Attendorn. Die Großrazzia im Erstaufnahmelager für Flüchtlinge in der Attendorner Rundturnhalle hat vor Ort für Aufregung und Unglaube gesorgt. Das DRK hat versucht, den derzeit 72 untergebrachten Flüchtlingen die Situation zu erklären und sie zu beruhigen.

Um 5.30 Uhr am Donnerstagmorgen schlagen die Beamten des Polizeipräsidiums Dortmund in der Attendorner Rundturnhalle zu. Zu dieser Zeit herrscht noch entspannte Stille in der Flüchtlingsunterkunft, „denn normalerweise“, so einer der Arabisch sprechenden Betreuer, „ist hier noch bis spät in die Nacht Betrieb.“

Helle Aufregung

Ziel der Polizeiaktion ist ein 35-jähriger Algerier, der seit gut drei Wochen gemeinsam mit seiner Frau und den anderthalb und zweieinhalb Jahre alten Kindern in Attendorn untergebracht ist. Er steht im Verdacht, Mitglied einer IS-Terrorzelle zu sein, die Anschläge in Berlin geplant haben soll.

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© Grafik: Manuela Nossutta, Foto: dpa

Die mit kugelsicheren Westen geschützten Polizeibeamten nehmen den Algerier und seine Frau fest, die beiden Kinder werden ebenfalls mitgenommen.

Natürlich herrscht ab dem Moment des Zugriffs helle Aufregung in der derzeit mit 72 Flüchtlingen belegten Sporthalle, 36 davon sind Kinder. „Wir haben versucht“, so DRK-Geschäftsführer Torsten Tillmann am Vormittag im Pressegespräch, „den Flüchtlingen die Situation zu erklären und sie so gut es ging zu beruhigen.“

Nur schwer zu glauben

Dass es sich bei dem Festgenommenen um einen IS-Terroristen handeln soll, ist auch für die Betreuer zunächst schwer zu fassen. Der 35-Jährige ist nie unangenehm aufgefallen, hat sich intensiv um seine beiden Kinder gekümmert, mit anderen Tischtennis gespielt und war dabei, wenn auf dem gut hundert Meter entfernten Fußballplatz zwei Mannschaften gebildet wurden, um ein bisschen zu kicken. „Ärger“, so einer der Mitarbeiter, „hat es mit ihm nicht gegeben.“

Derzeit kommt die Mehrheit der Flüchtlinge in der Attendorner Rundturnhalle aus Afghanistan, wo rund 80 Prozent der Bevölkerung der sunnitischen Glaubensrichtung angehören.

Keine Spannungen zwischen den Religionsgruppen

Fußballspielen mit den Afghanen war also in Ordnung, „aber als er gehört hat, dass ich Schiite bin, hat er nicht mehr mit mir gesprochen“, erinnert sich ein Betreuer: „Damals habe ich mir nichts dabei gedacht, aber im Rückblick sieht man das natürlich anders.“

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Spannungen zwischen den Religionsgruppen gab und gibt es in der Attendorner Notunterkunft nicht. „Hin und wieder mal eine kleine Reiberei“, so Torsten Tillmann, „aber das bleibt nie aus, wenn man unter solchen Bedingungen leben muss.“ „Solche Bedingungen“ heißt: Eine Sporthalle, die mittels Stellwänden in kleinere Boxen aufgeteilt ist, in denen Familien oder Gruppen auf Feldbetten untergebracht sind.

In Bayern als Flüchtling registriert

Dass der Algerier in Attendorn untergekommen ist, war Zufall. Er soll im Herbst 2015 über die Balkanroute nach Deutschland eingereist sein und wurde in Bayern als Flüchtling registriert.

Razzia in Attendorn

Polizeibeamte stehen vor dem Erstaufnahmelager für Flüchtlinge in der Rundturnhalle in Attendorn.
Polizeibeamte stehen vor dem Erstaufnahmelager für Flüchtlinge in der Rundturnhalle in Attendorn. © dpa
Der Großeinsatz fand in Attendorn, Berlin und Hannover statt.
Der Großeinsatz fand in Attendorn, Berlin und Hannover statt. © dpa
Allerdings hielt sich der Hauptverdächtige, ein 35-jähriger Algerier, im  Erstaufnahmelager der Hansestadt auf.
Allerdings hielt sich der Hauptverdächtige, ein 35-jähriger Algerier, im Erstaufnahmelager der Hansestadt auf. © dpa
Er und seine Ehefrau wurden in der Rundturnhalle von den Polizeibeamten festgenommen.
Er und seine Ehefrau wurden in der Rundturnhalle von den Polizeibeamten festgenommen. © dpa
Der Mann wird wegen Zugehörigkeit zur Terrorgruppe IS auch von algerischen Behörden gesucht.
Der Mann wird wegen Zugehörigkeit zur Terrorgruppe IS auch von algerischen Behörden gesucht. © dpa
Er soll laut Sicherheitskreisen als Flüchtling getarnt über die Balkanroute nach Europa und Deutschland eingereist sein.
Er soll laut Sicherheitskreisen als Flüchtling getarnt über die Balkanroute nach Europa und Deutschland eingereist sein. © dpa
Einige Bewohner stehen während des Einsatzes vor dem Erstaufnahmelager.
Einige Bewohner stehen während des Einsatzes vor dem Erstaufnahmelager. © dpa
Polizeibeamte verladen  Gegenstände in einen Transporter, die sie im Attendorner Erstaufnahmelager in der Rundturnhalle sichergestellt haben.
Polizeibeamte verladen Gegenstände in einen Transporter, die sie im Attendorner Erstaufnahmelager in der Rundturnhalle sichergestellt haben. © dpa
In Sicherheitskreisen besteht der Verdacht, dass ein von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gesteuerter Anschlag geplant war.
In Sicherheitskreisen besteht der Verdacht, dass ein von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gesteuerter Anschlag geplant war. © dpa
Der mutmaßliche Islamist aus dem Attendorner Erstaufnahmelager war kein Unbekannter, sondern offenbar ein überzeugter Dschihadist.
Der mutmaßliche Islamist aus dem Attendorner Erstaufnahmelager war kein Unbekannter, sondern offenbar ein überzeugter Dschihadist. © dpa
Insgesamt waren in allen drei Städten rund 450 Beamte im Einsatz.
Insgesamt waren in allen drei Städten rund 450 Beamte im Einsatz. © dpa
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Trotzdem ist die Nachricht, dass ein mutmaßlicher IS-Terrorist in der Rundturnhalle der Karnevalshochburg Attendorn am Altweiber-Donnerstag festgenommen wurde, für viele zunächst ein Schock. Polizei und Stadt reagieren schnell: Diethard Jungermann, Leiter der Kreispolizeibehörde, relativierte alle Befürchtungen: „Es gibt zum jetzigen Zeitpunkt keine Erkenntnisse, die eine Erhöhung der Sicherheitsstufe begründen würden. Aus Sicht der Kreispolizeibehörde steht einer unbeschwerten Teilnahme an den vielen Karnevalsfeiern im gesamten Kreis Olpe nichts entgegen.“

Alles findet statt wie geplant

Die Stadt bemüht sich ab den frühen Morgenstunden um nähere Informationen, was sich wegen der Nachrichtensperre zunächst schwierig gestaltet. Auch Bürgermeister Christian Pospischil erfährt erst nach ihrem Abschluss von der Aktion des Einsatzkommandos, gibt aber schnell Entwarnung: „Wir werden keine Veranstaltung absagen, es gibt keine erhöhte Gefahrenlage, und wir gehen davon aus, dass alles wie geplant stattfindet.“