Bamenohl. Jessica Ruf (26) aus Bamenohl hat lange mit ihrem Körper gekämpft, ihre Bilder immer bearbeitet – bis sie letztes Jahr an einen Wendepunkt kam.
Als Jugendliche hatte sich Jessica Ruf eine Höhle gebaut. Ein Versteck aus weiten Klamotten und einem emotionalen Schutzwall. Sätze wie „Bist du sicher, dass du das noch essen willst?“ sollten daran abprallen. Doch die Mauer bekam mehr und mehr Risse. „In der Jugend zerfressen solche Kommentare das Selbstwertgefühl. Ich hatte zwar gute Freunde, die mich immer unterstützt haben, wenn sowas kam. Aber solche Situationen bleiben einem im Gedächtnis“, sagt die heute 26-Jährige aus Bamenohl. Mittlerweile hat sie Frieden mit ihrem Körper geschlossen, ist sogar stolz auf ihn. Bis dahin war es aber ein weiter Weg.
Aufwachsen mit GNTM: „Es gab nur das Bild des großen, dünnen Models“
„Ich war nie schlank“, meint die Altenpflegerin. Lange habe sie aber gedacht, dass sie es sein müsste, um liebenswert zu sein. Der Vergleich mit den Mädchen in der Schule und Fernsehformate wie „Germany’s Next Topmodel“ forcierten diese Wahrnehmung. „Vor 10, 15 Jahren gab es nur das Bild des großen, dünnen Models. Mit langen Beinen, einem flachen Bauch und markanten Wangenknochen. Und nichts davon hatte ich.“ Es folgten Diäten. Viele Diäten. Auf Kohlenhydrate verzichten, auf Fett verzichten, auf ganze Mahlzeiten verzichten. „Das ist eine Woche ganz gut gegangen. Und fing dann wieder von vorne an“, erinnert sich Jessica. Mit dem Heißhunger trat der Jojo-Effekt ein. Jessica arbeitete gegen ihren Körper – und verlor den Kampf um ein positiveres Selbstbild.
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Über die Jahre verfestigte sich die Spirale aus Kritik und Abwertung in Jessicas Denken. Bis sie an einen Punkt gelang, an dem sie so nicht weitermachen wollte. Das war im Frühjahr 2021. Die Waage zeigte mittlerweile 112 Kilo an; ein Wert, der vor allem gesundheitlich bedenklich war. Der Corona bedingte Lockdown drückte zusätzlich auf die Stimmung. Jessica wollte sich eine neue Herausforderung, eine neue, sinnvolle Aufgabe in ihrer Freizeit suchen. Sie meldete sich bei einer Online-Plattform an, die Frauen dazu ermutigt, sich ein zweites Standbein im Beauty-Business aufzubauen. In dem Coaching wurde auch das persönliche Mindset als Baustein für den Erfolg aufgegriffen. „Das hat mir enorm geholfen, mich selbst zu reflektieren. Erst dadurch ist mir bewusst geworden, dass mein komplettes Denken bisher falsch war. Und dass nur ich etwas daran ändern kann“, erzählt Jessica. Sie stellte sich vor den Spiegel und sprach sich Mut zu. Statt ihr Äußeres zu verurteilen, sich feindlich gegenüberzutreten, änderte sie ihren Fokus. Weg von dem Ideal hin zu mehr Selbstbestimmung. Mehr Gesundheit, mehr Lebensfreude.
Das erste unbearbeitete Bild auf Instagram
Jessica fasste einen Entschluss. Und machte diesen öffentlich. „Bis dahin war mein Instagram-Account im Privat-Modus. Ich habe sonst immer entschieden, wen ich an meinem Leben teilhaben lasse und wen nicht.“ Dann kam der 27. Mai 2021. Ein Wendepunkt für Jessica. Sie riss ihre selbsterrichteten Mauern im Kopf ein und traute sich aus ihrem Versteck. Es ist der Tag, an dem sie sich nicht mit weiten Klamotten, sondern mit enger Hose und einem bauchfreien Top zeigt. Für jeden sichtbar. Fast zwei Wochen lang hat sie überlegt, ob sie dieses Bild von sich wirklich zeigen soll. Weil es nichts kaschiert, weil es Dehnungsstreifen zeigt, weil es nicht perfekt ist. „Ich habe mich lange nicht getraut, so etwas zu zeigen. Alle Bilder von mir habe ich davor immer bearbeitet. Ich habe meine Hüfte und mein Gesicht schmaler gemacht und Cellulite wegretuschiert.“ Sie erschuf eine Kopie von sich. Am 27. Mai 2021 zeigte sie zum ersten Mal „die echte Jessica“. „Jeder, wirklich jeder hat das Recht sich so zu präsentieren, wie er sich am wohlsten fühlt. Und ja, ich fühle mich wohl in meinem Körper“, schrieb Jessica darunter.
Der befürchtete Gegenwind blieb aus. Stattdessen erreichten sie sehr viele bestärkende Nachrichten. Nachrichten, in denen sie für ihre Offenheit und ihren Mut bewundert wurde. Kommentare, die sie an die Schönheit der „echten Jessica“ glauben ließen. Weil sie authentisch war. „Natürlich kam auch der ein oder andere negative Kommentar. Aber bei so viel positiven Rückmeldungen, war mir das egal. Ich war an einem Punkt, an dem ich das gut mit mir vereinbaren konnte, nicht mehr allen gefallen zu müssen.“
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Mit statt gegen den Körper
Ihre Freundin, mit der Jessica seit mittlerweile dreieinhalb Jahre zusammen ist, hat ihre Schönheit schon lange davor erkannt. „Sie hat mir immer wieder gesagt, dass sie mich genauso liebt, wie ich bin. Aber ich konnte das lange Zeit nicht glauben und überhaupt keine Komplimente annehmen“, meint Jessica. Mit ihrem veränderten Fokus verstand Jessica jedoch, dass sie mehr als nur ihr Körper ist. Sie konzentrierte sich nicht mehr auf ihr Ideal aus der Jugend, sondern auf ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit. Sie machte Hula-Hoop-Workouts zuhause, weil sie dadurch abschalten konnte und es ihr Spaß machte. Sie achtete auf eine gesunde, ausgewogene Ernährung, ohne sich etwas zu verbieten. Sie arbeitete nicht länger gegen, sondern mit ihrem Körper – und gewann den Kampf um mehr Zufriedenheit.
In einem Jahr hat Jessica rund 35 Kilo abgenommen. „So viel hatte ich mir ursprünglich gar nicht vorgenommen. Und mehr möchte ich auch nicht abnehmen. Meine Röllchen und Kurven gehören einfach zu mir“, sagt sie mittlerweile sehr selbstbewusst. Beim Treppensteigen ist sie nicht mehr außer Atem, ihre Beine sind nach einem harten Arbeitstag nicht mehr schwer. Durch ihre Akzeptanz hat Jessica ein neues Körpergefühl gewonnen. Ein Gefühl, das nicht durch eine Zahl, sondern durch eine Einstellung definiert ist. Eine Botschaft, die Jessica auch anderen vermitteln möchte. „Ich habe keine große Reichweite. Aber wenn ich nur fünf Menschen mit meiner Geschichte abholen, sie vielleicht inspirieren kann, dann ist das ein sehr großer Erfolg.“