Wetter. Noch steht sie hinten auf dem Trittbrett und sammelt Müllsäcke ein: Josie Schroeder aus Wetter macht eine Ausbildung bei AHE und will nach vorn
Aktuell steht die 18-Jährige auf dem Tritt und sammelt Gelbe Säcke ein. Nimmt sie bündelweise vom Straßenrand oder pflückt sie von Gartenzäunen. Wenn sie sich an dem langen Griff hinten am Fahrzeug fest hält, bis der 40-Tonner für den nächsten Halt bremst, hat sie ihr Ziel quasi immer vor Augen: die Fahrerkabine.
Josie Schroeder ist Auszubildende bei AHE. Den Autoführerschein hat sie bereits. Bezahlt vom Arbeitgeber. Zum Ende ihrer Ausbildung sollte auch der Lastwagenführerschein in ihrer Brieftasche stecken. Bis dahin gibt es noch einiges zu lernen. Nicht nur hinter dem Lenkrad.
Sie findet den Rollentausch gut, sagt die Wetteranerin. Restmüllabfuhr hat sie bereits hinter sich. Blaue und gelbe Tonnen auch. Sperrmüll ebenfalls. Wenn sie mal am Steuer sitzt, wird sie beispielsweise wissen, wie nah man an die Hauseingänge ranfahren muss, damit es den Kollegen oder Kolleginnen hinten am Tritt keine unnötigen Wege abverlangt und trotzdem sicher ist.
Der Käpt‘n soll alle Tätigkeiten kennen
Fünf Meter mehr oder weniger vor den Hauseingängen können viel sein. Bei einem Halt im Minutentakt. Schnell kommt da ein Kilometer unnötiger Laufleistung zusammen. Punktgenaues Stehenbleiben ist “Wertschätzung in der Teamarbeit”, sagt Fabian Konisch. Er ist Niederlassungsleiter beim Entsorgungsunternehmen AHE mit Sitz in Wetter.
Bei einem Team der Müllabfuhr ist der Fahrer oder die Fahrerin der Käpt‘n. “Und wer auf dem Chefsessel sitzen will, muss wissen, was die Matrosen zu tun haben”, sagt Johannes Einig. Er ist der Kapitän im Gesamtunternehmen AHE und erklärt: “Bei uns gibt es keine Führungskraft, die nicht hinten auf dem Tritt gestanden hat.” Er selbst nicht ausgeschlossen.
Mit lackierten Fingernägeln unterwegs
Ihr Vater Sascha ist Strecke gefahren, als Josie ein Kind war. Manchmal durfte sie mit auf Tour. “Ich will das machen, was mein Papa macht”, hat sie damals schon gesagt. Jetzt steuert ihr Vater bei AHE ein Müllfahrzeug, und Tochter Josie strebt das auch an. Klar fanden ihre Freunde die Ausbildung zur Berufskraftfahrerin schon etwas besonders, aber auch cool, berichtet die 18-Jährige.
Diese Art der Bewunderung schlägt ihr besonders entgegen, seit ihr Vater für die Social-Media-Plattform Tik Tok ein Video mit ihr gedreht hat. Mal baumeln gelbe Säcke an der Hand mit den lila lackierten Fingernägeln, mal zieht Josie Schroeder Schneeketten auf. 1,3 Millionen Aufrufe hat das Video bisher gehabt und über 16.000 Klicks, sagt der Vater voller Stolz. Manche Kommentare sind blöde Männersprüche. Typischer aber ist die Erkenntnis von Snookiiieh: „Jetzt, wo ich das Video sehe und so darüber nachdenke: Ich habe noch nie eine Müll-Frau gesehen.”
Frauen fahren anders
Das dürfte sich ändern. Josie Schroeder ist aktuell eine von drei Frauen in der Ausbildung beim Entsorger AHE. Zehn Frauen beschäftigt das Unternehmen insgesamt im gewerblichen Bereich, bei rund 200 Mitarbeitenden. „Wir können das weibliche Geschlecht nicht ignorieren”, sagt Johannes Einig. Frauen seien nun mal die besseren Autofahrer, besonnener und vorsichtig. Männer, und auch da schließt er sich mit ein, „sind im Straßenverkehr angriffslustiger.”
Abstriche bei der Länge der Fingernägel werden nicht gemacht. Aber Josie Schroeder ist klar, „dass man Kraft mitbringen muss und Ausdauer”, wenn man acht Stunden aufs Trittbrett springt und wieder hinunter, um Gelbe Säcke einzusammeln oder schwere Biotonnen zu entleeren. „Und das bei Wind und Wetter”, ergänzt ihr Vater. Ein Schrittzähler würde leicht die 20.000 pro Arbeitstag überspringen, ist Johannes Einig überzeugt.
Girls Day ermöglicht Einblicke
Was ihr Papa bei AHE genau macht, hat Josie Schroeder beim Girls Day erkunden können. Es hat ihr gefallen. Noch wird sie als Frau auf dem Tritt als etwas Besonderes wahrgenommen. „Vielleicht wie ein Mann im Nagelstudio”, sagt sie. Aber was stört das, wenn am Ende des Rollenspiels der Wechsel ins angepeilte Führerhaus steht?
Johannes Einig jedenfalls wünscht sich, dass mehr junge Frauen keine Angst haben und sich den Käpt‘n-Job im 40-Tonner zutrauen. Sein Tipp: Einfach versuchen, und sei es durch erste Einblicke beim nächsten Girl Day.