Wetter. Freunde wünschen sich für ihre Kinder eine Schule „ohne Ausländer, Behinderte und Pflegekinder.“ Nun spricht der Pflegevater Klartext.
Drei Pflegekindern geben Matthias und Cristina Küstermann seit 20 Jahren in Wetter ein Zuhause. „Meine Frau und ich sehen das auch als Aufgabe für die Gesellschaft an, diese Kinder auf ein selbstständiges Leben vorzubereiten. Was bei einigen dieser jungen Menschen aufgrund ihrer frühkindlichen Biografie schwierig sein kann. Die passen nicht immer hundertprozentig in die Norm“, weiß Matthias Küstermann. Was ihm und seiner Frau zuletzt widerfahren ist, fordere ihn jedoch heraus, „an die Öffentlichkeit zu gehen und Haltung zu zeigen – als Christ, als Pflegevater und als Bürger“.
+++Nichts mehr verpassen: Hier gibt es den kostenlosen Newsletter aus Wetter und Herdecke+++
Pflegevater aus Wetter: „Das hat uns sehr verletzt“
Folgendes habe sich zugetragen: Auf der Suche nach einer Grundschule für ihr jüngstes Pflegekind hätten seine Frau und er unter anderem auch eine Schule in Herdecke in Betracht gezogen. „Das bekamen Menschen in unserem Freundeskreis mit und meinten daraufhin zu uns, wir sollten das lassen. Ihre Kinder sollten in einem reinen Umfeld groß werden, ohne Ausländer, Behinderte und Pflegekinder“, berichtet der 53-Jährige. Und fährt fort: „Das hat uns sehr verletzt, aber das ist eine persönliche Geschichte. Zugleich erinnert es an Zeiten, die man vorbei geglaubt hatte. Wir wollen dazu nicht mehr schweigen und meinen: Wehret den Anfängen.“
+++ Lesen Sie auch: Herdecke: Convivo-Arbeiter nach Insolvenz umworben +++
Zu seinen Erfahrungen und zum Leben als Pflegeeltern sagt Matthias Küstermann: „Meine Frau und ich machen das mit Herzblut und betrachten die Kinder als unsere Kinder. Es macht Spaß und Freude, auch wenn es mal Schwierigkeiten gibt. Und es gibt ganz viel Positives, viele Erfolge und Menschen, die uns unterstützen und begleiten und Verständnis haben. Nur diese Negativ-Erfahrung hat uns an einen Punkt gebracht, an dem wir dachten: Es reicht nicht, mit denen zu reden. Dazu muss man etwas sagen, Zivilcourage und Haltung zeigen, und zwar auch laut und öffentlich.“ Matthias Küstermann: „Wir fragen uns ständig: Was ist das für eine Geisteshaltung? Ich stehe im Glauben. Jesus war für die Schwachen da, und das versuche auch ich zu leben.“
Die Diskriminierung von Pflegekindern sei auch für ihn und seine Frau eine neue Erfahrung. „Pflegekinder haben aber überhaupt keine Lobby bei uns. Es gibt keinen Pflegekinderverband oder ähnliches“, meint der stellvertretende Leiter des Kreiskirchenamtes der Kirchenkreise Hagen, Hattingen-Witten und Schwelm. Er und seine Frau würden dafür kämpfen und ganz viel Energie in das Leben mit ihren Kindern stecken und sich über jeden Unterstützer im Familien- und Freundeskreis, bei Ärzten, in Schulen und im Jugendamt freuen. Solch eine Diskriminierung aber hätten sie jetzt das erste Mal erlebt.
Pflegevater aus Wetter will öffentlich Haltung zeigen
Die Küstermanns haben ihre drei Kinder in sehr jungem Alter aufgenommen: Das älteste ist 20 Jahre alt und kam mit 15 Monaten zu ihnen; das mittlere ist 17 und kam mit acht Monaten, das jüngste ist sechs Jahre alt und kam mit knapp zwei Jahren in die Familie. „Die Kinder haben ohnehin ein Päckchen zu tragen. Wir haben aber eigentlich nie Probleme gesehen. Die werden eigentlich umgekehrt viel häufiger mal von außen an einen herangetragen. Auch wenn es pathetisch klingen mag: Wir ruhen da in uns. Wir haben es immer gerne gemacht, und die Kinder geben es einem zurück“, versichert Matthias Küstermann. Abschließend fasst der Pflegevater noch einmal zusammen, warum es ihm so wichtig ist, Haltung in der Öffentlichkeit zu zeigen: „Ich will aufzeigen und bewusst machen, und ich hoffe, dass ich nicht der einzige bin, der so denkt.“
Auf Nachfrage bei Andrea Mertens, Leiterin der Erziehungs- und Familienberatungsstelle des Gemeinnützigen Vereins für Sozialeinrichtungen (GVS), ob ihr etwa heimische Pflegefamilien von ähnlichen Erfahrungen berichtet hätten, antwortet die Psychologin: „Nein, an so etwas kann ich mich nicht erinnern. Ich höre eher von viel Respekt, wenn jemand ein Kind annimmt; denn das hat meist eine Bürde zu tragen. Es gibt schon mal Pflegeeltern, die zu uns kommen, aber die haben andere Probleme – etwa die Wurzelsuche der Pflegekinder in der Pubertät oder ähnliches. Sehr wohl aber habe ich wahrgenommen, dass die Bereitschaft der Bürger zurückgeht, Pflegekinder aufzunehmen. Da gibt es einen rückläufigen Trend, weil immer weniger Eltern sich das zutrauen.“