Attendorn/Lennestadt. Drei Freunde aus Attendorn kauften 2020 ein Cockpit einer russischen Boeing 737. Jetzt ist der Flugsimulator fertig. Ein Probeflug über New York.
Über den Grand Canyon fliegen oder das Taj Mahal aus der Luft sehen: Den drei Freunden Tim Schröder, Mario Hachenberg und Alex Günzel aus Attendorn steht die Welt offen. Auch in Corona-Zeiten. Ohne Visum. Jederzeit. Denn im Sommer 2020 haben sie sich einen Traum verwirklicht: Sie haben sich das Cockpit einer Boeing 737 gekauft. Und daraus in nicht mal einem Jahr einen Flugsimulator gebaut. „Wir können von jedem Flughafen der Welt starten und jeden anfliegen“, sagt Tim Schröder. Ohne die gepolsterten Sitze verlassen zu müssen.
Kontakt über eine Facebook-Gruppe nach Moskau
Tim Schröder, Elektroniker bei Gedia, hatte die Flugzeugnase einer ausrangierten Boeing 737 in einer Facebook-Gruppe entdeckt, wo ein Nutzer aus Moskau sie zum Verkauf angeboten hatte. Anfang September traf das Cockpit schließlich beim Hauptzollamt in Siegen ein, von dort wurde es zunächst nach Attendorn transportiert. In den Garten von Tim Schröders Oma. Dämmmaterial herausnehmen, Kabel und Sicherungen entfernen, entkernen. „Im November 2020 konnten wir dann in die Halle umziehen. Das war auch nötig, weil es zu dem Zeitpunkt schon sehr nass draußen war und sich das nicht gut mit der Elektronik vertragen hat“, erzählt Alex Günzel.
Der Umzug in eine Lennestädter Lagerhalle war Zentimeterarbeit. „Wir haben fast zwei Tage gebraucht, bis wir das Cockpit von der Tür in die Halle transportiert haben. Ständig hat sich irgendwas verkantet, wir mussten immer wieder vor und zurück“, erinnert sich Tim Schröder. Als das Cockpit schließlich sicher und trocken in der Halle stand, ging es endlich an den Innenausbau. Zumindest theoretisch. „Wir waren ständig auf der Suche nach Originalteilen. Da haben wir eigentlich alles genommen, was aktuell angeboten wurde“, sagt Tim Schröder. Gut eineinhalb Stunden habe er morgens, noch vor der Arbeit, damit verbracht, Online-Verkaufsplattformen, Foren und Facebook-Gruppen zu durchforsten. „Vieles kommt beispielsweise aus Amerika. Da wollte ich einer der ersten sein, bevor die guten Angebote schon wieder weg waren.“
Flugsimulator soll im März 2022 für Interessierte zugänglich sein
Die Taktik zahlt sich aus. Schnell haben die Freunde die erforderlichen Teile zusammen und verbauen sie in ihrem Cockpit. „Es funktionierte auch ein bisschen nach dem ‚Trial-and-Error‘-Prinzip. Aber immerhin hatten wir ja Erfahrungen damit, wie was anzubinden ist“, meint Alex Günzel, der ebenfalls bei Gedia als Teamleiter der Prozesskontrolle arbeitet. Drei bis vier Tage in der Woche tüfteln die Freunde am Cockpit herum, verbinden es mit der Flugsimulations-Software. Und dann der große Tag: 10. Mai 2021. Der erste Flug. Das Datum ist an der Spanplattenverkleidung an der Außenwand des Cockpits verewigt.
„Wir haben viel Geld, Zeit und Herzblut in das Projekt gesteckt“, sagt Mario Hachenberg, der als Industriekaufmann bei Beulco tätig ist. Aber es sei eben ein Traum, der die drei verbindet. Und an dem sie auch bald Andere teilhaben lassen wollen. „Wir hoffen, dass wir etwa ab März 2022 den Flugsimulator auch für alle anbieten könnten, die Lust haben, mal so etwas auszuprobieren“, sagt er. Bis dahin müsse die Halle noch etwas „aufgehübscht“ werden, das Flieger-Ambiente – unter anderem mit Stuhlreihen aus einer Boeing 747 der „Iberia“-Airline – vervollständigt werden.
Rundflug über New York: Über die Skyline und der Freiheitsstatue
„Wo soll es heute hingehen?“, fragt Tim Schröder. Spontane Idee: New York. „Da bin ich selbst noch nicht drüber geflogen. Meistens bleiben wir in Europa. Okay!“ Als Pilot nimmt er Platz auf dem linken Sitz, die Reporterin setzt sich rechts auf den Co-Piloten-Sitz. Auf dem IPad gibt Tim Schröder das Kürzel des Flughafens an: KJFK. John F. Kennedy International Airport. Auf die sichelförmige Leinwand vor uns wird ein Rollfeld projiziert. Gepäckwagen fahren umher, vor uns das Gate, darüber weiße Wolkenstreifen. Tim Schröder legt mehrere Schalter am Panel an der Decke um. Die Triebwerke starten. Checklist-Kontrolle. Alles in Ordnung. Wir fahren rückwärts aus der Parkbucht, drehen und rollen auf die Startbahn zu. Per Handhebel in der Mittelkonsole wird Gas gegeben. Die Maschine wird schneller und schneller, die Landschaft auf der Leinwand flitzt vorbei. „Jetzt das Steuer zum Körper ziehen“, sagt Tim Schröder und – das Flugzeug hebt ab.
„Auf dem ‚primary flight display‘ direkt vor uns können wir sehen, mit wie viel Knoten wir unterwegs sind und wie hoch wir aktuell fliegen“, erklärt er. Ein künstlicher Horizont gibt Orientierung. „Das ist vor allem wichtig, wenn man in eine Wolke hineinfliegt. Da hat man keine Sicht mehr und verlässt sich auf das Instrument, um den Kurs zu halten.“ Heute ist es aber nahezu wolkenlos am New Yorker Himmel. Kein Zufall. Das Wetter hat Tim Schröder extra für die unerfahrene Co-Pilotin so eingestellt.
Es geht vorbei an riesigen Lagerhallen, eng gebauten Wohngebieten, Parks und noch mehr Häusern. Die ersten Wolkenkratzer tauchen am Horizont auf, werden größer und größer. Einer sticht besonders hervor: das One World Trade Center, das höchste Gebäude der Stadt. Wir leiten eine Rechtskurve ein, Richtung Freiheitsstatue. Das Flugzeug verhält sich anders als das Auto. „Jetzt schon wieder gegenlenken, sonst werden wir zu schräg“. Es braucht ein paar Sekunden, bis wir wieder gerade durch die Luft fliegen. Geschafft. „Den Passagieren wäre jetzt der Kaffee umgekippt. Oder sie hätten sich übergeben“, meint Alex Günzel und lacht.
Das Sonnenlicht spiegelt sich im Hudson River. Es geht vorbei an der Freiheitsstatue, am Liberty State Park und wieder höher. Wieder Richtung JFK. „Da vorne, der silber-weiße Strich, das ist unsere Landebahn“, sagt Tim Schröder. Aus dieser Höhenposition ist er nicht größer als ein Wattestäbchen. Wir drücken das Steuer leicht nach vorne, um zu sinken. Weiter und weiter. Dann wieder das Steuer anziehen, um nicht in einen Sturzflug zu geraten. Die Landeklappen werden ausgefahren, wir werden langsamer. Wir setzen auf. Nicht ganz grade, aber immerhin auf der Landebahn und rauschen mit über 200 km/h über die Bahn. Bremsen. Geschafft. Sicher wieder am Boden angekommen. Ohne ihn auch nur ein Mal verlassen zu haben.