Wetter/Herdecke/Ennepe-Ruhr. Seit dem Hochwasser 2021 ist viel passiert, aber noch lange nicht genug, so ein Experte des Ruhrverbands und erläutert die Probleme.
Die Bilder und Erinnerungen an das Hochwasser 2021 sind nicht mehr ganz frisch, aber in vielen Köpfen noch vorhanden. Trotzdem hat die Südwestfälische Industrie- und Handelskammer zu Hagen (SIHK) zur Gewässerkonferenz geladen. Eine Fragestellung dabei lautete, ob eine Hochwasser-Demenz eingetreten sei.
Prof. Dr.-Ing. Norbert Jardin, Vorstandsvorsitzender des Ruhrverbands, hat in seinem dortigen Vortrag zusammengefasst, dass die Auswirkungen des Klimawandels durch das Hochwasser 2021 und die kürzlichen Starkregenereignissen in Essen und Gelsenkirchen deutlich spürbar geworden sind. Er reflektierte das Hochwasser 2021 und gab einen Ausblick, was noch zu tun ist, um mit solchen Wetterereignissen besser umgehen zu können. Im Nachgang zu der Veranstaltung in Hagen stand er der Lokalredaktion Wetter/Herdecke für ein Interview zur Verfügung.
Sie haben während Ihres Vortrages betont, dass wir lernen müssen, mit den Wetterereignissen umzugehen. Verhindern können wir sie nicht mehr. Erklären Sie das unseren Lesern?
Prof. Dr.-Ing. Norbert Jardin: Der Klimawandel ist nichts, was in einigen Jahren auf uns zukommt. Er ist bereits da. Das können wir belegen, denn seit 1881 werden die Klimadaten erfasst. Seitdem wird es kontinuierlich wärmer. Seit 1990 steigt die Kurve besonders drastisch an. Inzwischen ist es 1,5 Grad Celsius wärmer, als noch 1881. Ferner hatten wir 14 Jahre infolge zu wenig Niederschlag - auch wenn die Menschen im Sauerland das nicht glauben können. Seit 2009 war jedes Jahr im Vergleich zum langjährigen Mittel zu trocken. Wir müssen uns daher an die neuen klimawandelbedingten Wetterphänomene anpassen und uns davor schützen.
Gibt es eine Erklärung, warum der Anstieg seit 1990 besonders zunimmt?
Das hängt mit den CO²-Emissionen zusammen, die seitdem ebenfalls wesentlich höher geworden sind und gleichzeitig weniger CO² absorbiert worden ist. Wir hatten im vergangenen Jahr das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen und auch dieses Jahr wird es wieder sehr warm sein, auch wenn die Zahlen für dieses Jahr noch nicht vollständig vorliegen.
Aber wie hängt der Klimawandel denn jetzt mit den Wetterereignissen zusammen?
Da muss zunächst unterschieden werden. Klimawandel ist etwas, das langfristig vonstatten geht, Wetter spüren wir kurzfristig. Die durch den Klimawandel verursachten höheren Temperaturen führen zu einer höheren Verdunstungen. Dazu kommt, dass warme Luft wesentlich mehr Wasser aufnehmen kann. Wenn die stark wasserbeladenen Wolken abregnen, ist es eben kein normaler Niederschlag mehr, sondern ein Starkregen und somit ein Extremwetterereignis. Es gibt eine Studie aus einem der besten Wissenschaftsmagazine, die direkt nach dem Hochwasser 2021 herauskam, die besagt, dass Menschen, die heute geboren werden, achtmal so häufig Hitzeperioden, viermal so häufig Dürre, dreimal so häufig Hochwasser und zweimal so häufig Waldbrände erleben, wie Menschen, die in den 60er-Jahren geboren wurden.
Diese Zahlen sind beeindruckend, insbesondere da Sie in Ihrem Vortrag auch davon sprachen, dass wir wahrscheinlich gar nicht mehr so lange auf ein 100-jährliches Hochwasser warten müssten...
Natürlich kann ich heute nicht mit Gewissheit sagen, wann das nächste 100-jährliche Hochwasser kommen wird, aber wir werden uns darauf einstellen müssen, dass die Zeiträume solcher Ereignisse immer kürzer werden. Die Statistik, die wir heute zur Charakterisierung solcher Ereignisse nutzen, wird schon bald das 100-jährliche Hochwasser in ein 50-jährliches Hochwasser umbenennen müssen.
Sind wir Ihrer Meinung nach besser auf solche Extremwetter und Hochwasserlagen vorbereitet als noch vor zwei Jahren?
Wir sind besser, aber noch nicht gut genug vorbereitet. Es ist schon viel passiert. Kreise, Kommunen, Unternehmer und Verbände haben schon viele Schutzmaßnahmen getroffen, wir wären aber immer noch nicht gut genug vorbereitet.
Das klingt alarmierend. Was müsste noch passieren? Was fehlt?
Die Landesregierung hat ein Zehn-Punkte-Programm kurz nach dem Hochwasser von 2021 vorgelegt. Das ist ziemlich umfassend, es gibt nur wenig, was fehlt. Aber wir sind deutlich zu langsam in der Umsetzung. Die Informations- und Meldeketten müssten beispielsweise schneller und umfassender funktionieren. Das ist eine der zentralen Herausforderungen. NRW müsste das nicht neu erfinden, so etwas gibt es in anderen Bundesländern schon, beispielsweise in Sachsen.
Eine bessere Information der Menschen kann aber nicht der einzige Punkt sein…
Nein, das ist richtig. Hochwasserschutz verlangt das Zusammenwirken aller Akteure. Behörden, Kreise, Kommunen und Gewerbetreibende müssen zusammenarbeiten. Die katastrophalen Auswirkungen des Hochwassers 2021 geraten gerne in Vergessenheit. Andere Themen rücken wieder mehr in den Vordergrund. Wir haben als Ruhrverband unseren 60 Mitgliedskommunen unsere Hilfe angeboten. Eigentlich sind sie für die Gewässer zuständig, aber beispielsweise die Stadt Ennepetal hat die Gewässerunterhaltung und den Gewässerausbau an uns übertragen.
Woran konkret müssen die beteiligten Akteure schnellstens arbeiten, damit uns das nächste Hochwasser nicht so hart trifft, wie das vergangene?
Zunächst einmal ist an ganz vielen Stellen gewaltiges von den Einsatzkräften geleistet worden. Das möchte ich an dieser Stelle noch einmal betonen. Wir müssen aber ganz viele Themenfelder bearbeiten, wenn wir in Zukunft besser dastehen wollen. Zwei davon möchte ich explizit benennen. Wir müssen unsere Informations- und Meldewege sowie die Voraussagen wesentlich verbessern. Die Erfahrung von 2021 hat gezeigt, dass einige Informationen nicht richtig eingeordnet werden konnten. Es gab beispielsweise 2021 eine Meldung, die sich später als falsch erwies, dass ein Damm in Schwerte brechen würde. Daraufhin erhielten wir Anfragen, ob die Bürgermeister jetzt die Städte räumen lassen müssten. Dabei hätte das Wasser, das dort abgeflossen wäre, den Hochwasserpegel lediglich um wenige Zentimeter erhöht. Der Informationsfluss und die Meldewege müssen zentral organisiert werden. Das zweite Thema betrifft die ganzheitlichen Konzepte. Bisher betrachtet jede Kommune das Gewässer in ihrer Stadt separat und nicht von der Quelle bis zur Mündung. Das müssen wir ändern, denn wir brauchen ganzheitliche Hochwasserschutzkonzepte und keine lokalen Begrenzungen. Das muss schnell mehr Fahrt aufnehmen.