Attendorn. In der Attendorner JVA bekommen die Insassen bei Bedarf medizinische Hilfe am Bildschirm. Warum Telemedizin hinter Gittern eine Entlastung:
In der Attendorner Justizvollzugsanstalt (JVA) ist vor knapp einem Monat eine neue Ära der ärztlichen Versorgung angebrochen. Was außerhalb der Gefängnismauern, gerade zu Coronazeiten, immer häufiger Anwendung findet – die Behandlung eines Patienten am Bildschirm – soll nun auch innerhalb der Gefängnismauern zu einem wichtigen Baustein der medizinischen Versorgung werden. „Durch die Telemedizin“, betonte daher NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) zum Start eines NRW-weiten Pilotprojektes des Landes in der Attendorner JVA, „können wir etwas sehr Sinnvolles für die Gefangenen tun.“
Im Prinzip würden die Insassen jederzeit medizinische Hilfe in Anspruch nehmen können, beispielsweise dann, wenn der Anstaltsarzt nicht im Hause ist. Wie beispielsweise an den Wochenenden. Allerdings müssen sie dieser speziellen Behandlungsmöglichkeit auch zustimmen.
Arzt vor Ort wird nicht ersetzt
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Eines ist dem Justizminister aber ganz wichtig: Die Telemedizin ist kein Ersatz für den „Arzt vor Ort“, sondern eine lohnenswerte Ergänzung. Und eine Entlastung, wie JVA-Leiter Ulf Borrmann ergänzt: „Durch den Zugriff auf die Telemedizin können wir Personal und viel Aufwand sparen.“
Auf 18 Monate angelegt
Die Kosten für dieses Pilotprojekt in NRW, an dem die Justizvollzugsanstalten Aachen, Attendorn, Biefeld-Senne, Herford, Werl, Hamm und Duisburg-Hamborn teilnehmen, beläuft sich auf gut eine Millionen Euro für die Jahre 2020 und 2021.
Das Projekt ist zunächst auf 18 Monate angelegt.
In der Attendorner JVA arbeiten neben dem festangestellten Anstaltsarzt zwei weitere Vertragsärzte, die jeweils eine Praxis in der Hansestadt betreiben.
Durch die schnelle Kommunikation mit einem Mediziner via Bildschirm würden auch die Bediensteten entlastet, etwa in einer kritischen Situation, in der sie nicht genau einschätzen können, wie gravierend der medizinische Notfall ist. Wenn sich also ein Häftling beim Sport verletzten sollte, und kein medizinisches Personal vor Ort ist, könne zunächst eine Diagnose am Bildschirm gestellt und das weitere Vorgehen besprochen werden. Die Möglichkeit, einen RTW zu rufen, bestehe ja weiterhin, so Borrmann.
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Ganz wichtig, weil immer häufiger gebraucht, ist zudem die psychologische Versorgung, wofür laut Borrmann die Kompetenzen vor Ort nicht ausreichen würden. Auch hier sei die Telemedizin eine große Entlastung. Laut Anstaltsarzt Martin Thöne würden die Gefangenen, so die ersten Erfahrungen, zum Beispiel sehr bereitwillig die digitalen Sprechstunden mit einem Psychiater annehmen. „Wir können ja nicht jeden dieser Patienten stationär aufnehmen“, weiß auch Biesenbach um die Vorteile der Telemedizin.
Koalitionspartner aus Hamburg
Als Kooperationspartner hat das Land den Telemedizin-Dienstleister Videoclinic aus Hamburg gewonnen. Der Dienstleister arbeitet mit rund 60 Vertragsärzten in verschiedenen Fachgebieten zusammen, die schnell unterstützen können. In Attendorn besteht für Insassen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, sogar die Möglichkeit, zu Videosprechstunden einen Dolmetscher dazu zu holen. Im Übrigen habe es laut Borrmann in den ersten vier Wochen rund 20 Videosprechstunden gegeben.
Wohl ein kleines Anzeichen dafür, dass in der Attendorner JVA tatsächlich eine neue Ära der ärztlichen Versorgung gestartet ist.