Attendorn/Siegen. Zwei Gerichtsmediziner rekonstruierten den tödlichen Messerstich in der Flüchtlingsunterkunft in Attendorn. Ihr Ergebnis ist eindeutig.

Das hatte selbst die erfahrene Richterin Elfriede Dreisbach noch nicht erlebt. „Für uns ist es eine Premiere. Wir hatten hier noch nie ein Rekonstruktionsgutachten“, sagte sie am siebten Verhandlungstag im Totschlag-Prozess von Attendorn im Siegener Landgericht. Doch es sollte nicht nur bei den theoretischen Ausführungen der beiden Gerichtsmediziner bleiben. Prof. Dr. Oliver Peschel und sein Kollege Dr. Jiri Adamec vom Institut für Rechtsmedizin in München stellten den tödlichen Messerstich vom 9. September 2019 in der Flüchtlingsunterkunft in Attendorn im Gerichtssaal nach. Selbstverständlich, wie es sich in diesen Zeiten gehört, mit Masken und Handschuhen. Als „Messer“ diente der lange Zellenschlüssel eines Justizbeamten.

Angeklagter bestreitet die Tat

Das Rekonstruktionsgutachten ist der letzte Versuch, den 35-Jährigen doch noch zu überführen. Laut Anklage soll der Syrer in der Unterkunft in der Donnerwenge einen Landsmann (31) erstochen haben. Der Angeklagte bestreitet dies. Er behauptet, das Opfer sei mit einem Messer auf ihn losgegangen. Er habe sich nur gewehrt und der 31-Jährige habe sich das Messer beim Sturz selbst in den Bauch gerammt.

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Aufgrund der Schilderungen des Angeklagten und des Obduktionsberichtes rekonstruierten die beiden Rechtsmediziner in ihrem Gutachten die Tat. Dabei gerieten die Schilderungen des Angeklagten ins Wanken. „Der größte Widerspruch ist die tatsächliche Richtung des Stichs von unten nach oben. Es wurde vorgebracht, dass er das Messer von oben nach unten gedrückt und ihn weggeschoben hat. Das erklärt keine Stichbewegung von unten nach oben. Das ist der große Widerspruch zwischen dem, was vorgetragen wurde, und was sich durch das Vorliegen der Verletzungen ergibt“, sagte Biomechaniker Adamec.

Langer Stichkanal

Auffällig sei der lange Stichkanal zwischen 11 und 24 Zentimetern bei einer Klingenlänge des Messers von fünf bis sieben Zentimeter, so Peschel. Jeder Zentimeter bedeute zunehmenden Kraftaufwand: „Das braucht erhebliches Nachdrücken.“ Die Abwehr-Version des Angeklagten sei ein Ding der Unmöglichkeit: „Man kann diesen Stichkanal nicht mit dieser Hergangsbeschreibung übereinbringen.“ Derartige Verletzungen könnten nicht durch ein Handgemenge zustande kommen: „Das kommt schlicht und einfach nicht hin.“

„Wäre ein aktiver Stich des Angeklagten plausibel?“, wollte abschließend Richter Matthias Stehr wissen. Die Antwort von Gerichtsmediziner Peschel war eindeutig: „Ja.“ Der Prozess wird am 3. Juni um 11 Uhr fortgesetzt.