Attendorn. Anja Brehme ist Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Sie hat in Attendorn eine Praxis eröffnet.

Anja Brehme ist Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Zu Beginn dieses Jahres hat sie eine Gemeinschaftspraxis mit Dr. Cornelia Vitt-Beiler in Attendorn eröffnet, die Anja Brehme ärztlich leiten wird. Es ist der zweite Standort, der erste befindet sich in Siegen. Dort hat Dr. Cornelia Vitt-Beiler die Leitung. Im Interview spricht die 50-Jährige nicht nur über den Weg von der Oberärztin zur eigenen Praxis, sondern erzählt auch, wie belastend die Corona-Pandemie für Kinder und Jugendliche ist.

Hallo Frau Brehme. Sie waren zuvor Oberärztin in einer Lüdenscheider Klinik. Wie kam es denn nun zu der Praxisgründung?

Anja Brehme: Nach meinem Studium und der Facharztausbildung an der Uniklinik Aachen bin ich 2006 „der Liebe nach“ zu meinem Mann in seine Heimat nach Heggen gezogen. Er hat dann eine Praxis in Plettenberg eröffnet und ich habe neben der Erziehung unserer beiden Töchter in Lüdenscheid im Krankenhaus als Oberärztin gearbeitet. Meine Kollegin, Dr. Cornelia Vitt-Beiler, hat ihre Praxis schon ganz lange in Siegen und sie hat mich schon oft gefragt, ob ich nicht mit ihr zusammen arbeiten möchte, aber hierfür benötigten wir eine weitere Zulassung. Nachdem sich letztes Jahr die Gelegenheit ergab, haben wir geschaut, wo es geeignete Räumlichkeiten gibt, um im Raum Siegen/Sauerland eine Praxis zu eröffnen, denn eine Zulassung ist immer auch an ein Gebiet gebunden.

Und warum haben Sie sich für Attendorn entschieden?

Wir haben dieses Gebäude bei der Suche gefunden und dachten direkt, dass dies von den Räumlichkeiten wunderbar geeignet wäre, noch dazu als wir den „Weg der Kinderrechte“ entdeckten. „Das passt wie angegossen“, dachten wir. Ich arbeite hier in einem Team mit Sozial- und Heilpädagogen, es ist eine sogenannte „Sozialpsychiatrische Praxis“, die eng mit verschiedenen Institutionen wie Ergotherapeuten, Logopäden, Schulen und Jugendämtern kooperiert.

Das klingt ja wirklich toll. Die Nachfrage ist bestimmt groß.

Wir hoffen, dass wir hier im Gebiet des nördlichen Sieger- und südlichen Sauerland das Angebot für betroffene Familien und ihre Kinder erweitern können. Wir haben hier ganz frisch am 10. Januar angefangen. Allerdings hatten wir schon vorab mit diversen Kinder- und Hausärzten und Psychotherapeuten Kontakt aufgenommen und diese über die Neueröffnung informiert und dann in Siegen eine Warteliste eingerichtet, damit wir direkt am 10. Januar die ersten Patienten behandeln konnten.

Wie viele Patienten können Sie denn behandeln?

Dank meines Teams können wir hoffentlich vielen Familien helfen. Dabei schauen wir individuell, was die Patienten und ihre Familien benötigen. In konkreten Zahlen kann man dies nicht gut beziffern.

Wie alt sind die Patienten denn im Schnitt?

Behandeln darf man die Kinder und Jugendlichen quasi von 0 bis 18 Jahren. Wenn man den Patienten schon kannte, bevor dieser 18 Jahre alt war, darf man diesen aber auch bis zum 21. Lebensjahr behandeln. Dabei geht es um ganz verschiedene Krankheitsbilder, wie beispielsweise ADHS, Zwänge, Depressionen, Traumatisierungen, Essstörungen oder Schulschwierigkeiten wie Mobbing etc.

Insbesondere wenn Sie von traumatisierten Kindern sprechen, nimmt man da etwas mit nach Hause oder lässt das einen mit der Zeit irgendwann kalt?

Nein, kalt lässt es einen nie. Ich denke, dann hätte man den Beruf verfehlt. Aber man lernt professionell damit umzugehen, und wenn man merkt, dass man den Patienten helfen kann, sie Fortschritte machen und sich stabilisieren, dann freut man sich umso mehr, dass man helfen konnte.

Wie kamen Sie denn zu dem Beruf?

Ich wollte schon immer Kinderärztin werden. Während meiner Weiterbildung habe ich zuerst in einer Kinderklinik auf der Frühchen-Station gearbeitet. Bei den sehr kleinen Babys war die Perspektive früher häufig noch oft sehr ungewiss und ich habe gemerkt, wie unglücklich ich war, wenn ich das Gefühl hatte, dass ich nicht sicher helfen kann. Während meines damaligen AiP’s (Arzt im Praktikum, mittlerweile abgeschafft) war ich dann in der Kinderpsychiatrie und habe gemerkt, das mir diese Arbeit mit jungen Patienten und ihren Familien viel Spaß macht und so bin ich zu diesem Fachgebiet gekommen.

Sie sind also schon einige Jahre dabei. Was macht die Corona-Pandemie denn mit den Kindern und Jugendlichen?

Man sieht, dass Kinder und Jugendliche unter dem Wegfall von Tagesstrukturen und sozialen Kontakten sehr leiden. Im Vergleich zu der Zeit vor Corona haben suizidale Gedanken, Depressionen und auch Essstörungen deutlich zugenommen.

Aber da spielen bestimmt auch soziale Medien eine wesentliche Rolle – oder?

Ja, man merkt immer wieder, wie schnell sich Kinder und Jugendliche durch Cybermobbing in die Ecke gedrängt fühlen. Das gab es früher nicht. Ebenso spielt das vermehrte Auseinandersetzen mit den Schönheitsidealen, die über Social Media vermittelt werden, eine Rolle, dies kann dann auch mit zu Essstörungen führen.

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Noch mal zurück zur Pandemie: kann man feststellen, wer da mehr leidet? Sind es Kinder oder Jugendliche?

Das ist schwierig. Beide leiden. Allerdings auf unterschiedliche Art und Weise. Jugendliche vor allem dadurch, dass soziale Kontakte wegfallen, sie sich nicht ausprobieren können, die ersten Partys oder auch wichtige Veranstaltungen wie der Abiball zum Beispiel wegfallen. Kinder hingegen leiden eher, weil die Eltern auch oft in Sorge sind. Diese verstärkte Unsicherheit und auch vermehrte Spannungen innerhalb der Familie belasten oft die kleineren Kinder.

Und wie kann man da helfen?

Das ist immer auf jedes Kind individuell abgestimmt. Aber gerade mit Hinblick auf die Pandemie versuchen wir Tagesstrukturen wiederherzustellen und üben soziale Interaktionen.

Sie haben hier in der Praxis in Attendorn ja auch einen Therapiehund.

Genau. Das ist Arietty. Sie unterstützt auf ganz verschiedene Art und Weise. Manchmal hilft es schon, dass der Hund einfach nur da ist. Das gilt vor allem für Patienten, die zunächst gar nicht mit mir sprechen möchten. Aber Arietty kann auch das Selbstbewusstsein der Kinder und Jugendlichen stärken – und zwar auf spielerische Art und Weise. Unter anderem dadurch, dass die Patienten ihr Kommandos geben und sie hört und die Patienten so erleben, dass sie etwas bewirken können. Und sie kann auch eine Stütze sein für Angstpatienten. Arietty ist gerade erst ein Jahr alt, befindet sich noch in der Ausbildung und muss noch viel lernen, aber die Patienten finden sie jetzt schon toll.