Neu-Listernohl. Gudrun Fricker verlässt den Kindergarten Ostentrop-Schönholthausen. Ihren Abschied in den Ruhestand hat sie sich groß ausgemalt. Dann kam Corona.
Ihren Abschied hat sich Gudrun Fricker anders vorgestellt. 37 Jahre lang war sie die Leiterin des Kindergartens Ostentrop-Schönholthausen. Diesen Monat hat sich die 63-Jährige in den Ruhestand verabschiedet – ohne ein großes Fest, das wegen Corona ausfallen musste. Im Interview erzählt Fricker, wie sie ihre Arbeit in knapp vier Jahrzehnten als Erzieherin erlebt hat und wie die vergangenen Monate unter Corona-Bedingungen verlaufen sind.
Frau Fricker, 37 Jahre lang haben Sie den Kindergarten Ostentrop-Schönholthausen geleitet. Wie schwer ist Ihnen der Abschied gefallen?
Gudrun Fricker: Sehr schwer. Er war quasi mein zweites Zuhause. Als sich damals der Elternverein gegründet hat, hatte ich die Möglichkeit, die Kita von Anfang an mitaufzubauen. Dabei war es mir immer ganz wichtig, den Kindergarten und die Kinder immer in das Dorfleben zu integrieren. Sei es Schützenfest oder Erntedank, wir waren immer irgendwie vertreten. Wir wollten uns nicht abkapseln. Das heißt ja auch, dass ich die Kollegen, die Kinder und die Eltern dort wiedersehen werde. Und so ganz bin ich ja auch noch nicht weg.
Das heißt?
Ich bin zwar offiziell in den Ruhestand gegangen, aber ich arbeite dort quasi noch auf Minijob-Basis, also zehn Stunden pro Woche, weiter. Für mich persönlich ist das ganz gut, um einen sanften Übergang zu schaffen. Dass ich nicht gleich von Heute auf Morgen von Vollzeitbeschäftigung auf Null falle. Andererseits hoffe ich so, im Herbst noch meinen Abschied in etwas größerem Rahmen feiern zu können. Dass ich mich nicht richtig verabschieden konnte, war schlimm für mich.
Wie hätten Sie sich Ihren Abschied gewünscht?
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Gerade weil ich dort so lange und gerne gearbeitet habe und ich den Kindergarten quasi wie mein eigenes Kind großgezogen habe, wollte ich alle Kinder, Eltern und Kollegen an meinem letzten Tag zu einem großen Fest einladen. Mit allem, was dazu gehört. Essen, trinken, sich unterhalten, gemeinsam lachen und sich umarmen. Das ist in Zeiten von Corona natürlich undenkbar. Wir müssen schauen, wie sich die Situation entwickelt. Ich hoffe, dass wir das vielleicht im Herbst nachholen können. Aber das steht natürlich noch in den Sternen.
Wie haben Sie die vergangenen Monate erlebt? Wie hat sich der Alltag verändert?
Der hat sich einmal um 180 Grad gedreht. Im Lockdown konnten wir viel nacharbeiten, was zunächst liegengeblieben ist. Zwar hatten wir zu der Zeit auch Kinder von Eltern zu betreuen, die zur systemrelevanten Berufsgruppe gehörten, aber das war nur eine Handvoll. Erst ab dem 8. Juni durften alle Kinder wieder zu uns kommen. Das sind immerhin 65 Kinder aus drei Gruppen. In den knapp drei Monaten, in denen wir für den Großteil der Kinder geschlossen hatten, konnten wir uns aber intensiv auf eine Wiedereröffnung vorbereiten und haben ein Hygienekonzept ausgearbeitet.
Wie sieht das aus?
Wir haben insgesamt drei Ein- und Ausgänge am Kindergarten, die wir jetzt auch nutzen. Das heißt, jede Gruppe kommt durch „ihren“ Eingang, so dass sich die Gruppen untereinander nicht begegnen. Die Eltern – die übrigens Mundschutz tragen müssen – bringen ihre Kinder zum Eingang, wo wir sie dann abholen. Die Eltern selbst dürfen momentan nicht den Kindergarten betreten. Wenn ein Kind zur Toilette muss, wird es immer von einem Erzieher begleitet, um zu kontrollieren, ob es auch sorgfältig die Hände wäscht. Spiele oder Bastelutensilien müssen nach jeder Benutzung desinfiziert werden. Das ist alles enorm aufwendig. Man merkt, dass die letzten Monate Spuren bei den Kindern hinterlassen haben.
Inwiefern?
Auch sie haben verstanden, dass sie sich einschränken müssen. Für sie war ja nicht nur lange der Kindergarten geschlossen, sondern zum Beispiel auch Spielplätze gesperrt. Es gibt nicht mehr diesen gedankenlosen Körperkontakt. Vorher sind sie einem zur Begrüßung in die Arme gerannt – das gibt es jetzt nicht mehr. Diese fehlende Nähe erschwert zum Teil auch unsere Arbeit. Manchmal muss man einfach ein Kind trösten und in den Arm nehmen. Da steckte man anfangs schon in einem Dilemma.
Abgesehen von Corona: Wie hat sich Ihre Arbeit in fast vier Jahrzehnten verändert?
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Administrativ hat sich da ganz viel getan. Wenn ich an meine erste Lohnsteuerabrechnung denke, handgeschrieben, auf einem DIN A4-Zettel. Auch dieser ganze Qualitätsmanagement-Prozess ist viel detaillierter geworden, dazu die einzelnen Datenschutz-Konzepte, die man neu schreiben und immer wieder aktualisieren musste. Alles muss heutzutage dokumentiert werden. Das fängt bei einer gewechselten Windel an. Wann ich welches Kind gewechselt habe. Das ist – neben meiner eigentlichen, pädagogischen Arbeit – ein enormer Aufwand.
In Ihrer Laufbahn dürften Sie mehrere hundert Kinder begleitet haben. Haben Sie Veränderungen in den jeweiligen Generationen festgestellt?
Ja. Das fängt schon bei der Betreuung an. Als ich als Erzieherin angefangen habe, wurden so gut wie alle Kinder mittags wieder von den Eltern abgeholt. Das ist heute eher die Ausnahme. Die meisten Eltern nehmen eine 45-Stunden-Betreuung in Anspruch, sodass wir von morgens bis spätnachmittags mit den Kindern zusammen sind. In diese Entwicklung spielen natürlich einige Faktoren mit ein, zum Beispiel die Auflösung traditioneller Rollenmuster, dass Vater und Mutter heutzutage (Vollzeit) arbeiten gehen. Was mir aber auch aufgefallen ist: Heutzutage haben viel mehr Kinder einen Förderbedarf als vielleicht vor zehn Jahren.
Wie können Sie sich das erklären?
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Meiner Meinung nach hat das ganz viel mit der vermehrten Handynutzung zu tun. Es gibt Kinder, die spielen stundenlang am Handy oder am Tablet, haben dafür aber massive Probleme, sich mitzuteilen. Sprache und vor allem Bewegung ist so essenziell für die Entwicklung eines Kindes. Wenn Eltern ihrem Kind zur Beschäftigung ausschließlich das Handy in die Hand drücken, kann es sich aber nicht emotional und sozial weiterentwickeln.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Sowohl für sich als auch für den Kindergarten?
Beim Kindergarten weiß ich, dass er mit Sonja Franke in sehr guten Händen ist. Auch wenn ich jetzt offiziell im Ruhestand bin, wird es für mich nicht langweilig werden. Ich engagiere mich ehrenamtlich im Dorfverein Neu-Listernohl und kümmere mich gerne intensiv um meinen Garten. Einen richtigen Abschied vom Kindergarten, den würde ich mir allerdings noch wünschen.