Kreis Olpe/Siegen. IHK-Präsident Felix G. Hensel gibt sein Amt in diesem Sommer nach acht Jahren ab. Wie steht die IHK da? Was erwartet uns in der aktuellen Krise?
Nach acht Jahren im Amt wird der Lennestädter Unternehmer Felix G. Hensel (75) im Juni sein Amt als Präsident der IHK Siegen/Olpe in andere Hände übergeben. Ab Montag, 7. März, werden die in der IHK organisierten etwa 25.000 Unternehmen, ihre IHK-Vertreter wählen können, die dann in der Vollversammlung den neuen Präsidenten bestimmen. Zum Ende seiner Amtszeit stand uns Felix G. Hensel im Interview Rede und Antwort, auch angesichts der gerade so schwierigen Zeit.
Frage: Herr Hensel, acht Jahre IHK-Präsident. Im Gegensatz zu einem US-Präsidenten dürften Sie ja noch länger. Warum der Abschied?
Felix G. Hensel: Es wird ja alle zwei Jahre gewählt, insofern bin ich dreimal wiedergewählt worden. Und in meinem fortgeschrittenen Alter denke ich jetzt einfach, irgendwann ist es auch mal gut. Da ich nicht mehr für die Vollversammlung kandidiere, erfolgt das Ausscheiden aus dem Amt automatisch.
Was hat Sie während Ihrer Amtszeit am meisten gefreut?
Die Zusammenarbeit in der IHK mit den hauptamtlich Verantwortlichen. Das hat mir viel Freude bereitet, weil wir Dinge gemeinsam bewegen konnten und in der Öffentlichkeit ein vernünftiges Bild abgegeben haben. Zudem habe ich sehr viele Unternehmen und viele interessante Menschen kennengelernt.
Gewählt wird der IHK-Präsident von der IHK-Vollversammlung. Können Sie für einen Laien erklären, was eine solche Vollversammlung überhaupt ist?
Unter Vollversammlung verstehen wir das sogenannte Parlament der Wirtschaft, in das bei uns insgesamt 43 Mitglieder gewählt werden.
Wie ist das zahlenmäßige Verhältnis zwischen den Kreisen Siegen und Olpe?
Etwa zwei Drittel zu einem Drittel.
Das entspricht aber wohl nicht dem industriellen Gewicht der Regionen?
Das Gewicht des Kreises Olpe ist in der Tat gestiegen, was die Parameter Ertragslage, Beschäftigtenzahl und Umsatz betrifft.
Welches ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Aufgabe der IHK?
Die regionale Wirtschaft zu fördern und gegenüber Politik und Verwaltungen Sprachrohr zu sein.
Ist das eine Form des Lobbyismus?
Nein, mit Lobbyarbeit hat die IHK nichts zu tun. Sie ist eine öffentlich-rechtliche Institution, vom Gesetzgeber gewollt, als Selbstverwaltung der Wirtschaft. Für alle Fragen, die die regionale Wirtschaft betreffen, haben wir unser Mandat und können und sollen Stellung beziehen.
Wie viele Mitglieder hat die IHK Siegen/Olpe eigentlich?
Etwa 25.000.
Und jedes dieser Mitglieder zahlt einen Beitrag?
Nicht alle. Momentan sind es etwas mehr als die Hälfte der Unternehmen, die beitragspflichtig sind, die anderen nicht.
Womit hängt das zusammen?
Mit den Erträgen der Unternehmen. Wer sehr niedrige Erträge hat, zahlt nichts. Erst ab einer gewissen Schwelle.
Wann und wo wird die Vollversammlung stattfinden?
Am 21. Juni, wahrscheinlich in der Siegerlandhalle. Im Anschluss daran wird ein Empfang stattfinden, anlässlich des Präsidentenwechsels.
Vom 7. März bis 1. April wählen die Unternehmen ihre Vertreter in die IHK-Vollversammlung. Wie viele Mitglieder hat die Vollversammlung und wie viele Bewerber gibt es?
Es gibt 125 Kandidaten in 18 Wahlgruppen, und 43 werden gewählt.
Wie viele IHK-Präsidenten kamen bisher aus dem Kreis Olpe?
In den 173 Jahren der IHK-Geschichte bisher zwei, Franz Becker und ich.
Aus wie vielen Personen besteht das gesamte IHK-Präsidium?
Aus dem Präsidenten und vier Vizepräsidenten. Das sind momentan Axel Barten, der wie ich nicht mehr zur Verfügung stehen wird, das sind Walter Viegener aus Attendorn sowie Christian Kocherscheidt und Jost Schneider aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein. Wichtig ist, dass sowohl die Regionen als auch die Branchen ausgewogen vertreten sind. Ich freue mich dieses Mal besonders über eine Rekordbeteiligung der Bewerber. So viele haben wir noch nie gehabt. 2014, als ich zum Präsidenten gewählt wurde, gab es 71 Bewerber auf die 43 Sitze. 2018 waren es 100, und dieses Mal sind es 125.
Woher kommt das gewachsene Interesse?
Das werten wir durchaus als Wertschätzung der IHK gegenüber. Die Unternehmen sehen, dass die IHK gehört wird, dass sie in der Öffentlichkeit präsent ist und gute Leute im Hauptamt gute Arbeit leisten. Offenbar wird anerkannt, dass eine Mitwirkung in der IHK Sinn macht. Das haben wir vermitteln können. So viele Bewerber für die Vollversammlung sind auch im Vergleich der Industrie- und Handelskammern eine starke Hausnummer.
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Was werden die zentralen Aufgaben der IHK in den nächsten Jahren sein, sein müssen?
Wir haben die ganz wesentliche Aufgabe, für die duale Ausbildung zu werben. Wir müssen dabei helfen, dass niemand verloren geht. Allerdings herrscht in der Öffentlichkeit auch ein Vorurteil im Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel. 1994 war ein Tiefpunkt der Lehrverträge. Damals hatten wir 1513 Lehrverträge abgeschlossen. In den zehn Jahren vor der Coronapandemie hatten wir im Durchschnitt, also von 2009 bis 2019, rund 2280 pro Jahr. Durch Corona gab es einen Knick in 2020. Die Zahl sank auf 1820, und wir freuen uns jetzt, dass wir 2021 wieder auf fast 1940 angewachsen sind. Aber die Zahl zeigt, dass wir noch lange nicht wieder auf dem Vor-Corona-Niveau sind.
Aber was wollen Sie gegen die grassierende Akademisierungstendenz tun?
Es ist schwierig, entgegen zu steuern. Wir müssen in die Köpfe der Eltern, aber auch in die der Lehrer. Wir können nur nach dem Motto wirken: Steter Tropfen höhlt den Stein.
Welche Themen stehen darüber hinaus ganz oben auf der IHK-Agenda?
Der stationäre Einzelhandel und die Gastronomie trugen und tragen die Hauptlasten der Pandemie. Sie verdienen weiterhin unsere volle Unterstützung. Darüber hinaus müssen wir noch stärker verdeutlichen, dass Deutschland in vielen Disziplinen zu träge geworden ist. Das gilt für die Realisierung von Ortsumgehungen, für neue Stromtrassen, für Gewerbegebiete und vieles mehr. Da müssen wir als IHK unsere Stimme erheben. Möglicherweise verstärkt auch in sozialen Medien und auch gegen einen immer stärker vorpreschenden Mainstream. Allerdings immer mit dem Mandat unserer Mitglieder.
Aber wie wollen Sie permanent wissen, was die IHK-Mitglieder gerade denken?
Über unsere Umfragen, die uns ein aktuelles und repräsentatives Bild geben über die Stimmungslage in den Unternehmen. Es geht nicht darum, dass IHK-Hauptgeschäftsführer Klaus Gräbener oder ich unsere persönlichen Meinungen kundtun, sondern wir müssen als IHK die Positionen unserer Mitglieder in der Öffentlichkeit vertreten.
Herr Hensel, kein Interview in diesen Tagen ohne das Thema Russland-Ukraine-Krieg. Was denken Sie in diesem Moment darüber?
Eine europäische Katastrophe, die uns noch lange zu schaffen machen wird, die ich zutiefst bedauere und der ich fassungslos gegenüberstehe.
Wer kann Sanktionen länger aushalten, Russland oder Europa?
Wir hängen sowohl beim Gas, als auch bei Öl und Kohle stark von Russland ab. Während wir bei Öl und Kohle eher noch die Möglichkeiten haben, alternative Lösungswege zu finden, ist das beim Gas deutlich schwieriger. Wenn uns der Gashahn tatsächlich abgedreht würde, könnte das zu einer schweren Rezession in unserem Land führen. Aber Russland würde durch weiter verschärfte Sanktionen deutlich stärker getroffen als der Westen.
Fällt Deutschland die Energiepolitik der vergangenen Jahre jetzt auf die Füße?
Meiner Meinung nach ja. Die Beschlüsse wurden vor über zehn Jahren nicht vom Ende her gedacht. Wir wollen aus Kohle und Kernkraft aussteigen, ohne in etwas anderes einzusteigen. Und das geschah auch noch zu schnell und führte zugleich in die große Abhängigkeit von russischer Kohle und russischem Gas.
Sie sprechen vermutlich die Atomkraft an. Aber können Laufzeiten nicht verlängert, stillgelegte Reaktoren hochgefahren werden?
Die großen Atomkraftwerksbetreiber weisen mit Blick auf diese Frage auf technische Probleme hin. Das ist offenbar schwierig. Wenn die Kernkraft nicht mehr zur Verfügung stehen sollte, müssen die Kohlekraftwerke länger laufen, um die Grundlast zu sichern. Schließlich weht der Wind nicht immer und nachts scheint selbst im Sauerland nur gelegentlich die Sonne. Eigentlich benötigen wir auch jede Menge Gaskraftwerke, aber da stellt sich jetzt die Frage, wo soll das Gas herkommen? Fachleute sprechen davon, dass wir für eine verlässliche Grundlastsicherung zusätzlich 6.000 Gasturbinen benötigen. Wer sich für verschärfte Sanktionen ausspricht, muss das bedenken.
Was sagen die Unternehmen im IHK-Bezirk Siegen zur Energiepolitik?
Wir haben genau zu den Themen repräsentative Antworten in unserer jüngsten Umfrage bekommen. Danach gefragt, wie aus Sicht der heimischen Unternehmen vorrangig eine sichere, bezahlbare und umweltverträgliche Energieversorgung zu gestalten wäre, fordern 74 Prozent der Firmen niedrigere Steuern und Abgaben auf den Strompreis, 57 Prozent eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren und immerhin 41 Prozent, wieder auf die Kernkraft zu setzen. Das sollte der Politik doch zu denken geben.
Aus dem operativen Geschäft ihres Unternehmens haben Sie sich zurückgezogen, jetzt der Abschied vom IHK-Präsidium. Hat Ihre Frau nicht opponiert, Sie mögen sich eine neue Aufgabe suchen?
Nein, das hat sie nicht. Wir überlegen, uns E-Bikes anzuschaffen, das Golf spielen ein wenig zu aktivieren und ansonsten mal ein bisschen mehr Freizeit genießen. Außerdem sind wir seit mehr als 30 Jahren auf den Hund gekommen. Unabhängig davon bleibe ich unserem Unternehmen weiterhin als persönlich haftender Gesellschafter erhalten.
Zur Person
Felix G. Hensel (75) wurde in Lindlar geboren, ist verheiratet und Vater dreier Kinder.
Der Diplom-Betriebswirt übernahm 1974 die Geschäftsführung der Gustav-Hensel KG in der Nachfolge seines Vaters. Seit 2018 ist sein Sohn Philipp Hensel geschäftsführender Gesellschafter. Das Unternehmen beschäftigt über 900 Mitarbeiter an mehr als 14 Standorten im In- und Ausland.
Hensel war unter anderem 16 Jahre im Vorstand des Zentralverbandes der Elektroindustrie, 15 Jahre Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes für den Kreis Olpe und ist seit 2014 Präsident der Industrie- und Handelskammer Siegen/Olpe.