Wilma Ohly war neun Jahre alt als die Bomben über der Stadt Olpe fielen. Etliche Tage saß sie im Bunker - es sind schlimme Erinnerungen.
Olpe. Es ist Gründonnerstag, der 28. März 1945. Der Zweite Weltkrieg erreicht das Sauerland. Über der Stadt Olpe fallen Bomben. Die Menschen verharren in den Bunkern, dicht gedrängt. Unter der Erde herrscht Angst und Panik. Eine Bombe nach der andern schlägt ein. Immer und immer wieder. Von 10.54 Uhr bis 11.07 Uhr dauert der große Angriff. Ein schwarzer Tag. Mehr als 200 Menschen verlieren bei dem Luftangriff der Alliierten ihr Leben. Hunderte Gebäude werden zerstört. Wilma Ohly ist damals neun Jahre alt. Im Interview erzählt die ehemalige Bürgermeisterin, wie sie die Zeit im Bunker erlebt hat.
Gehen wir mal zurück auf den
28. März 1945. Wo waren Sie da?
Wilma Ohly: Ich war mit meiner Mutter, meiner Schwester und meinem kleinen Bruder aus unserem Zuhause in Holland gekommen. Wir wollten dem Krieg entkommen und zogen deshalb zu unseren Großeltern Josef Schrage und meine Oma Mina. Dann kam der 28. März. Ich bekam das erste Mal die Erlaubnis, weil der Himmel blau und frühlingshaft war, Kniestrümpfe anzuziehen. Den Winter über hatte man immer diese scheußlich kratzenden Strümpfe an. An dem Tag gab es vor halb zehn nach einem Morgenangriff Entwarnung. Das war ein langer, glatter Sirenenton. Ich durfte dann zum Schuster gehen, um meine schwarzen Schuhe abzuholen. Ich sollte Weißen Sonntag nämlich zur Erstkommunion. Mit meinem kurzen Strickrock und einem Jäckchen, die Haare zu langen Zopfen geflochten, machte ich mich auf dem Weg zum Schuster Bender. Kaum hatte ich 200 Meter auf der Straße hinter mir, um über die Sandstraße zurückzugehen – da sah ich die Bomber.
Sie haben die Bomber am Himmel gesehen?
Ja. Ich guckte hoch, war geschockt und rannte mit aller Kraft in den nächsten Eingang eines Stollens. Direkt unter dem Gallenberg. Ich war eine der ersten in dem Bunker. Hinter mir strömten die Menschen hinein und ich wurde weiter nach hinten gedrängt. Bis an die nasse Felswand.
Und da waren Sie dann ganz alleine, ohne Ihre Familie?
Meine Mutter, meine Oma und meine Geschwister hatten es in den Privatbunker der Firma Imhäuser geschafft, der für die Mitarbeiter unter der Lindenhardt gebaut war. Sie wussten ja nicht, wo ich war. Ich war allein unterwegs, ich kannte niemanden, mich kannte niemand.
Wie muss ich es mir in einem Bunker vorstellen?
Es war eng, kalt und nass. Die Luft wurde knapp. Der Bunker war noch nicht richtig fertig. Man saß da und wagte kaum zu atmen, weil es so fürchterlich stank. Es gab Detonationen in der Ferne. Inzwischen steigerte sich meine Angst und ich hatte Hunger und fror furchtbar. Erst am nächsten Morgen hat meine Tante mich dann Gott sei Dank gefunden. Ich war erleichtert.
Wohin sind Sie dann gegangen?
Wir sind in den Imhäuser-Bunker geschlichen, wo meine Familie schon war. Auch da war es sehr voll. Kranke und Verletzte wurden dorthin gebracht. Die Menschen bluteten, stöhnten vor Schmerzen und schrien vor Not. Manche beteten.
Wie geht man als 9-Jährige damit um?
Ich hatte fürchterliche Angst. Immer wieder diese Schreckensnachrichten. Eines Morgens erreichte uns die Nachricht, dass Soldaten, die desertiert waren, in der Rhonard aufgegriffen wurden und standrechtlich erschossen worden waren. Dabei war ein junger Vater mit vier Kindern. Diese Geschichte hat mich sehr berührt. Bis heute noch, wenn ich in der Rhonard vorbeigehe, wo das Kreuz steht.
Was hatten Sie zu essen?
Meine Mutter ging mit uns nach Hause und holte einen großen Steintopf aus dem Keller. Dann kochte sie nachts Bohnensuppe. Zum Glück hatten wir die Stangenbohnen im Herbst angebaut.
Sie haben einige Zeit dort verbracht. Wie beschäftigt man sich?
Das Leben im Bunker war fürchterlich. Eines Tages wurden „Grimms Märchen“ mitgebracht. Daraus las ich meinem Bruder vor. Da ich die Texte ein wenig nachäffte, hatte er große Freude daran. Im Bunker gab es keine Möglichkeit, sich hinzulegen. Man saß oder hockte ganz eng, dicht an dicht.
Welche Erinnerungen haben Sie an die Zeit nach dem Bunker?
Unser Haus stand noch, war aber durchsucht worden. Das Säckchen mit den Goldgulden fehlte in der Schublade. Aber nichts war zerstört. Im Keller hockte unser Dackel. Er reagierte gar nicht, als wir ihn riefen. Warum? Er war dick und fett. Die Besatzer hatten ihn gefüttert. Mit getoastetes Weißbrot mit Schinken und Ei. Ab dem Tag parierte der Hund nicht mehr. Ich bekam hinter dem Haus im Garten erst mal die Zöpfe gewaschen. Das Ungeziefer musste rausgekämmt werden. Nicht angenehm.
Wie sah die Stadt nach dem Bombenangriff aus?
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Überall waren zerstörte Häuser, das werde ich nicht vergessen. Es war vor allem die Innenstadt von Olpe getroffen. Die gesamte Bahnhofstraße lag in Trümmern. Der Kurkölner Platz war ein großer Schutthaufen. Auch Kirche, Mauer und Krankenhaus waren stark beschädigt. Ein Kirchturm musste gesprengt werden. Der Stumpf steht heute noch da als Mahnmal. Es war ein totales Chaos.
Denken Sie heute noch oft dran?
Ja, auch seit das jetzt mit der Corona-Pandemie läuft. Nicht mehr rausgehen, Lebensmittel werden knapp, Ruhe bewahren, sich nicht versammeln, Hamsterkäufe, die Angst vor der Gefahr – das erinnert mich schon daran. Aber die Olper haben den Mut und die Tatkraft gefunden, Olpe wieder aufzubauen. Die Trümmer zu beseitigen und die Heimatstadt in ihrer Art zu erhalten. Ein großartiges Beispiel für den Zusammenhalt der Bevölkerung. Das hoffe ich auch für die Zeit nach Corona.