Herdecke. Martina Hellmuths Mutter (87) lebt im Heim. Als sie zur verabredeten Zeit mit ihr zum Friedhof will, heißt es: Keiner darf rein oder raus.

Zweieinhalb Jahre Corona und kein Ende: Während auf der einen Seite große Teile der Bevölkerung leben und feiern, als hätte es dieses Virus nie gegeben, lässt es auf der anderen Seite Menschen wie Martina Hellmuth einfach nicht los. Ihre Eltern lebten in der Senioreneinrichtung Kirchende; nun ist Anfang August der Vater verstorben, so dass die Sorge um die Mutter (87) nicht kleiner wird. Freitagmittag hatte sie mit ihr einen Besuch auf dem Friedhof verabredet; die in ihrer Mobilität schwer eingeschränkte Seniorin sollte per Fahrdienst mit dem Rollstuhl dorthin gebracht werden. „Dann kam mittags ein Anruf vom Heim, dass keiner rein oder raus dürfe. Der komplette Wohnbereich 1, in dem meine Mutter lebt, sei gesperrt beziehungsweise unter Quarantäne“, berichtet die Herdeckerin.

Balkontür abgeschlossen

Man habe ihr außerdem mitgeteilt, es gebe Post, die sie möglichst schnell abholen sollte. „Ich bin sofort zum Heim und wollte dort dann meiner Mutter, deren Zimmer sich im Erdgeschoss befindet, wenigstens über den Balkon etwas anreichen. Aber die Balkontür war – wieder mal – von innen verriegelt. Ich habe den Mitarbeitern gesagt, dass ich die Polizei rufe, wenn nicht innerhalb von zehn Minuten die Tür geöffnet wird“, so Martina Hellmuth. Die Balkontür sei zügig geöffnet worden; aber der gemeinsame Besuch am Grab habe eben nicht stattfinden können. „Es gab keine weiteren Infos am Freitag, auch kein Schnelltestergebnis meiner Mutter“, so die Herdeckerin. Übers Wochenende habe sie ebenfalls keine Auskunft bekommen: Versuche, telefonisch jemanden zu erreichen, seien ins Leere gelaufen. Erst ihre Mutter, die im übrigen vier Mal geimpft ist, habe später von einer Pflegerin auf Nachfrage erfahren, dass der Schnelltest positiv war.

Ins Freie gehen und Sozialkontakte

Seit Beginn der Pandemie war Martina Hellmuths Mutter viele Male und über viele Wochen in Einzelzimmerisolierung – im ersten Corona-Jahr auch über Weihnachten und Silvester. Die Herdeckerin hat das akribisch dokumentiert und weiß inzwischen, dass nicht all diese Maßnahmen rechtens waren. Und sie weiß auch, wie wichtig Sozialkontakte für alte Menschen sind: „Es ist jetzt das dritte Jahr mit Corona. Und mein Schrecken ist, dass es immer so weiter geht. Wann immer ich bei meiner Mutter bin, gehe ich mit ihr raus an die frische Luft, in den Garten zum Seerosenteich, ins Café. Das ist ein Stück Lebensqualität.“ Sie bedaure, dass das nun wieder nicht möglich sei – gerade jetzt in der Trauerphase.

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„Corona bleibt, und wir müssen damit leben. Auch in den Heimen. Aber dass Bewohner eines Wohnbereichs unter Quarantäne gestellt werden bei negativem Testergebnis, wie das am Freitag offenbar der Fall war, das geht nicht“, so die Herdeckerin, die damit ausdrücklich nicht ihre positiv getestete Mutter meint. Sie will ihren Unmut auch nicht als Kritik an den Pflegenden verstanden wissen; „denn die tun, was sie können.“

Kommunikation „stressbedingt daneben“

Auf Nachfrage bei der Convivo-Gruppe, die die Senioreneinrichtung in Kirchende betreibt, hieß es dazu von Regionalleiter Marc Gabelmann: „Es hat einen Kontakt mit der Angehörigen während der Testung gegeben. Stressbedingt ging die Kommunikation da völlig daneben. Das sollte so nicht sein.“ Zur Erklärung fügt er noch an, dass der Krankenstand in Führungsebene und Verwaltung hoch sei: „Da war Land unter und Stress.“ Der Vorwurf des verriegelten Balkons lasse sich nicht aufklären: „Die Armaturen sind abschließbar, der Schlüssel steckte, wie jetzt auch. Warum daraus eine Verriegelung gemacht wurde, wissen wir nicht.“ Martina Hellmuth erklärt, dass es zum Aufschließen einer besonderen Handhabung bedürfe: „Meine Mutter kann das nicht aufschließen, und ich kann es auch nicht.“

Keine Quarantäne für alle

Auf Nachfrage beim Gesundheitsamt des Ennepe-Ruhr-Kreises zum Vorfall am Freitag gab es folgende Auskunft: „Das Gesundheitsamt hat im Seniorenheim Kirchende keine Quarantäne für alle Bewohnerinnen und Bewohner des Wohnbereichs 1 ausgesprochen. Dies wäre auch nicht von der entsprechenden Allgemeinverfügung gedeckt. Die Heime können den Angehörigen vermitteln, dass es einen Ausbruch gibt und darum bitten, Besuche zu reduzieren und unter Maske durchzuführen.“ Vorsorgliche Quarantänen aber seien nicht gestattet.

Im Wohnbereich 1 gebe es (Stand Montagmittag) zwei Corona-positive Mitarbeitende, am Freitag habe es zudem neun positive POC-Testungen gegeben. Das Gesundheitsamt werde am Dienstag im Wohnbereich 1 eine Einrichtungsdiagnostik durchführen, um ein umfassendes Bild zu bekommen.