Attendorn/Siegen. Der Prozess um den 35-Jährigen, der einen 31-Jährigen in einer Flüchtlingsunterkunft erstochen haben soll, geht weiter. Der aktuelle Stand.

Wie kam es zu der Stichverletzung, die einem 31-jährigen Mann am 9. September 2019 das Leben kostete? Das bleibt weiterhin die Frage in dem Totschlag-Prozess von Attendorn, bei dem ein 35-Jähriger angeklagt ist, einen Landsmann in der Flüchtlingsunterkunft in der Donnerwenge erstochen zu haben. Die Verteidigung hatte am achten Verhandlungstag im Siegener Schwurgericht ein ergänzendes Rekonstruktionsgutachten gefordert (unsere Zeitung berichtete). Der Beweisantrag wurde zurückgewiesen. Rechtsanwalt Stefan Rückle wirft der Kammer Befangenheit vor.

Zur Erinnerung: Der 35-jährige Syrer bestreitet den Vorwurf, den 31-Jährigen erstochen zu haben. Er lässt über seinen Anwalt erklären, dass der 31-Jährige mit einem Messer in der Flüchtlingsunterkunft plötzlich vor ihm gestanden habe. Er habe ihn an den Handgelenken festgehalten und weggeschubst. Dabei sei er zu Boden gefallen und dann weggerannt. Er habe nicht gewusst, dass er sich eine Verletzung zugezogen habe.

Um zu untersuchen, ob sich der 31-Jährige die Verletzung tatsächlich durch den Sturz zugezogen habe, wurde ein Rekonstruktionsgutachten in Auftrag gegeben. Gerichtsmediziner aus München hatten bei der Rekonstruktion diese Version jedoch ausgeschlossen und festgestellt, dass es sich um einen aktiven Messerstich gehandelt haben muss, der zum Tode führte.

Die Bedeutung der Handhaltung

Doch die Verteidigung stellte den Antrag auf ein ergänzendes Rekonstruktionsgutachten. Denn: Das entscheidende sei – um zu klären, wie das Messer in den Körper drang – die Handhaltung. Beim ersten Gutachten wurde auf Basis der Schilderungen des Angeklagten lediglich eine Handhaltung berücksichtigt. Doch laut Rechtsanwalt Stefan Rückle war dem Angeklagten nicht bewusst, welche Bedeutung die Handhaltung habe.

Auf Antrag der Verteidigung rief das Gericht am jüngsten Prozesstag erneut eine Flüchtlingshelferin in den Zeugenstand, die schon einmal ausgesagt hatte. Sie wiederholte ihre Aussage, dass der Angeklagte ihr am Tag des Vorfalls in einem Telefonat schilderte, dass er den 31-Jährigen weggeschubst haben soll, woraufhin dieser zu Boden gefallen sei. Danach sei er aber aufgesprungen und „schnell weggelaufen“. Mit Blick auf das Rekonstruktionsgutachten, die Handhaltung und die sprachlichen Barrieren sagte sie: „Ich hatte das Gefühl, dass er die Einzelheiten nicht verstanden hat.“

Die Kammer hat unter dem Vorsitz der Richterin Elfriede Dreisbach den Beweisantrag für das ergänzende Rekonstruktionsgutachten am jüngsten Prozesstag in Bezugnahme auf das bereits vorhandene Gutachten zurückgewiesen. Rückle stellte daraufhin einen Befangenheitsantrag. Er spricht von einer Entwicklung einer „inneren Ablehnung“ und einer Störung der Unparteilichkeit. Die Zurückweisung des Antrages würden zu einer unzulässigen Beschränkung der Verteidigung führen.

Vernehmung der Mutter

Am nächsten Verhandlungstag soll über den Befangenheitsantrag entschieden werden. Außerdem stellte die Verteidigung den Antrag auf Beweiserhebung, dass der Angeklagte sich der Bedeutung der Handhaltung nicht bewusst war. Um die Plausibilität des Herganges zu überprüfen, beantragt Stefan Rückle weiterhin ein ergänzendes Rekonstruktionsgutachten. Außerdem soll die Mutter des Angeklagten in den Zeugenstand gebeten werden. Sie soll damals bei der Polizei bereits eine Aussage gemacht haben, machte im Prozess bislang aber von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht gebrauch.