Wetter. Eigengewächs, Mitglied der Unternehmensleitung: Geschäftsführerin Carolin Paulus verlässt nach 34 Jahren die Demag und blickt emotional zurück.
Bei der Demag groß geworden. Aus Wetter für Wetter. Der Abschied von Geschäftsführerin Carolin Paulus (53), die das traditionsreiche Kranbau-Unternehmen nach satten 34 Jahren jetzt Ende Mai verlässt, hat viele überrascht und bewegt. Ein Rückblick auf spannende Berufserfahrungen.
Aus den Reihen der „Demagogen“ bedauern viele Ihren Abschied, wie kam es zu der Entscheidung?
Carolin Paulus: Der Aufsichtsrat hat entschieden, Service und Industrial Equipment zusammenzulegen. Für mich waren in dem Entscheidungsprozess zwei Dinge entscheidend: Ich möchte immer zu mir selbst stehen. Und ich wollte selbstbestimmt aussteigen. In meiner langen Karriere habe ich diesbezüglich viele schlechte Beispiele gesehen. Ich habe lange überlegt und dann diese harte Entscheidung getroffen.
Und jetzt, wie geht es weiter?
Ich gönne mir nun erst einmal Ruhe. Ich bin damals direkt von der Schulbank über Ferienarbeit bei der Demag zur Lehre gekommen, habe etwas später den Uni-Abschluss nebenher geschafft. Ich habe in der Vergangenheit vieles nicht machen können. Ich bin überrascht, wie aktiv der Arbeitsmarkt ist, ich habe bereits einige Angebote bekommen. Nach 34 Jahren will ich aber nicht sofort zur nächsten Station springen, sondern mich erst sortieren. Durch das häufige berufliche Reisen blieb privat schon manches auf der Strecke.
Schon Ihr Vater hat für die Demag gearbeitet, hat er Sie beeinflusst?
Mein Vater war als Bauingenieur in der Bauabteilung des Demag-Werks im rheinland-pfälzischen Bad Bergzabern beschäftigt. Dann stand die Entscheidung an, nach Offenbach oder Wetter zu gehen. 1966 kamen meine Eltern dann ins Ruhrgebiet, ich bin die Erste aus der Familie, die hier geboren wurde. Auch meine beiden älteren Brüder haben vor Jahren für die Demag gearbeitet. Als Jugendliche habe ich gesagt: Ich werde niemals da arbeiten. Ich wollte aber zunächst nicht studieren, also begann ich doch hier 1988 meine Lehre. Ich fand es hier vom ersten Tag an spannend, weil hier die große weite Welt spürbar war. Nach drei Monaten Lehrzeit kam ich beruflich nach England und bekam Kontakt nach Australien. Ich habe viel gesehen, war immer international orientiert, auch wenn ich meinen Lebensmittelpunkt immer in Wetter hatte. Mein Vater hat, ehe er 2000 in Rente ging, als Architekt das Distributionszentrum hier an der Ruhrstraße gebaut. Ich habe immer augenzwinkernd gemeckert, dass da ein Aufzug fehlt.
Sie haben viele Eigentümer-Wechsel miterlebt, beschreiben Sie bitte mal die Phasen.
In der Mannesmann-Zeit habe ich vieles unbedarft gesehen, das war ein Riesen-Konzern, man fühlte sich abgesichert. Bezüglich der KKR-Übernahme 2001 habe ich erst viel später erfahren, wie knapp unser Werk in Wetter damals an einer Katastrophe vorbeigeschrammt ist. Da ging es hier turbulent zu. Es wurden etwa Büros eingerichtet, in die nie jemand einzog. Schön war der Börsengang der Demag Cranes AG, da herrschte eine Aufbruchstimmung. Wobei damals klar war: Wir sind eine schöne Perle im Markt, haben gutes Geld verdient und waren als recht kleines Unternehmen interessant für eine erneute Übernahme. Terex hat mir die Leitung Service International übertragen, insofern war die Phase für mich auch gut, obwohl es insgesamt unruhig zuging. Noch größer waren die Veränderungen durch Konecranes. Dieser langjährige Mitbewerber hat aber die Demag als starke Marke anerkannt und mich als jemanden aus dem aufgekauften Unternehmen in den Vorstand berufen. Die Finnen waren offen für neue Wege, wobei die Demag in den letzten Jahrzehnten immer wieder einen Strukturwandel mitmachen musste. Ich bezweifle bei aller Emotionalität aber, dass das Unternehmen alleine am Markt bestehen könnte. Wir sind in 18 Ländern aktiv, Konecranes in 50. Somit sind wir in einem großen Verbund für Stürme besser gerüstet.
Steckbrief
Carolin Paulus (53 Jahre alt) ist verheiratet, beschreibt sich selbst als bodenständig, loyal, empathisch, heimatverbunden, sie mag die Nähe zu Familie und Freunden. Größte Schwäche: Ungeduld.Sie spricht neben Englisch auch Spanisch. Hobbys: reisen, Motorrad fahren, engagiert sich unter anderem für UN Women (globale Frauenrechts-Organisation).Nach dem Abitur 1988 am städtischen Gymnasium Wetter begann sie als 19-Jährige eine Lehre bei der Demag als Industriekauffrau, nach zwei Jahren wechselte sie ins Projektmanagement in der Export-Abteilung, von 1993 bis 1997 Studium (Betriebswirtin). Ab 2006 war sie für das deutsche, ab 2013 für das weltweite Service-Geschäft verantwortlich. Zuletzt gehörte sie zur dreiköpfigen Geschäftsführung der Demag Cranes & Components GmbH und zum obersten Führungsgremium von Konecranes (Sitz in Finnland).
Wie wichtig ist und war es für Sie, als weibliche Führungskraft wahrgenommen zu werden?
Es gab vor vielen Jahren hier im Zuge einer Umorganisation einen Personalentwicklungs-Workshop, um das Manager-Potenzial von Talenten zu ermitteln. Ich war die einzige Frau unter 100 Teilnehmern und landete in den Top 3, kurz darauf bekam ich eine Abteilungsleiter-Stelle angeboten. Wobei ich in meiner gesamten Karriere immer gefragt wurde und selbst nie einen konkreten Plan hatte, welchen Posten ich anstrebe. Neulich berichteten mir Konecranes-Kollegen, dass ich unter Finnlands 100 einflussreichsten Managerinnen auf Platz 60 liege. Es gab aber auch Erlebnisse in meiner Zeit als Leiterin des deutschen Service-Geschäfts, als ich mit einem Kollegen unterwegs war und für dessen Assistentin gehalten wurde. Das ist heutzutage zum Glück anders, auch in unserem von Ingenieuren geprägten Unternehmen gab und gibt es diesbezüglich viele Fortschritte. In der Industrie sehe ich in der Hinsicht aber vielfach Nachholbedarf.
Wie emotional waren die letzten Tage für Sie?
Ich habe kürzlich bei einer Betriebsversammlung die Reaktionen aus dem Kollegium etwas unterschätzt, auch auf Management-Ebene gab es emotionale Äußerungen. Der Tenor: Respekt für meine Entscheidung, aber auch Bedauern. Ich wollte hier stets allen auf Augenhöhe begegnen und die Menschlichkeit betonen, schließlich bin ich hier aufgewachsen und lebe hier. Der schönste Moment in all der Zeit war die 200-Jahr-Feier 2019 mit dem Tag der offenen Tür im Werk an der Ruhrstraße. Schlimm war eine Betriebsversammlung in der KKR-Zeit, da 20 Prozent der Belegschaft entlassen werden sollten. Nach meinen Urlaub waren fünf Kollegen aus meinem direkten Umfeld weg. Grundsätzlich aber kann ich der Firma nur Danke sagen, sie hat mir eine erfolgreiche und lange Karriere ermöglicht.