Kreis Olpe/Attendorn. Zu den unterirdischen Bauwerken der Bigge-Talsperre gehört der Hochwasserentlastungsstollen, der regelmäßig kontrolliert wird. Wir waren dabei.
Echte Talsperrentechniker wie Ralf Stötzel und Steffen Schuchert können meinem Humor nicht direkt folgen: „Eigentlich könnte man hier doch eine mega Touristenattraktion draus machen, eine riesige Wasserrutsche vielleicht“, grinse ich, während wir durch die düstere, fast geheimnisvolle Betonröhre marschieren und uns der stählernen Krümmung nähern, die in den sogenannten Hochwasser-Entlastungsturm mündet. Der erhebt sich wie eine Art kleiner Aussichtsturm nahe des Biggedamms in Attendorn aus dem Biggesee. Eigentlich verrückt: Jedes Kind im Sauerland kennt den Turm, der wie ein kleiner Bruder des hochgelegenen, benachbarten Skywalks wirkt. Aber nur die wenigsten Zeitgenossen wissen, warum er eigentlich dort steht. Das will Ralf Stötzel, Leiter des Talsperrenbetriebs Süd, und dazu gehört der Biggesee, ändern. Denn eine Talsperre, von der die Menschen verstehen, wie sie funktioniert, darf auf mehr Akzeptanz hoffen.
Presse also erwünscht. Und ich darf mit dem Ruhrverbands-Duo im Bötchen ein unterirdisches Bauwerk ansteuern, das für Otto-Normal-Verbraucher ansonsten verborgen bleibt. Wir schippern in der Nähe des Wasserkraftwerks unweit der Justizvollzugsanstalt auf kleine, rechteckige Luken im Hang zu, durch die wir mit unserem Kahn so gerade durchpassen. Dann eröffnet sich mir ein eindrucksvoller Blick in eine unendlich wirkende Röhre, die aus unserem Blickwinkel im Nichts endet. Die Röhre ist ein Stollen, endet allerdings nicht im Nichts, sondern mündet nach etwa 500 Metern mit einer Krümmung, die tatsächlich an eine Wasserrutsche im Freizeitbad erinnert, im Hochwasserentlastungsturm. Auf dem Weg dorthin machen wir immer wieder Halt, sehen einen kleinen Fisch und eine verendete Wildente, die offenbar in den Stollen gespült wurde.
Wie der Überlauf einer Badewanne
Am Ende des Tunnels findet Ralf Stötzel genau das richtige Bild, um zu erklären, was ich gerade sehen und begehen konnte, deren Sinn ich aber noch nicht so recht begreife: „Wenn die Talsperre bei Hochwasser droht, überzulaufen, wirkt der Hochwasserentlastungsturm wie der Überlaufschutz einer Badewanne. Das Biggewasser fließt durch den Turm in diesen Stollen und mündet in das Auffangbecken beim Wasserkraftwerk.“ Das sei zwar in Dürreperioden nicht der Fall, aber auch der Klimawandel bringe Wetterextreme mit sich, mit starken Regenfällen, auf die der Ruhrverband vorbereitet sein wolle und müsse.
Warum aber sind wir heute, wo wir sind, mitten in der düsteren Röhre. „Zweimal im Jahr wird der Stollen mitsamt Krümmung zum Turm von uns abgegangen und auf Schäden untersucht“, sagt Stötzel. Während unseres feucht-kalten Fußmarsches sehen wir, dass die Betonröhre immer wieder kleine dunkle Stellen aufweist, die auf Ausbesserungen hinweisen. Kein Wunder, denn die mit Stahl armierte Röhre muss extrem feuchtem Klima standhalten. Besonders rostanfällig wird es, als wir uns der Krümmung aus reinem Stahl nähern. Der ist zwar mehrschichtig gegen Rost geschützt, dennoch ist an der einen oder anderen Stelle der Rostschutz abgeplatzt, und der braun gewordene Stahl macht klar: „Da müssen wir nächstes Jahr dran“, runzelt Stötzel die Stirn.
Die Sohle der Tunnel-Röhre ist mit etwa zwei bis drei Zentimetern Wasser bedeckt. Denn absolut dicht ist das Turmbauwerk im See nicht. Der Tunnel, der im Fachjargon Betondruckstollen heißt, hat einen Durchmesser von fast 5 Metern. Der kleine Hügel, den er bis zum See durchquert, ist der Dünnekenberg. Den durchquert noch ein zweiter Stollen, der eine ganz wesentliche technische Funktion hat. Er führt das Wasser aus dem Biggesee unterirdisch zum Kraftwerk, wo es Turbinen in Gang setzt, die Stromgeneratoren antreiben. Jährliche Stromerzeugung: Rund 22 Millionen Kilowattstunden. Zum Vergleich: Die größten Windräder schaffen etwa 10 Millionen.
Neun Meter ragen aus dem Wasser
Nachdem alle Schadstellen oder solche, die es bald werden könnten, inspiziert sind, treten wir den Rückweg an. Die beiden mit leistungsstarken Handlampen, ich mit der Fotokamera, deren Autofokus die Dunkelheit zu schaffen macht. Wir waten durch ein Rinnsal von zwei bis drei Zentimeter Wasser, und ich weiß, warum ich die Gummistiefel mitbringen sollte.
Unter strahlendem Sonnenschein darf ich zum Abschluss noch auf die Plattform des Hochwasser-Entlastungsturmes, der insgesamt 50 Meter hoch ist, wobei heute etwa 9 Meter aus dem Wasser ragen. Und was ich vom Ufer aus nicht glauben wollte, bestätigt sich, als wir direkt hoch über der Turmmitte stehen: Der Durchmesser des Einlauftrichters ist am höchsten Punkt 16 Meter. Vom Ufer hätte ich höchstens sechs oder sieben Meter geschätzt. Stötzel grinst: „Das geht jedem so.“