Kreis Olpe. Starten die Vereine im Kreis Olpe nach Corona durch oder werden die Krisenfolgen länger zu spüren sein? Ein Schützen-Forscher gibt Antworten.

Mehr Besucher, mehr Aspiranten für den Königsthron, zumindest stabile Mitgliederzahlen: Mit großem Optimismus blicken die Teilnehmer unseres Schützen-Checks auf die Entwicklung ihrer Vereine in den kommenden Jahren – und das, nachdem in den vergangenen beiden Jahren kaum Veranstaltungen möglich waren.

Jonas Leineweber. 
Jonas Leineweber.  © privat

Jonas Leineweber forscht an der Universität in Paderborn zum Schützenwesen. Ziel seines Projektes „Tradition im Wandel“ ist es, historische Entwicklungslinien aufzuzeigen, Risiken für die Kulturform zu ermitteln und Zukunftskonzepte für Vereine zu erarbeiten.

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Im Interview erklärt er, ob die Zuversicht vieler Schützen-Fans realistisch ist und welche Fehler die Vereine im Kreis Olpe in den nächsten Monaten vermeiden sollten.

Die Schützenvereine im Kreis Olpe mussten jetzt zwei Jahre lang auf ihre Schützenfeste verzichten. In unserem Schützen-Check zeigt sich trotzdem mehr als die Hälfte der Befragten kaum oder sogar überhaupt nicht besorgt, dass die Vereine von der Corona-Krise dauerhaft Schaden nehmen. Nur bei sechs Prozent sind diese Sorgen sehr groß. Woran liegt es, dass viele Schützen-Fans auch nach zwei Jahren Pandemie so zuversichtlich geblieben sind?

Jonas Leineweber: Das Schützenwesen hat schon mehrfach unter Beweis gestellt, dass es kurzfristige Krisen gut überstehen kann. Wie auch andere gesellschaftliche Bräuche oder Rituale haben Schützenfeste eine große kontinuitätsstiftende Funktion und Wirkung gerade auch in Krisen- oder Umbruchzeiten. Nach dem Zweiten Weltkrieg zum Beispiel waren Schützenfeste die ersten Feste, die wieder als Volksfeste gefeiert worden sind.

Schützenfest lebt von offenem Zugang für alle

Also teilen Sie die Zuversicht, dass die Schützenvereine mehr oder weniger schadlos aus der Corona-Krise herauskommen?

Ich bin Historiker, deshalb tue ich mich mit Prognosen immer ein bisschen schwer. Die entscheidende Frage ist aber sicher, wie lange diese Krise noch anhält. Kurzfristig kann das durchaus auch ohne Schäden überwunden werden. Bei unserer Corona-Sonderstudie konnte man aber schon sehen, dass viele Vereine große Einschränkungen für sich und den ganzen Ort fürchten, wenn es in den nächsten ein oder zwei Jahren immer noch keinen Normalzustand gibt. Dann droht ein Rückgang der Vereinsgemeinschaft, wahrscheinlich sogar ein Rückgang der Ortsgemeinschaft insgesamt.

Was müssen die Vereine unternehmen, damit der Neustart nach der Pandemie erfolgreich gelingen kann?

Sie müssen den Fokus wieder verstärkt auf die gesamte Gesellschaft richten. Einige Vereine haben das auch während der Corona-Pandemie schon gemacht, indem sie soziale Aktionen gestartet oder über digitale Formate auch Teilhabe möglich gemacht haben. Andere wiederum haben die Vereinsaktivitäten sehr stark beschränkt auf einige wenige Mitglieder und das ist sicherlich nicht zielführend. Das Schützenfest lebt vom offenen Zugang für alle, also für Nichtmitglieder und Mitglieder, für Männer und Frauen, für Senioren und Jugendliche. Und dann halte ich es auch für wichtig, dass man die Elemente, die man während der Pandemie neu eingeübt und gelernt hat, weiter in die Kulturform einfließen lässt.

Was für Elemente sind das?

Viele Vereine haben ihre Präsenz im Internet und in den sozialen Medien ausgebaut, weil man anders ja keine Möglichkeit hatte, um mit den Mitgliedern und auch mit Interessierten zu kommunizieren. Und im Bereich der Vorstandsarbeit bieten Videokonferenzen ein großes Potenzial. Gerade in ländlichen Regionen haben viele Vereine Probleme damit, dass Jüngere, die sich eigentlich gerne engagieren würden, zum Beispiel zum Studium wegziehen. Damit fielen sie für Vorstandsarbeit bisher meistens aus, mit den neuen Möglichkeiten könnte man da aber gegensteuern.

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Etwa drei Viertel unserer Befragten sagten, dass das Vereinsleben durch die Pandemie stark oder sehr stark belastet wurde. Was wiegt da schwerer: Finanzielle Einbußen, weil es kaum noch Einnahmen gab, oder der Aspekt, dass die Vereine in der Öffentlichkeit nicht in Erscheinung treten konnten?

Finanzielle Aspekte spielen sicherlich auch eine Rolle. In unserer Studie haben allerdings nur wenige Schützenvereine von wirklich existenziellen Nöten gesprochen. Ich glaube, viel wichtiger war, dass eben das Kernelement des Schützenwesens – Gemeinschaft und Geselligkeit miteinander in Einklang zu bringen und zu stiften – komplett blockiert war. Gerade solche Kulturformen wie das Schützenwesen können eben nur begrenzt über digitale Medien simuliert werden. Das war kein ausreichender Ersatz für die Interaktion und das Miteinander vor Ort.

Steigen Besucherzahlen nach der Corona-Krise?

Die Teilnehmer des Schützen-Checks gehen mehrheitlich davon aus, dass die Besucherzahlen beim nächsten Schützenfest über dem Niveau der Vor-Corona-Zeit liegen. Ist die Sehnsucht nach dem Miteinander, wie man das von früher kennt, wirklich so groß oder überwiegt die Gefahr, dass Schützenvereine während der Pandemie so ein bisschen in Vergessenheit geraten sein könnten?

Beides spielt eine Rolle. Insgesamt glaube ich aber, dass gerade in den ländlichen Regionen die Sehnsucht schon groß ist, wieder Feste feiern zu können, wieder miteinander in Gemeinschaft und Geselligkeit zu treten. Und was man auch nicht vergessen darf: Das Fest ist auch immer eine kleine Entlastung zum Alltag. Damit erfüllt es fast schon eine therapeutische Funktion und das ist natürlich in dieser Zeit doppelt wichtig. Einmal als Entlastung von all den Gedanken um die Krise und andererseits auch als Ablenkung von einem Alltag, der in der Krise ja besonders eintönig ist.

Sehen Sie umgekehrt auch Fallen, die Vereine unbedingt vermeiden sollten?

Die Schwierigkeit ist, dass wir kaum Erfahrungswerte haben. Umfragen zeigen, dass die Lust, ein Schützenfest zu besuchen, bei vielen gestiegen ist. Aber die Frage ist, wie sich das dann in der Realität tatsächlich abspielt. Bei den kleinen Alternativ-Festen, die derzeit möglich sind, spürt man noch eine gewisse Zurückhaltung. Es ist im Moment nicht so, dass alle aus den Häusern laufen und jedes Fest im Nu ausverkauft ist. Das wird spannend zu beobachten sein, wenn es nächstes Jahr wieder Schützenfeste geben sollte: Wie verhalten sich die Menschen? Ist die Stimmung so ausgelassen wie früher oder verändert sich was?

Werden die Schützenvereine dann allein von der gesellschaftlichen Stimmung abhängig sein, die zu diesem Zeitpunkt herrschen wird, oder können sie auch selber etwas tun, um gegen diese Zurückhaltung vorzugehen?

Sie können auf jeden Fall etwas dagegen tun. Zum einen helfen kreativen Ideen, wie man Feste unter Pandemie-Bedingungen durchführen kann. Und zum Zweiten, indem sie den Besuchern das Gefühl geben, zum Beispiel mit Hilfe sorgfältiger Hygiene-Konzepte, verantwortungsvoll mit der Situation umzugehen. Das erlebe ich an vielen Stellen aber auch schon.