Kreis Olpe/Meggen. Realschullehrer Dieter Schäfer aus Meggen im Interview. Nach 36 Jahren und drei Schulschließungen geht er in den Ruhestand.

Seinen Humor hat er nicht verloren: Dieter Schäfer (65), seit 1985 Lehrer für die Sekundarstufe I (Ev. Theologie, Französisch), schmunzelt übers Pädagogengesicht: „Wenn ich in einer Stadt gesichtet werde, wo es noch eine Realschule gibt, werden sie schon nervös.“ Der Grund dafür liegt auf der Hand: Schäfer musste zwei Realschulen, die er zuletzt als Schulleiter führte, zuschließen. Zunächst die Realschule Finnentrop 2017, dann 2019 die Realschule Meggen und schließlich folgt in diesem Jahr Nummer 3, die Realschule Am Schießberg in Siegen-Geisweid. Uns stand er im ausführlichen Interview. Rede und Antwort.

Herr Schäfer, Sie werden vermutlich gefrotzelt, es sei gut, dass sie endlich in Pension gehen, da sonst noch weitere Realschulen in Gefahr seien.

Dieter Schäfer: Ja, wenn ich mich einer Realschule nähere, kriegen die Schweiß auf die Stirn. Aber im Ernst. Die drei Schulen zuletzt, das reicht mir jetzt.

Sind Sie ein Realschullehrer aus Überzeugung?

Ja.

Warum?

Die Realschule ist eine Schulform, die in NRW 60 Jahre besteht und von jeher immer sehr gut aufgestellt war mit zwei großen Säulen. Wir haben eine gute Allgemeinbildung vermittelt, aber auch schon sehr früh begonnen mit Berufs-Orientierung. Und wir haben von den Betrieben immer eine gute Rückmeldung bekommen, die von unseren Schülern sehr überzeugt waren.

Will die Industrie lieber Realschüler als Abiturienten?

Man hat vor Jahren den Fehler gemacht, die Anforderungen für bestimmte Berufsgruppen zu stark anzuheben. Man muss nicht für jeden Beruf Abitur haben. Wer den Weg zum Abitur gehen wollte, war bei uns auch an der richtigen Adresse. Wir konnten Schülern nach der Klasse 10 immer wieder die Qualifikation für die Oberstufe mit auf den Weg geben. Mittlerweile sind das fast 50 Prozent. Und die allermeisten kommen dort klar.

Wer war der Totengräber der Realschule?

Es hat so 2007/2008 begonnen mit der grundsätzlichen schulpolitischen Überlegung, wie die Schullandschaft der Zukunft aussehen solle. Und gegen 2010 ging es los, die Realschulen auslaufen zu lassen. Jetzt aber sehen wir einen gegenläufigen Trend. Wir haben noch eine Menge Realschulen im Regierungsbezirk Arnsberg, und diese Schulen haben einen guten Stand, guten Zulauf und Akzeptanz bei Schülern und Eltern.

Also glauben Sie nicht, dass die Realschule ein Auslaufmodell ist?

Nein, im Gegenteil. Die Nachfrage ist sogar so hoch, dass überlegt wird, neue Realschulen zu gründen. Bestehende Realschulen müssen sogar Schüler ablehnen, weil sie gar nicht so viele Kinder aufnehmen können.

Und der entscheidende Faktor ist ja ohnehin, dass Sie in Pension gehen.

(Lacht) Ja genau. Der Schließer geht.

Scherz beiseite. Blicken wir zurück auf den politisch gewollten Siegeszug der Sekundarschulen. Es hat beispielsweise in Olpe eine heftige politische Kontroverse ausgelöst, weil viele Eltern die Realschule behalten wollten, die Stadt aber keine Realschule neben der Sekundarschule wollte. Welchen Vorteil hat die Realschule gegenüber der Sekundarschule?

Die Qualitätsbeurteilung für andere Schulformen ist schwierig. Ich kann nur für die Realschule sprechen.

Ist die Realschule positiv konservativ, setzt auf alte Tugenden?

Menschen sind so gestrickt, dass sie gerne bei Bewährtem bleiben. Und die Realschule hatte sich immer bewährt. Mitunter sind mehrere Generationen auf Realschulen gegangen, mit guten Erfahrungen. Sich auf ein neues System einzulassen, war für manche Eltern einfach schwierig.

Ist das System der Sekundarschule fortschrittlicher?

Die Sekundarschule ist mit viel Vorschusslorbeeren eingeführt worden, und man wird nach 10 oder 20 Jahren bewerten müssen, ob die Erwartungen erfüllt worden sind. Aber auch die Realschule war und ist keine antiquierte Schulform.

Ist die Realschule nicht zu Unrecht in den Sog der ungeliebten Hauptschulen geraten?

Das war vor allem ein städtisches Problem. Dort verloren die Hauptschulen Schüler, und das Ansehen sank. In ländlichen Gebieten hatten die Hauptschulen bessere Zahlen. Dort wurde sehr gute Arbeit geleistet, gerade, was Berufsvorbereitung angeht. Schüler, die Schwierigkeiten hatten, konnten dort viel intensiver betreut werden. Die Hauptschulen in Finnentrop, Kirchhundem und Lennestadt zum Beispiel hatten ganz hervorragende Übergangsquoten in Lehrverträge.

Was muss eine Schule auf jeden Fall können?

Wir müssen wieder mehr Ruhe reinkriegen und uns auf unser Kerngeschäft konzentrieren. In den letzten Jahren ist zu viel an Anforderungen in die Schulen reingedrückt worden. Das ist nicht leistbar.

Was meinen Sie konkret?

Bewegen sich Kinder nicht genug, muss Schule ran, ernähren sich Kinder nicht richtig, muss Schule ‘was tun, gehen Kinder nicht ordentlich mit ihren Medien um, muss Schule das ändern. Es ist unheimlich viel in die Schulen reingetragen worden. Wir müssen den Blick auf unser Kerngeschäft lenken. Das ist qualifizierter Unterricht, ohne die Vermittlung von grundlegenden Werten aus den Augen zu verlieren.

Hat es auch zu viele Schnellschüsse der Politik gegeben?

Auch das. Der Wechsel von G9 zu G8 und dann wieder zurück hat unheimlich viel Ressourcen gebunden.

War es nicht abzusehen, dass das Unfug war?

Ich war sofort skeptisch. Die Idee ist wohl durch den Blick auf andere Länder forciert worden, zudem forderte vor allem die Industrie, dass junge Menschen dem Arbeitsmarkt früher zur Verfügung stehen müssten.

Welche Schwächen offenbarte das System in erster Linie?

Da waren plötzlich junge Leute, die mit 17 ihr Abitur machten und gar nicht wussten, was sie dann machen sollten. Viele haben ein soziales Jahr oder einen Auslandaufenthalt gemacht.

Sie sind über 35 Jahre Pädagoge, wie haben sich Kinder während dieser dreieinhalb Jahrzehnte verändert?

Das ist die große Frage: Es gibt ja diese berühmte Rede eines Griechen von 400 vor Christus, in der er gesagt hat: Die Jugend von heute ist ja unmöglich. Damit habe ich oft meine Rede vor den Abschlussklassen begonnen, um klar zu machen, dass es das Thema schon vor 2500 Jahren gab.

Aber die Flut von außen war vermutlich noch nie so groß?

Einflüsse von außen, allen voran der ausufernde Medienkonsum, sind erheblich. Da gibt es eine Veränderung im Verhalten der Kinder. Man kann es mit einer Festplatte vergleichen, auf der mitunter nicht mehr genug frei ist und die mit Dingen belegt ist, die dann für die schulische Aufnahmefähigkeit nicht unbedingt förderlich sind. Aber die neuen Medien sind kein Teufelszeug, wenn sie richtig genutzt werden, können sie die Konzentration der Schüler sogar für bestimmte Unterrichtsinhalte schärfen.

Haben sich durch Medien-Überkonsum disziplinarische Probleme verschärft?

Ich hatte während der vielen Jahre wenig Probleme mit dem Verhalten von Schülern. Es war klar: Der Chef im Ring bin ich. Ich begegne jedem mit Respekt, fordere diesen aber auch gegenüber mir ein. Das hat weitgehend funktioniert. Vielleicht hatte ich auch Glück, dass ich eine unkompliziertere Schülerschaft hatte, als dies in manchen Großstädten anzutreffen ist.

Verroht die Jugend zunehmend?

Das würde einhergehen mit einem erheblichen Werteverlust. Den habe ich nicht feststellen können. Möglicherweise werden Einzelfälle durch die Medien lauter dargestellt, so dass ein verzerrtes Bild entsteht.

Sind die Probleme in manchen Schulen nicht die Probleme der Familien?

Das gibt es partiell immer, hat es auch schon in den 80-ern gegeben . Vielleicht wurde es nur nicht sichtbar. Eine gewisse Veränderung hat da aber schon stattgefunden.

Hat es Momente gegeben, in denen Sie einem Schüler gerne eine Ohrfeige gegeben hätten?

Natürlich hat es solche Momente gegeben, aber da muss ein Pädagoge einfach in der Lage sein, die Emotion durch Sachlichkeit zu zügeln. Für mich gab es immer einen Grundsatz, der lautete: Schrei nicht! Lautstärke ist kein Argument. Die Schüler haben mir sogar mal gesagt: Herr Schäfer, je leiser sie sprechen, desto mehr müssen wir uns in Acht nehmen.

Wer mit ihnen spricht, erkennt sofort ihren gehörigen Schuss Humor, der ihnen sicher geholfen hat.

Auf jeden Fall. Wenn ich nicht mindestens einmal in einer Unterrichtsstunde herzlich mit den Schülern gelacht habe, ob nun über meine oder deren Fehler, was aber kein Auslachen war, dann hätte dieser Stunde etwas gefehlt. Das ist ganz wichtig. Wenn ein Lehrer in die Stunde kommt und den Eindruck vermittelt, er hat eigentlich keine Lust auf die Kinder, bekommt er die Rückmeldung: Wir auch nicht auf Dich. Dann kann Unterricht nicht gelingen.

Das ist auch mein Credo: Wer unsere Zeitung in die Hand nimmt, sollte wenigstens einmal am Tag über irgendetwas lachen. Ich gebe mir Mühe, dazu beizutragen.

(Lacht). Das gelingt Ihnen, ich lese Ihre Zeitung seit vielen Jahren.

Herr Schäfer, was würden Sie ändern, wenn Sie Kultusminister sein dürften?

Man muss ganz oben anfangen: Für unser kleines Deutschland 16 Kultusministerien zu unterhalten, mit dem ganzen Apparat, der da dranhängt, das sollte überdacht werden. Ich weiß nicht, ob wir uns damit einen Gefallen tun. Der Verwaltungsapparat ist zu groß, ein zentral gesteuertes System wäre besser. Oftmals spielt innerhalb eines Bundeslandes die jeweilige Parteipolitik eine Rolle: Wechseln die Machtverhältnisse, wechselt auch die Schulpolitik. Und das in 16 Bundesländern. Schule braucht aber Kontinuität. Zum Wohl der Kinder, Eltern, und last but not least der Lehrkräfte.

Zur Person:

Dieter Schäfer ist ein Meggener Junge und 65 Jahre alt. Ab 1985 war er Lehrer für die Sekundarstufe I am Gymnasium Schmallenberg, von 2006 bis 2017 Lehrer und ab 2012 kommissarischer Leiter der Realschule Finnentrop.

Von 2015 bis 2019 leitete er die Realschule Meggen, teilweise in Doppelfunktion mit Finnentrop, seit 2019 leitet er die Realschule Am Schießberg in Geisweid, die im August ausläuft.