Südwestfalen. . Trotz Erfolgen in der Aids-Prävention in Deutschland gibt es keinen Grund zur Entwarnung. Das bestätigen auch die Beratungsstellen in Südwestfalen, die mit Blick auf den heutigen Weltaidstag warnen: „Das Bewusstsein für die Gefahr durch die Krankheit schwindet.“ Hier ein Überblick über die Zahlen.

„Inflationär vergeben“, fällt vielen zu Gedenktagen spontan ein. Der Weltaidstag aber, der seit 1988 am 1. Dezember begangen wird, hat an Bedeutung nicht verloren. Im Gegenteil: Angesichts der steigenden Zahl unerkannter HIV-Infektionen ist Aufklärungsarbeit das Gebot der Stunde. 14 bis 15.000 Menschen in Deutschland, so schätzt das Robert Koch-Institut (RKI), wissen nicht oder wollen nicht wissen, dass sie mit HIV infiziert sind. Vor allem in ländlichen Regionen ist die Zahl hoch.

Eine kleine Umfrage unter den Aids-Beratungsstellen in Südwestfalen bestätigt, dass die Gruppe der sogenannten „Late Presenter“ zunehmend zu einem Problem wird. Sie gefährdeten sich und andere. Berücksichtigt man den Quotienten, den das RKI für HIV-Infektionen im ländlichen Raum aufgestellt hat, leben in Südwestfalen schätzungsweise zwischen 1000 und 1400 HIV-positive Menschen. Nach Angaben der Aids-Beratungsstellen in der Region liegt die Zahl deutlich darüber.

Die Beratungsstellen klagen, dass ihnen Geld und Personal fehlen, um effektiv aufzuklären. Die fehlende Kenntnis über die Gefahren der Krankheit nehme bei Jugendlichen zu, berichten die Sozialarbeiter. 600 bis 800 Beratungsgespräche und bis zu 200 Schulbesuche stemmen sie pro Jahr, meistens als Ein-Frau- oder Ein-Mann-Unternehmen. Angesichts der wachsenden Nothaushalte und gekürzten Mittel fühlen sich oft im Stich gelassen.

Der Kreis Olpe

Laut Andreas Zimmer von der AIDS-Hilfe Kreis Olpe e.V liegt der Kreis Olpe mit geschätzten weit mehr als 200 HIV-Infizierten über dem vom RKI ausgegeben Quotienten. Der Sozialarbeiter macht dafür die wachsende Zahl von Drogendealern verantwortlich. „Die kommen aus dem Aachener/Kölner Raum über die A 4 und machen sich entlang der abzweigenden Pendlerparkplätze bei uns breit.“

Grund, „Luft abzulassen“, hat Andreas Zimmer. Auch über eine zunehmend schlechter werdende medizinische Versorgung der HIV-Infizierten. Im Kreis Olpe gebe es zu viele Krankenhäuser, die nichts damit zu tun haben wollten, erzählt der Sozialarbeiter. Folgendes sei kein Einzelfall: Bei einem Bürger, der mit allen klassischen Symptomen bei ihm Rat suchte, sei die Krankheit in zwei Kliniken des Kreises nicht erkannt worden. Erst die dritte habe ihm Gewissheit verschaffen können.

„Die meisten Jugendlichen wissen über Aids kaum Bescheid" 

Um präventiv effektiv zu wirken, erklärt Zimmer, fehlten Geld und Personal. Nur zu 70 Prozent könne die Arbeit vom AIDS-Hilfe Kreis Olpe e.V. mit Mitteln des Landes und des Kreises gedeckt werden. „Bei den restlichen 30 Prozent sind wir auf Spenden angewiesen.“ In den letzten Jahren sei man auf einem Defizit „sitzen geblieben“.

Ein weiteres Problem sieht Andreas Zimmer im Zuzug von Asylbewerbern, vor allem aus den afrikanischen Saaten. Das sei ein heikles Thema angesichts der Flüchtlingsproblematik, „aber es muss ‘mal angesprochen werden“. Viele, sagt Zimmer, kämen aus einem Risikogebiet und hätten von Aids noch nichts gehört. „Wenn wir die bei uns Schutz suchenden Menschen über die Gefahren aufklären wollen, brauchen wir nicht nur Dolmetscher.“ Handlungsbedarf sieht er seitens der Landesregierung.

Kreis Siegen-Wittgenstein

Nina Flaig von der Aids-Beratungsstelle Siegen-Wittgenstein schätzt die Zahl der HIV-Infizierten in ihrem Kreis auf etwa 90 bis 300. Das Problem der Late Presenter verortet sie vor allem in ländlichen Regionen. Das würden die vielen Beratungsgespräche, die sie geführt hat, bestätigen. Daraus werde deutlich, dass die Angst vor Diskriminierung auf dem Land auch nach Jahrzehnten der Aufklärung immer noch wesentlich größer sei als in der Stadt.

Kreis Soest

Hildegard Wahle arbeitet bereits seit 20 Jahren in der AIDS-Hilfe im Kreis Soest e.V.. Als einzige Sozialarbeiterin ist sie ständig im Einsatz. 313 HIV-Infizierte sind in den letzten 27 Jahren im Kreis Soest registriert worden. Neun Neuinfektionen sind 2014 hinzugekommen. Die Zahl der Infizierten schätzt Hildegard Wahl auf 150 bis 200. Aus den Beratungsgesprächen schäle sich heraus, dass die HIV-positiven Menschen jünger werden. Beängstigend seien vor allem die Ergebnisse der Schulbesuche. „Die meisten Jugendlichen im Kreis Soest wissen über Aids kaum Bescheid, und das, obwohl es im Biounterricht Thema ist.“ Seit Aids aus den Medien verschwunden sei, seit es Medikamente gebe, die ein Leben mit Aids erträglich machen, werde viel verdrängt. „Es ist aber immer noch eine unheilbare Krankheit.“

Die Arbeit in den Beratungsstellen geht allen an die Nieren. „Keine Frage“, betont Hildegard Wahle. Sie habe schlicht das Glück, dass sie vom Vorstand des Vereins regelmäßig zu sogenannten Supervisionen geschickt wird. Das heißt, alle vier Wochen kann sie gemeinsam mit einer Psychologin das Erlebte aufarbeiten.

Aufklärung sei, so beendet Hildegard Wahle das Gespräch, auch 33 Jahre nachdem AIDS am 1. Dezember 1981 als eigenständige Krankheit erkannt wurde, „immer noch bitter nötig“.