Kreis Olpe/Kirchhundem-Flape. Hartmut Schauerte, CDU-Urgestein aus Kirchhundem, spricht über die Krise seiner Partei. Er wollte Friedrich Merz als Kandidat für den Kreis Olpe.

Er ist der große alte Mann der Christdemokratie im Kreis Olpe, war viele Jahre gefürchteter Oppositionsredner im nordrhein-westfälischen Landtag, später Mitglied des Bundestages und am Anfang der Ära Merkel von 2005 bis 2009 parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium: Hartmut Schauerte hat als CDU-Mitglied seit 1967 alle Höhen und Tiefen der Partei meist hautnah miterlebt. Uns stand er in einem Interview Rede und Antwort in einer Phase, in der sich seine Partei im Umfrage-Tief befindet.

Herr Schauerte, wie geht es Ihnen?

Hartmut Schauerte: Mir geht es gut. Ich bin jetzt 76 Jahre alt, meine Kinder sind meine Nachbarn, ich lebe in meinem Elternhaus in Flape, dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin und habe noch viele gute Kontakte nach Düsseldorf, Berlin und Olpe.

Politische Kontakte überleben also das politische Rentnerdasein?

Ich bin ja noch Mitglied im Bundesvorstand der CDU-Mittelstandsvereinigung, Ehrenvorsitzender in deren Landesvorstand. Diese Funktionen nehme ich wahr, wir haben am Mittwoch noch eine große Telefonkonferenz mit Armin Laschet gehabt, die ich von Flape aus begleitet habe.

„Politische Altanlage mit Restnutzungsdauer“

Dann sind Sie also noch mittendrin?

Mittendrin ist zu hoch gegriffen, ich bin eher eine politische Altanlage mit Restnutzungsdauer.

In einigen Umfragen ist die CDU/CSU auf 26 Prozent gefallen. Ähnliche Werte hatte ihre Partei nach der Spendenaffäre mit Helmut Kohl und nach der Europawahl 2019. Was sind die Hauptgründe für den Absturz?

Die ersten Corona-Strategien im Frühjahr 2020 hatten starke Umfragegewinne für die Union zur Folge. Das war erwartbar, weil sich die Bürger in Krisensituationen erst einmal auf die Seite der Macher, also der politischen Führungen schlagen. Je länger die Krise dauert, desto größer wird der Druck, der auf der Gesellschaft lastet, desto größer wird die Unzufriedenheit. Auch das ist normal. Wenn dann noch ein paar Gewitterschläge hinzu kommen, wie das Geldverdienen von Abgeordneten mit Maskengeschäften, dann bricht ein solcher Höhenflug jäh ab. Die Frage ist, wie wir mit der neuen Situation umgehen. Wir haben unsere Hausaufgaben parteiintern nicht gemacht, in der Personalpolitik nicht und bei den Themen auch nicht. Unser Programm für die Bundestagswahl steht immer noch nicht.

Haben Sie den Eindruck, dass die CDU momentan nicht so recht weiß, wo sie hinwill?

Das Auslaufen der Kanzlerschaft von Frau Merkel und die noch nicht erledigte Nachfolgefrage seitens der Union lässt diesen Eindruck entstehen. Weil mit Personen auch immer Richtungsentscheidungen verbunden sind, nicht nur Typen- und Stilfragen, sondern auch Inhaltsfragen. Das lässt den Eindruck zu, als wüsste die CDU noch nicht genau, wo sie hinwill. Und das ist sechs Monate vor einer Bundestagswahl kritisch. Ich will aber auch etwas beruhigen. So, wie durch den Beginn der Corona-Krise ein Hoch kam, jetzt ein Tief, wird auch nach Beendigung der Krise wieder neu gedacht.

Aber niemand weiß, wann die Krise vorbei sein wird.

Ich bin sicher, dass die Impfungen nicht nur das Licht am Ende des Tunnels für die gesellschaftlichen Prozesse sind, sondern auch eine veränderte Einschätzung der politischen Richtung bedeutet. Im Laufe des Sommers wird sich die Lage, auch die Nervosität in der Gesellschaft, die Unzufriedenheit, die wir mit Händen greifen können, normalisieren.

Tübingen und Rostock gutes Beispiel

Was waren die schlimmsten Corona-Fehler der Bundesregierung?

Dass wir die Beschaffung des Impfstoffes Europa überlassen haben. Wir hätten es national regeln sollen mit der verbundenen Aussage, die anderen Nationen in Not mit zu versorgen. Aber auch Europa hätte offensiver bestellen müssen, alles, was zu kriegen war. Da traten beispielsweise die Osteuropäer am Anfang auf die Bremse. Eine schwere Fehlentscheidung. Ursula von der Leyen war da nicht frei. Sie brauchte Einstimmigkeit. Der zweite Fehler ist die Priorisierung und die Impfzentren.

Was noch?

Was in Tübingen und Rostock passiert, sollten sich alle Landräte und Oberbürgermeister lange angeschaut haben. Das ist doch nicht verboten. Wir brauchen mehr Kreativität. Wenn es hilft, dann nutzt doch den Freiheitsrahmen aus! Es ist für mich auch unverständlich, dass wir montags und dienstags immer noch nicht die tatsächlichen aktuellen Inzidenzwerte haben, die auch stimmen. Weil der Sonntag dazwischen liegt. In einer solchen Situation will ich die Daten noch im Hochamt haben. Da werden eben Sonderschichten eingelegt.

Derzeit verliert die CDU, die Grünen sind im Höhenflug. Weshalb?

Baden-Württemberg macht keine andere Pandemiebekämpfung als Nordrhein Westfalen. Ich kennen keinen Unterschied. Aber die Grünen profitieren. Ich glaube, es spielt auch ein anderer Grund eine wesentliche Rolle. Nach 16 Jahren Merkel gibt es eine Sehnsucht nach Veränderung. 16 Jahre, das ist in einer Demokratie Überlänge. Deshalb ist es eine meiner politischen Forderungen, eine zukünftige Kanzlerschaft auf zwei Legislaturperioden zu begrenzen.

Dann zweimal vier Jahre oder eher fünf Jahre.

Dann würde ich sogar für zweimal fünf Jahre plädieren. Das hat den Charme, dass in der zweiten Periode, die dann die letzte wäre, vom Kanzler selbst der Reformwille größer wäre. Wir brauchen Erneuerung, eine größere Veränderungsgeschwindigkeit. Bei Gerhard Schröder war die zweite Phase die reformerische, weil er offenbar Politik machte mit dem Gedanken: Es ist unwahrscheinlich, dass ich noch mal gewählt werde.

Ist der Wähler wankelmütiger geworden?

Ab der Mitte der Legislaturperiode der Bundeskanzlerin haben wir Wahlergebnisse gehabt, mit denen wir nicht zufrieden sein können. Wir haben bei etwa 20 Landtagswahlen fast immer verloren. Dem Hype zu Beginn der Coronakrise habe ich nie getraut, das war ein psychologischer Prozess. In der Angst schart man sich um die Führung. Grundsätzlich steht fest, dass die Bindung der Wähler an bestimmte Parteien unglaublich nachgelassen hat. Die Parteimitgliedschaften haben sich im Zeitraum von 20 Jahren bei CDU und SPD halbiert. Ich erinnere mich, dass wir mal über 4.000 Mitglieder im Kreis Olpe hatten, jetzt etwas über 2.000. Und die Zahlen der kleinen Parteien sind auch bescheiden geblieben. Auch bei den Grünen.

Druck durch Politik riesengroß

Woran liegt das?

Der Druck für die, die sich politisch festlegen wollen, ist so groß, dass sich dem immer weniger Menschen aussetzen wollen. Wenn jemand beispielsweise in einem Unternehmen als CDU- oder SPD-Mann bekannt ist, und er wird permanent darauf angequatscht: Was haben die Bekloppten da in Berlin heute schon wieder beschlossen, Du bist doch einer von denen. Das hält man auf Dauer nicht aus. Und dafür soll man auch noch Beitrag zahlen.

Im Bundestag sitzen Heerscharen von Juristen, Lehrern, Beamten und Akademikern. Einige auch, die in ihrem Berufsleben nicht gerade Berge versetzt haben. Wo sind die Unternehmer, große wie kleine?

Das fehlt und ist ausgesprochen bedauerlich. Als Mittelstandspolitiker sage ich erst recht: Das geht so nicht. Aber: Die Angriffe auf den Politikbetrieb sind so heftig, dass ich mir als Unternehmer dreimal überlegen muss, ob ich mich selbst, aber dann ja auch mein Unternehmen einer solchen Situation aussetzen will. Wenn ich ein ordentlicher Handwerksmeister bin und alle Menschen respektieren mich und sagen: Nun geh’ doch mal in die Gemeindepolitik. Dann gehe ich als anständiger Handwerksmeister in die Politik rein und komme als heftig beschimpfter wieder heraus. Da wird schon die kluge Frau des Meisters ihm raten: Mach’ das nicht! Dort fängt es an, und bei der Transparenz der Abgeordneten geht es weiter.

Aber gegen Korruption hilft nicht viel anderes.

Klare Regeln und Transparenz sind unverzichtbar.. Aber wenn wir von den Abgeordneten zugespitzt das Gelübde der ,Keuschheit und Armut’ verlangen, werden wir keinen repräsentativen Querschnitt aus der Bevölkerung in die Parlamente kriegen. Das kann kein Handwerksmeister, kein Mittelständler, nicht mal ein Landwirt.

„Aufgeregte Berichterstattung ein großes Übel“

Zurück zu Corona: Wie haben Sie ganz persönlich das vergangene Jahr empfunden?

Ein großes Übel ist die überwiegend aufgeregte Berichterstattung der Medien. Egal, welcher Kanäle oder Zeitungen man sich bedient, egal, welches TV-Programm ich anschalte, es ist nur schwer zu ertragen und trägt zu den psychologischen Problemen der Menschen erheblich bei.

Wird Corona zu groß gemacht?

Die Pandemie ist doppelt so schwer zu ertragen durch diese Art der Berichterstattung. Wir sprechen bis jetzt über 75.000 Coronatote - mit aller Fraglichkeit, ob diese Menschen mit oder an Corona gestorben sind. Jedes Jahr sterben in Deutschland im Schnitt über 900.000 Menschen. Und jetzt alle anderen Fragestellungen hinten an zu stellen, alles still zu legen, zudem an die Grenzen der Verfassungsmäßigkeit zu gehen. Das ist höchst fraglich.

Rückblick: Das Ende der Kanzlerschaft Schröder und die Agenda 2010 waren der Anfang des Niedergangs der SPD, der bis heute anhält. Hinterlässt Angela Merkel die CDU so, wie Gerhard Schröder damals die SPD?

Die Situation ist nicht vergleichbar. Frau Merkel hört jetzt freiwillig auf, Schröder wurde abgewählt. Auch Kohl wurde abgewählt. Dass ein Kanzler, in diesem Fall eine Kanzlerin, nicht wieder antritt, ist neu. Das ist eine Form von Größe.

Vielleicht ist sie einfach nur erschöpft?

Ganz sicher, man muss sie nur ansehen, dann möchte man ihr helfen. Sie hat alles gegeben. Aber Kohl war damals auch erschöpft, hat es trotzdem nicht eingesehen. Und das ist jetzt eben neu. Man geht erstmals nicht mit einem kampferprobten Kandidaten ins Rennen. Wir brauchen aber leistungsfähiges Führungspersonal.

Nennen Sie drei Namen.

Ich sehe Armin Laschet als Kanzlerkandidaten. Und ich sehe Friedrich Merz in seiner Nähe, Norbert Röttgen, bei Jens Spahn bin ich mir nicht sicher, und jemanden wie Carsten Linnemann. Dann geht es um die Themen: Wirtschaftlich aus der Krise kommen, die Flurschäden sind gewaltig, Arbeitsplätze erhalten, Klimakrise meistern, Digitalisierung beschleunigen. Mit marktwirtschaftlichen Elementen, nicht nur mit staatlicher Planwirtschaft. Das Problem für Laschet wird sein: NRW hat zu viele gute Leute. Das hatten wir noch nie. Und er kann eine zukünftige Bundesregierung nicht zu 70 oder 80 Prozent mit Personen aus NRW besetzen.

Mit welcher Koalition rechnen Sie?

Ohne die SPD bleiben nur die FDP und oder die Grünen. Eine andere Konstellation für die CDU sehe ich nicht, falls die SPD von vorneherein ausscheidet. Entweder das klappt, oder das klappt nicht. Nach 16 Jahren ist in einer Demokratie ein Regierungswechsel aber auch kein Unglück, sondern der Normalfall. Die Grünen schweben derzeit auf einem Hoch, aber Persönlichkeiten, die in schwieriger Zeit regieren können, sehe ich nicht. Fürs Wohlfühlen sind sie gut, aber eine reale, harte Entscheidungslinie, die gezogen werden muss, traue ich ihnen nicht zu.

„Es ist kein Gerücht. Ich habe Friedrich Merz gefragt“

Apropos Merz. Es gibt das Gerücht, aus dem Kreis Olpe sei er aufgefordert worden, hier für den Bundestag zu kandidieren. Kennen Sie das Gerücht, das Merz übrigens nie dementiert hat?

Ja, das kenne ich. Es ist kein Gerücht. Ich habe ihn gefragt, ob er sich das vorstellen könnte, unmittelbar, nachdem Matthias Heider, für uns überraschend, gesagt hatte, er kandidiere nicht mehr. Da habe ich ein Gespräch mit Friedrich Merz gehabt. Ich habe gesagt, ich würde ihn vorschlagen. Er hat aber abgelehnt.

Wie stehen Sie zu Florian Müller aus Drolshagen, der heute favorisiert sein dürfte.

Das ist ein junger Mann, der für sein Alter gut vernetzt ist. Durch seine Arbeit in der Jungen Union auf Landes- und Bundesebene und seine Arbeit für Dr. Matthias Heider im Berliner Büro. Seine Artikel und Interviews sind in Ordnung. Ich werde ihn selbstverständlich unterstützen.

Wenn Sie Bundeskanzler der CDU wären, welche Dinge würden Sie anpacken?

Das erste wäre tatsächlich, die Impfpriorisierung aufzuheben. Wer impfen kann, darf impfen, wer kommt, darf geimpft werden.

Was würden Sie tun, wenn Sie CDU-Bundesvorsitzender wären?

Ich würde die Kanzlerkandidatenfrage so schnell wie möglich beantworten. Am besten Osterdienstag.

Zur Person

Hartmut Schauerte (76) stammt aus Kirchhundem-Flape, wo er auch lebt. Er ist verheiratet und Vater von vier Söhnen. Sein Hobby ist die Forstwirtschaft

Nach dem Abitur studierte er Jura in Bonn und München, war zunächst Rechtsanwalt und Notar.

Seit 1968 ist er in der CDU, war u. a. von 1980 bis 1994 NRW-Landtagsabgeordneter, von 1994 bis 20009 Bundestagsabgeordneter und von 2005 bis 2009 Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium.