neuen Heimat, in Attendorn, soll daher vieles besser werden. Nein, alles. Olena will arbeiten, ihre Kinder sollen die Schule besuchen, Kontakte knüpfen, die deutsche Sprache lernen. „Die Familie ist so unglaublich sympathisch, die Kinder sind so toll erzogen und aufgeschlossen“, beschreibt Laura ihre Gäste. Und natürlich nehmen die Gastgeber auf Zeit die vier Flüchtlinge an die Hand, zeigen ihnen die Stadt oder den Biggesee. Und geben ihnen die Zeit, die sich für sich brauchen. „Am Anfang“, erinnert sich Laura, „brauchten sie vor allem Ruhe und haben nach dieser anstrengenden Flucht viel geschlafen.“
Dass die drei Kinder dieses Trauma der Flucht vermutlich ein Leben lang mit sich tragen, zeigt sich an kleinen, für uns so banalen Dingen. „Eines der Kinder sah ein Flugzeug bei uns am Himmel und dachte, jetzt fallen wieder die Bomben“, erzählt Laura, selber kurz davor, ein paar Tränen zu verdrücken.
Als Mutter kann sie nur allzu gut nachvollziehen, was Olena durchmachen muss. Ihr will sie insbesondere Halt geben. Und für die Familie eine dauerhafte Bleibe finden.
„Wir lassen niemanden im Regen stehen und würden selbstverständlich die Betreuung übernehmen, wenn sich auf privatem Wege niemand findet“, verspricht Attendorns Sozialamtsleiterin Christiane Plugge. Doch auch sie könne heute nicht sagen, wie die Situation in wenigen Wochen aussieht und ob man eine städtische Wohnung findet – oder die Familie am Ende doch in einer Sammelunterkunft leben muss. Doch genau das möchte Laura aus dem Ihnetal ihren vier Gäste unbedingt ersparen. Koste es, was es wolle.