Herdecke. In seinem 125. Jahr löst sich der Wirteverein auf. Warum die Herdecker Gastronomen trotzdem optimistisch in die Zukunft blicken
Die Sendung im Fernsehen hat Wilhelm Bonsmann richtig geärgert. „Hotel Mondial“ heißt sie, und in diesem Hotel hat sich die Chefin mit einer Flasche Bier in Hand zur Belegschaft gestellt. „Schwachsinnig“, sagt Bonsmann über diesen Niveauverlust beim Fernsehen und einer Hotel-Chefin. Er sollte es wissen: Bonsmann hat jahrzehntelang das Landhotel Bonsmanns Hof an der Wittbräucke geführt. Und bis vor kurzem war er noch Vorsitzender des Herdecker Wirtevereins, auch wenn der schon lange einen anderen Namen trägt.
Als Wirteverein ist der Zusammenschluss von Herdecker Gastronomen vor fast 125 Jahren gegründet worden, und als Ortsverein Herdecke der DEHOGA ist der Verein jetzt zu Grabe getragen worden. Die Großbuchstaben stehen für Deutscher Hotel und Gaststättenverband. Den gibt es auch weiter in der Region. Für einen eigenen Ableger in Herdecke aber besteht schon länger kaum noch Bedarf. Drei Namen verzeichnet die Teilnehmerliste Jahreshauptversammlung von 2001, elf Jahre später waren es nur zwei, und auch der Auflösungsbeschluss steht nicht auf breiterem Fuß.
Gastronomie lockt natürlich weiterhin in Herdecke. Nur anders, und mit anders geforderten Gastronomen. Wilhelm Bonsmann spricht von der „starken Internationalisierung der Betreiber“ und meint damit die vielen Angebote mit italienischer oder griechischer oder türkischer Küche. Das klingt zugleich ein bisschen überkorrekt und doch deutlich. Jedenfalls sind aus diesem internationalen Holz nicht unbedingt DEHOGA-Mitglieder geschnitzt. Zwölf Betriebe waren am Schluss noch dabei, kein Absacken, sondern eher ein schleichendes Ende, sagt Bonsmann.
Zum Austausch untereinander ist der Wirteverein gegründet worden. Und zum Feiern. Da ist die Erinnerung an gemeinsame Fahrten etwa zu einer Weinbrennerei am Rhein oder zum Herdecker Koepchenwerk. Heute fehlt der Nachwuchs im Verein, stellt Lars Martin von der DEHOGA für den Großraum Dortmund fest. Immer mehr Bürokratie lande auf den Schreibtischen der Gastronomen. Da fehle die Zeit für gemeinsame Aktionen oder den Spaß am Stammtisch der Gastgeber-Branche.
70 Gastrobetriebe gab es in Herdecke, als Georg Riepe 1984 im Zweibrücker Hof an den Start ging. Imbissbuden. Kneipen. Landgasthöfe. Restaurants. Hotels. Die meisten kleinen sind längst verschwunden. Dönerbuden oder Gastroketten wie das Extrablatt am Ruhrufer sind hinzu gekommen. Erstmals geboomt hat es in den sechziger und siebziger Jahren, sagt Lars Martin und kommt mit einer steilen These: „Der Untergang der Kneipen begann, als man den Ehefrauen in Form der Girokonten Zugriff aufs Gehalt der Männer gegeben hat.“ Mehr wohl ging es darum, den Männern den Zugriff auf die Lohntüte zu nehmen.
Bei Wilhelm Bonsmann und Veronika Riepe vom Zweibrücker Hof löst Lars Martin zunächst Gelächter aus. Aber Widerspruch gibt es keinen. Auch nicht bei dem Erklärungsansatz von Wilhelm Bonsmann: „Früher gab’s Bier ja nur in der Kneipe.“ Vor dem Flaschenbier war das ein sicherer Umsatzbringer. Szenen wie in der ZDF-Serie vom Hotel Mondial hätte es schon aus diesem Grund nicht gegeben können. Und heute? Da kostet das Fassbier die Gastronomen mehr als das Bier in der Pulle. Lars Martin folgt: „Eigentlich sollte man in Kneipen nur noch Flaschenbier hinstellen - betriebswirtschaftlich betrachtet.“
Gudrun Dannemann denkt an Fernsehen überhaupt als Totengräber vieler Gastrobetriebe. Der jüngste Niedergang, der ja keiner der Branche ist sondern nur eines übrig gebliebenen Branchenverbandes, darf sie erfreuen: Bei der Auflösung des Herdecker Wirtevereins war noch viel Geld in der Kasse. Rund die Hälfte geht an den Verein Sterntaler. Gudrun Dannemann vom Vorstand ist zur Entgegennahme des symbolischen Schecks über 3000 Euro gekommen. Für die mittlerweile 30. Segeltherapie des Vereins möchte sie das Geld einsetzen.
Neben Worten des Dankes hat sie auch etwas zur Aufmunterung. Gerade die Coronazeit habe ihr gezeigt, wie wichtig Gastronomie sei, sagt sie. Lehrreich war, als gar kein Zutritt zu Gasträumen erlaubt war, aber auch, mit wie vielen Auflagen ein Gaststättenbesuch verbunden sein kann. Am Ende hat das die Lust auf ein Essen auswärts oder ein Getränk auf der Promenade nur gesteigert. Lars Martin bestätigt: Die Branche habe sich mittlerweile von Corona beinahe vollständig erholt. Die Zahlen hätten das Niveau der Vor-Coronazeit. Wäre da nicht das große Problem mit dem Personal.
Es gibt keine Aushilfen mehr, stellt Veronika Riepe fest. Deshalb ist letzten Sommer auch ein paar Mal der Biergarten geschlossen geblieben. Eine Hochzeit im Haus habe nun mal Vorrang, auch beim Einsatz der Mitarbeiter. Aber es wird schon wieder besser beispielsweise bei den Azubis.
Veronika Riepe sieht dafür Gründe: „Der Weg vom Tellerwäscher zum Hotelier ist weiterhin auch ohne 20 Studienabschlüsse möglich.“ Eine gute Ausbildung und ein gezieltes Studium könnten immer noch ziemlich direkt in die Selbstständigkeit führen.
Nie sei der Aufstieg innerhalb der Gastronomie so schnell möglich gewesen wie bei dem aktuellen Fachkräftemangel, ergänzt Lars Martin. Er stellt fest: „Gäste haben wir eigentlich genug. Nur der ein oder andere davon müsste sich an der Theke hinreißen lassen, die Seite zu wechseln.“