Sondern/Kreis Olpe. Oliver Schulte aus Altenhundem organisiert seit Jahren Großveranstaltungen. Das Biggesee Open-Air ist aber auch für ihn etwas Besonderes.
Er hat schon Veranstaltungen über die Bühne gebracht mit weit mehr als 100.000 Zuschauern und zählt zu den bekanntesten Gesichtern in der Branche. Immer, wenn es darum geht, die Hausaufgaben im Hintergrund zu managen, die vor dem Erfolg von Mega-Events zu erledigen sind, kommt Oliver Schulte ins Spiel. So auch beim Biggesee Open-Air, das wegen des Corona-Lockdowns in diesem Jahr ausfallen musste, aber 2021 zum Leuchtturm für eine ganze Region werden soll. Wir hatten Gelegenheit, mit dem 53-Jährigen, der aus Altenhundem stammt, aber in der Nähe von Hannover lebt, über die Sorgen der Branche zu sprechen, aber natürlich in erster Linie über das Biggesee-Open-Air-Festival.
Sie sind ein Altenhundemer Junge, was hat Sie nach Niedersachsen verschlagen?
Oliver Schulte: Ich habe in Hannover studiert und bin dann dort hängengeblieben.
Sie haben mehrere Professionen, sind IHK-Meister für Veranstaltungstechnik, TÜV-Fachmeister für Veranstaltungssicherheit und Hygieneberater für Veranstaltungsmanagement. Was sagen Sie jemandem, wenn er Sie nach Ihrem Beruf fragt?
Produktionsleiter. Das gibt meinen Tätigkeitsbereich am ehesten wieder.
Normalbetrieb weiterhin nicht möglich
Kaum eine Branche ist von Corona derart gebeutelt wie die Veranstaltungsbranche. Wie soll das weitergehen?
Das hängt von der Entwicklung der Infektionszahlen ab. Solange Menschen weiter so unvernünftig sind, wie sie es im Moment sind, wird die Konzertbranche weiterhin nur rudimentär tätig sein können. Eine Rückkehr in den Regelbetrieb wird es erst wieder geben, wenn ein Impfstoff gefunden ist und ein Großteil der Bevölkerung geimpft ist.
Wobei es auch Virologen gibt, die eher der Meinung sind, man solle nicht auf einen Impfstoff warten, sondern lernen, mit Corona zu leben. Aber ist das in der Veranstaltungsbranche überhaupt möglich?
Nein. Wenn man sieht, wie 25.000, 50.000 oder sogar 100.000 Menschen dort eng beieinander sind, miteinander singen, sich umarmen, Schweiß austauschen, wird es schwierig, zum Normalbetrieb zurückzukehren.
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Fußballstadien sind Versuchslabore. Halten Sie es für sinnvoll, dort künftig wenigstens ein Viertel des Fassungsvermögens zuzulassen?
Die Politik versucht ja, dem Sport vieles möglich zu machen. Im Moment gilt, dass maximal 20 Prozent der Platzkapazität ausgeschöpft werden darf. Da sind wir nah an dem Viertel dran. Wenn die Hygienekonzepte greifen und man feststellt, dass es nicht zu größeren Infektionsherden kommt, kann ich mir vorstellen, dass die Politik bereit ist, auch weitergehenden Feldversuchen die Tür zu öffnen.
Aber dafür muss man es probieren.
Ja, man muss es probieren. Noch wissen wir zu wenig über das Virus und die tatsächliche Art der Ausbreitung. Ich glaube, der Politik ist es lieber, wenn es größere Veranstaltungen mit Hygienekonzepten und Kontrollen gibt, als Familienfeiern, die sich ja in den vergangenen Wochen als Superspreader herausgestellt haben.
Also lieber ein Bundesligaspiel als eine Hochzeit?
Ja genau.
Welches waren die größten Veranstaltungen, die Sie in ihrer beruflichen Laufbahn mit organisiert und gemanagt haben?
Rolling Stones 1998 auf dem Messegelände Hannover mit 120.000 Besuchern, Robbie Williams zweimal mit jeweils 80.000 Besuchern, Westernhagen mit 110.000 Besuchern auf der Trabrennbahn in Hamburg, aber auch das Maschseefest, zu dem pro Tag bis zu 150.000 Menschen kommen.
Umfeld macht Biggesee Open-Air zur Herausforderung
Da ist das Biggesee Open-Air für Sie ja eher ein kleiner Fisch.
Was die Besucherzahl angeht, ja. Aber in dem Umfeld, in dem es stattfindet, in einer relativ unberührten Natur, ist es dennoch eine Herausforderung.
Welches sind die höchsten Hürden, die das Biggesee Open-Air nehmen muss?
Das Bauordnungsamt der Stadt Olpe, mit dem wir sehr konstruktiv zusammengearbeitet haben, hat bestimmte Vorgaben, die erfüllt werden müssen. Ich habe in den vielen zurückliegenden Jahren viele Genehmigungsverfahren durchlaufen, aber das war schon eines der aufwendigsten.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt werden?
Unter anderem muss ein Lärmschutzgutachten erstellt werden, ein Lichtimmissionsgutachten, ein Artenschutzgutachten, die statischen Gutachten zu dem, was wir da aufstellen und ein Brandschutzgutachten. Das waren die Kernaufgaben, die neben dem eigentlichen Bau-Genehmigungsverfahren zu erledigen waren.
Wie lange haben Sie dafür gebraucht?
Wir haben 2016 im April mit der Planung begonnen, damals noch für das Event zum 50-jährigen Biggesee-Jubiläum. Das scheiterte an der politischen Zustimmung für eine finanzielle Risikoübernahme. Aber Dietmar Harsveldt ist ein ähnlich Verrückter wie ich, der sich davon nicht entmutigen ließ.
Aber wie lange arbeiten Sie speziell an der Realisierung des Biggesee Open-Air?
Konzentriert sind wir jetzt etwa zwei Jahre damit beschäftigt, das Genehmigungsverfahren erfolgreich zu bestehen.
10.000 Zuschauer pro Konzert im Sommer 2021 – wie stellen Sie sich vor, soll es gehen, wenn wir zwar davon ausgehen, dass es keine dritte Corona-Welle gibt, aber das Virus noch irgendwie da ist?
Ein solches Festival ist immer ein finanzieller Kraftakt. Und mit einer eingeschränkten Besucherzahl ist das finanziell nicht darstellbar.
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Das heißt, die 10.000 Fans brauchen Sie?
Wir brauchen die Möglichkeit, 10.000 Tickets für jeden Konzerttag zu verkaufen, um in der Lage zu sein, dieses Festival zu refinanzieren.
Das heißt, eine auf Corona-Bedingungen reduzierte Besucherzahl von vielleicht 3000 oder 5000 Zuschauern ist unrealistisch?
Damit ist das nicht darstellbar.
Seebühne rechnet sich bei 10.000 Zuschauern nicht
Angenommen, Corona hat uns 2021 noch im Würgegriff. Kann man 10.000 Zuschauer so stellen, dass sie auf 1,50 Meter Abstand stehen?
Nein. Wenn der Abstand zur Bühne zu groß wird, sieht man nichts mehr. Es geht auch um das Gefühl, das man mit einem solchen Festival erzeugen will. Das Miteinander, die Musik feiern ohne Fesseln.
Ursprünglich gab es die Idee, eine Seebühne über der Bigge aufzubauen. Die Fundament und Stahlträger sind ja da. Warum hat man davon Abstand genommen?
Aufgrund der Flucht- und Rettungsweg-Situation auf dem Festivalgelände ist die Maximalkapazität momentan 10.000 Menschen. Eine Seebühne ist ein vielfaches teurer als eine Bühne an Land. Die wäre nur refinanzierbar gewesen, wenn wir pro Konzerttag 20.000 Leute hätten zulassen können.
Wie viel kostet der Auf- und Abbau einer Seebühne?
Ungefähr das Dreifache von dem, was eine Bühne an Land kostet. Es gibt aber noch ein weiteres Risiko. Man müsste den Betrieb auf der Bühne einstellen, wenn starker Wind oder Gewitter droht. Da ist die Gefahr auf dem Wasser noch mal deutlich größer als an Land.
Sie gehören zum Kernteam der Festivalorganisation. Was genau tun Sie, damit das Biggesee Open-Air steigen kann?
Als Produktionsleiter ist man quasi die Mutter der Durchführungskompanie. Ich habe ein Team von erfahrenen Experten zusammengestellt, auch wegen des schwierigen Umfeldes, die die einzelnen Bereiche abdecken. Da hat Dietmar Harsveldt auch nicht am falschen Ende gespart.
Wer ist das im Einzelnen?
Neben Gisbert Kemmerling und der Agentur ASS, die sich um die Künstlerverpflichtung kümmern, haben wir mit Bernd Hagen einen der renommiertesten technischen Fachplaner gewinnen können, der in den vergangenen 40 Jahren alle großen Festivals dieser Welt betreut hat. Dann haben wir Ralf Kindel für das Sicherheitskonzept, der häufig für die Staatskanzlei Nordrhein Westfalen arbeitet und größte Events beispielsweise in der Schalke-Arena betreut hat, wir haben einen Architekten, der im Jahr etwa 60 Baugenehmigungsverfahren begleitet, die u. a. mit großen Konzerten zu tun haben. Darüber hinaus hilft eine jung-dynamische Agentur namens Makimi, deren Mitglieder alle aus der Region Olpe stammen. Und meine Aufgabe ist es, diese verschiedenen Experten zu koordinieren und zu steuern.
Sechsstellige Summe für die Planung
Sie sind ein Alter Hase in der Branche. Welches waren die schwierigsten Probleme, die Sie je erlebt haben?
Wenn man 70.000, 80.000 Menschen wie bei einem Guns’n’Roses-Konzert in Hannover 2018 auf dem Platz hat und sie dann wegen einer Unwetterwarnung für 90 Minuten evakuieren muss, tritt einem schon mal der Schweiß auf die Stirn.
Der Kreis und die Stadt Olpe müssen für das Biggesee-Festival letztlich Grünes Licht geben. Wie viel Prozent auf dem Weg dahin hat das Organisationsteam zurückgelegt?
95 Prozent, vor dem Hintergrund, dass unser Bauantrag beim Kreis Olpe vorlag und der Kreis signalisierte, dass die Veranstaltung genehmigungsfähig gewesen wäre, wenn es nicht den ministeriellen Erlass zu Corona gegeben hätte.
Was kostet eine solche Planung, mit all den Experten, die dafür nötig sind?
Ich möchte keine absolute Zahl sagen, aber wir bewegen uns im sechsstelligen Bereich.
Wenn Sie einen Wunsch an die gute Fee für das Festival frei hätten, außer, dass das Corona-Virus den kollektiven Selbstmord beginge, welcher wäre das?
Eine Garantie, dass wir das Festival nächstes Jahr endlich stattfinden lassen könnten. Dietmar Harsveldt hat Ausdauer und Standfestigkeit bewiesen, ohne jegliche öffentliche Unterstützung. Er hat es verdient, dass es jetzt umgesetzt wird. Ich habe wirklich viele Locations gesehen in Deutschland. Aber ich sage ganz klar, dass das Biggesee Open-Air das Zeug hat, zu einem der schönsten Festivals im Land zu werden.
Vorverkauf stockt wegen Unsicherheit
Bei Weltstars wie James Blunt hätte man sicherlich das Doppelte an Karten verkaufen können?
Eigentlich ja, aber momentan stockt der Vorverkauf wegen der allumfassenden Unsicherheit in fast allen Bereichen unserer Gesellschaft. Das Konsumverhalten ist zögerlich. Und wir können noch nicht einschätzen, wie die Menschen nach der Pandemie mit solchen Großveranstaltungen umgehen. Auch deshalb ist es richtig von Dietmar Harsveldt, für die neuen Konzerte eine sofortige Rückerstattungsgarantie zu geben, egal, was eine Bundesregierung zur Rettung der Konzertbranche verabschiedet. Das ist in Deutschland derzeit einmalig.
Wie ist das Festival für die Region und den Kreis Olpe einzustufen?
Wenn man sich mal anschaut, was in den vergangenen Jahren im Kreis Olpe stattgefunden hat, ist ein solches Festival ein Meilenstein. Ein Ereignis, das die Menschen im Kreis und die Touristen schon viel länger verdient gehabt hätten. Ein Festival mit internationalem Format.