Hagen. 450 Einsatzkräfte gingen am Donnerstagmorgen bei der Großrazzia in Attendorn, Berlin und Hannover gegen Islamisten vor. Terrorismus-Experte Rolf Tophoven analysiert die Gefährdungslage, die einer solchen Aktion vorausgeht.

Die Großrazzia in Attendorn, Berlin und Hannover hat hohe Wellen geschlagen. Doch wie hoch ist eigentlich die Gefährdungslage, wenn Sicherheitsbehörden eine Großrazzia wie diese gegen Islamisten starten? Terrorismus-Experte Rolf ­Tophoven gibt im Interview Antworten:

Terrorismusexperte Rolf Tophoven.
Terrorismusexperte Rolf Tophoven. © Imago | Unbekannt

Wie konkret muss ein Terror-Verdacht sein, damit die Sicherheitsbehörden eine Großrazzia mit 450 Einsatzbeamten starten?

Rolf Tophoven: Ein Zugriff kommt nicht von ungefähr. Das heißt: Es muss eine hohe Gefährdungslage, sprich: ein konkreter Hinweis auf einen Terror-Anschlag, vorliegen. Die Behörden wissen, dass sich Männer in Deutschland aufhalten, die Attentate in der Dimension der Pariser Anschläge verüben können.

Der in Attendorn festgenommene Hauptverdächtige wurde offenbar in seinem Heimatland Algerien angeworben und ist in Syrien zum IS-Kämpfer ausgebildet worden. Ein typischer Weg?

Tophoven: Ich erkenne viele Parallelen in den Lebenswegen von Kämpfern, was die Rekrutierung angeht. Der sogenannte Islamische Staat (IS) versucht besonders intensiv, den nordafrikanischen Raum zu infiltrieren. Also junge Männer in Libyen, Tunesien, Algerien und Marokko anzuwerben.

Der Hauptverdächtige soll verschiedene Identitäten gehabt haben. Überrascht Sie das?

Tophoven: Überhaupt nicht. Das ist kein neues Phänomen. Der IS arbeitet sehr professionell an der Verschleierung der Kämpfer, die in Europa Terror-Anschläge verüben sollen.

Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der aktuelle Flüchtlingszustrom?

Tophoven: Man muss davon ausgehen, dass der IS die ungebremsten Flüchtlingsströme für seine Zwecke ausnutzt. Man hat die Chance erkannt, militante Islamisten auf diese Weise an mögliche Anschlagsziele einzuschleusen. In Flüchtlingsunterkünften können potenzielle Attentäter unerkannt wohnen. All jenen, die sagten, der IS würde die Flüchtlingsströme zur Einschleusung von Kämpfern nicht nutzen, müssen erkennen, den IS fatal unterschätzt zu haben.

Es heißt, dass es einen konkreten Hinweis seitens des Bundesamtes für Verfassungsschutz gab. Wie laufen die Informationswege bei den Sicherheitsbehörden?

Tophoven: Informationen, die deutsche Behörden aus dem Bereich der Inneren Sicherheit (unter anderem Bundesamt und Landesämter für Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt, Bundesnachrichtendienst) gesammelt haben, werden im „Gemeinsamen  Terrorismusabwehrzentrum“ (GTAZ) in Berlin gebündelt. Am Ende kommt es zu einer konkreten Gefahreneinschätzung.

Wie sieht die internationale Zusammenarbeit aus?

Tophoven: Zunächst einmal: Nationale Konzepte im Kampf gegen den Terrorismus reichen natürlich nicht aus. Der Terrorismus ist eine weltweite Bedrohung. Die internationale Kooperation, der  nachrichtendienstliche Informationsaustausch ist nach der Bildung einer europäischen Anti-Terrorbehörde in Den Haag besser geworden. Es ist durchaus möglich, dass der Festnahme des Algeriers in Attendorn ein Hinweis der europäischen Polizeibehörde Europol und des deutschen Verfassungsschutzes  voraus ging. Es ist unbestritten, dass der IS seit den Anschlägen von Paris einem starken Fahndungsdruck in Europa ausgesetzt ist.