Kreis Olpe. Das Sauerländische Volksblatt schreibt 1918 von Verhaltensregeln, die stark an Corona erinnern. Heinz Jakob aus Attendorn überlebte damals.

„Man vermeide das Zusammensein mit vielen Menschen in geschlossenen Räumen. Einfache Rücksicht muss es sein, jemanden nicht anzuhusten oder anzunießen. Hand vor den Mund halten. Kopf abwenden.“ Hört sich an wie eine Verhaltensregel in Corona-Zeiten. Dem genauen Leser aber wird der Wortlaut auffallen. Die Zeilen nämlich sind dem Sauerländischen Volksblatt, der in Olpe bis 1979 erschienenen Tageszeitung entnommen und stammen vom 22. Oktober 1918. Zu dieser Zeit grassierte die sogenannte „Spanische Grippe“, die tödlichste Pandemie der Geschichte, die den Schätzungen nach weltweit zwischen 25 und 50 Millionen oder gar bis zu 100 Millionen Menschenleben forderte.

Die Pest

Epidemien und Pandemien hat es schon immer in allen Teilen der Welt gegeben. Cholera, Pocken, Typhus, Ebola sind einige Beispiele dafür. Und nicht zuletzt die Pest, die als Synonym für ansteckende todbringende Krankheiten steht. Der „schwarze Tod“, der „Sensemann“ wütete in Europa immer mal wieder und über Jahrhunderte und entvölkerte ganze Landstriche.

Von einer Zeit, in der die Pest über das Sauerland kam, erzählt der im vergangenen Jahr verstorbene Journalist Achim Gandras in seinem historischen Roman „Der Kallenboel – ein südwestfälisches Abenteuer im Dreißigjährigen Krieg“. Welches sich dahinter verbirgt: 1613 brach die letzte Pestwelle von insgesamt vieren in Attendorn aus. An ihr erkrankte auch der 20-jährige Tonis Kallenboel und man begrub ihn auf dem Friedhof der Pfarrkirche, um ihn nach einer Nacht bewusstlos im Grab wieder erwachen zu sehen. Ein Wunder, das schnell die Runde machte und Kallenboel selbst zog über die Lande und Märkte, um sich als Wunder anzupreisen. Eine Art der Pest mag es vielleicht auch gewesen sein, die im kleinen Rhode dazu führte, dass man im Jahr 1739 allein im Monat März 27 Tote zu beklagen hatte, darunter 21 Kinder. War früher die Pest eine Strafe Gottes, weiß man längst, dass es sich um eine bakterielle Infektion handelt. Jedes Jahr erkranken heute noch mehrere tausend Menschen an ihr.

Die Spanische Grippe

Heinz Jakobs Bruder Franz mit seinem Vater August.
Heinz Jakobs Bruder Franz mit seinem Vater August. © Privat | Privat

Ganz anderer Art als die Pest war die Spanische Grippe, die in drei Wellen von 1918 bis 1919 vielleicht mehr Menschen als beide Weltkriege zusammen tötete. Angeblich kam das Influenza-Virus im Frühjahr 1918 mit amerikanischen Soldaten nach Europa, wo es sich in der letzten Phase des Krieges rasend schnell ausbreitete. Die zweite und schwerste Welle mit den höchsten Todesraten rollte im Herbst an. Dabei bewirkte die Zensur während des Krieges, dass die Presse kaum über die Grippe berichtete. Außer in Spanien, woher dann die Grippe auch ihren Namen erhielt.

Das Sauerländische Volksblatt berichtet in seiner Ausgabe vom 10. Juli 1918 von der Spanischen Grippe, die sich in ganz England ausbreitet: „In den Nächten stehen lange Reihen von Kranken vor den Wohnungen der Ärzte und warten auf Hilfe. … In den Industriezweigen droht schwerer Arbeitsmangel … An mehreren Orten werden Theater und Kinos geschlossen… Fabriken für Unterzeug und Schuhe verloren einen Großteil ihrer weiblichen Arbeiter … Es sind 5000 Schulkinder erkrankt …“.

Als nächste Meldung notiert das Sauerländische Volksblatt dann am 22. Oktober 1918 eine außerordentlich starke Verbreitung der Grippe im hiesigen Raum mit Komplikationen bei Lungenentzündung, eitriger Rippenfellentzündung oder Mittelohrkatarrh. Man wisse, dass die Grippe keineswegs so harmlos sei, wie in der ersten Zeit angenommen, aber die große Mehrzahl ende nach ein bis zwei Wochen mit Genesung, schreibt das Blatt. Als eine Maßnahme von besonderer Seite empfehle man, die seit jeher als nicht sehr hygienisch bekannten Dampfheizungen in Büroräumen für fünf bis zehn Minuten gründlich durchzulüften. Es habe sich gezeigt, dass bei den Firmen, die dies probierten, weit weniger Personal an der Grippe erkranke.

Die Opfer

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Zu den Merkwürdigkeiten der Spanischen Grippe gehörte, dass insbesondere junge Menschen im Alter von 20 bis 40 Jahren betroffen waren. So häufen sich auch in Olpe im Herbst 1918 die Todesanzeigen von jungen Männern und Frauen nach „kurzem schweren Krankenlager“.

Ansonsten findet sich leider nur wenig in der Geschichtsschreibung. Einzig in der Schulchronik von Rhode berichtet der Lehrer Joseph Kühr über die gesundheitliche Lage zum Kriegsende: „Als eigenartige Erscheinung des großen Völkerringens, wahrscheinlich veranlasst durch mangelhafte Ernährung, trat in ganz Europa eine neue Krankheit auf, die man in der ersten Zeit ihres Erscheinens, Frühjahr 1918, nach ihrem Ursprungsort ‚Spanische Krankheit‘ nannte. Sie trat wieder auf im August unter dem Namen ‚Grippe‘. Zum drittenmale trat sie bei uns Ende Oktober auf und forderte große, furchtbare Opfer. Unsere kleine Gemeinde musste in 3 Wochen nicht weniger als 10 Kinder im Alter von 1-5 Jahren begraben, dazu noch mehrere Erwachsene. Die Krankheit trat so heftig auf, daß unsere Schule, da 2/3 aller Kinder krank darniederlag, eine Woche lang geschlossen wurde.“

Der Überlebende

Einer, der die Spanische Grippe überlebte, war Heinz Jakob aus Attendorn, der – inzwischen verstorben – 2016 seinen 100. Geburtstag feierte. Geboren wurde er in Preußisch Börnecke (heute: Groß Börnecke) in Sachsen-Anhalt und gründete 1961 am Kirchplatz in Attendorn das Fischfachgeschäft Jakob. 1918 verlor er seinen älteren Bruder Franz und seinen Vater August innerhalb von wenigen Tagen an das Virus.

„Es muss ganz schlimm gewesen sein“, erzählt Heinz Jakobs Tochter Brigitte Bock. „Mein Vater war fürchterlich krank und dessen Mutter wusste sich keinen anderen Rat mehr, als ihren kleinen Sohn zu einem Onkel aufs Land zu geben. Mein Vater sagte immer, das habe ihm das Leben gerettet.“