Herdecke. Der Krieg zerreißt ihr das Herz: Warum Anna Teresonok aus Herdecke an Russland und der Ukraine leidet.

Der Onkel ihres engsten Freundes wartet mit der Waffe in der Hand auf die Angriffe der Russen in Kiew. Seine Familie verlässt die U-Bahn-Schächte nicht mehr aus Angst vor tödlichen Schüssen. Ihre Schulfreundin in Russland will das alles nicht glauben und spricht von dem herzlichen Empfang, den die Ukrainer den Russen doch machen würden. Für Anna Teresonok ist das alles kaum noch auszuhalten. Die Angst, die Bedrohung, die Propaganda und der aufkeimende Hass. „Es zerreißt mir das Herz“, sagt die 36-Jährige, die seit über 20 Jahren in Deutschland und seit mehr als zehn Jahren in Herdecke lebt. Von hier aus hat sie bereits Hilfe auf den Weg gebracht und wünscht sich noch mehr Batterien, Powerbanks und Schlafsäcke für die Eingeschlossenen.

Wurzeln hat Anna Teresonok in Russland, der Ukraine, Weißrussland und der Mongolei. Das verbindet sie nun auf die unterschiedlichste Weise mit dem Krieg im Osten Europas. Ihr engster Freund hält sie auf dem Laufenden. Von seinem Onkel berichtet er, dass der jetzt mit Waffe unterwegs ist, aber schon gesagt hat, dass er auf die jungen, russischen Soldaten nicht schießen kann. Die seien ja noch wie Kinder und könnten seine eigenen Söhne sein. Der Rest der Familie hat unter der Erde die Nacht zum Tag gemacht hat. Anna Teresonok hat gelernt: „Man legt sich erst schlafen, wenn man die Nacht überlebt hat.“

Mit ihrer Schulfreundin in Sibirien, mit der sie vor wenigen Jahren noch halb Europa durchreist hat, wollte Anna Teresonok darüber sprechen. Es ging nicht. Zu abenteuerlich war für diese die Vorstellung, die Russen hätten in der Ukraine einen Krieg vom Zaun gebrochen. Von kleinen, operativen Eingriffen auf ukrainischem Staatsgebiet hat die Freundin gehört. Von mehr aber nicht. Auch diese Unwissenheit, diese Haltung „zerreißt ihr das Herz“, sagt die Herdeckerin, „dabei liebe ich doch Beide: die Ukraine und ebenso Russland.“

Anna Teresonok bekommt die Bilder nicht aus ihrem Kopf, die sie aus der Ukraine erreichen. Mal sind es Schilderungen mit Worten, mal sind es Fotos von Menschen, die in langen Schlangen an der Grenze zu Rumänien auf die Ausreise warten. Hier hin will der Freund mit dem Auto fahren, um andere Freunde abzuholen, sollten diese den Schritt über die Grenze geschafft haben.

Andere waren schon an der Grenze, haben Menschen mitgebracht und Hilfsgüter da gelassen. Anfangs waren die Helfer für Anna Teresonok namenlos. Auf Whatsapp hatte sie die Aufrufe gefunden, mit Sachspenden gegen die Not und die Winterkälte im Kriegsgebiet anzukämpfen. Mittlerweile hat diese Hilfe für die Herdeckerin Namen, Gesichter und einen Ort: Ein Tanzstudio in Dortmund ist über das Wochenende zu einer Sammelstelle geworden. Anna Teresonok ist voller Anerkennung: „Das sind die kleinen Helden, die Großes leisten.“

Am Sonntag war die Herdeckerin bereits in Dortmund, hat im Tanzstudio Medizin vorbei gebracht, Schmerzmittel vor allem, für eine Pkw-Tour in Richtung Ukraine. Und wieder sagt sie: „Herzzerreißend“ war es, diese Mengen eingepackter Hilfsbereitschaft zu sehen. Am Freitag soll ein Lkw folgen mit Säcken voller Winterklamotten, Isomatten, haltbarer Lebensmittel und Babynahrung. So kompakt wie möglich werden die Hilfsgüter im Stauraum verschwinden. Unter Anna Teresonoks Mithilfe. Einen Tag hat sie dafür frei genommen.

Im Kommunalen Integrationszentrum des Ennepe-Ruhr-Kreises ist die 36-Jährige beschäftigt. Sozialarbeit hat sie studiert in Dortmund, ist dafür von Menden nach Herdecke gezogen. Im Integrationszentrum geht es um Chancen von Menschen, die aus anderen Ländern nach Deutschland gekommen sind. Anna Teresonok kann also auf Verständnis hoffen für ihre Situation zwischen allen Stühlen. Und sie findet dieses Verständnis. Eine Kollegin hat ihr mit einem Spruch den Rücken gestärkt, der den schrecklichen Bildern und den großen Hilfsanstrengungen Schwere nimmt: „Unsere Seelen haben keinen Pass.“

Völkerhass ist zu spüren

Wenn es nur immer so einfach wäre, über den Dingen zu stehen, das Große im Blick zu behalten, der Verzweiflung keinen Raum zu geben. Aber Anna Teresonok spürt, „dass der Völkerhass jetzt schon sehr groß ist“, und dass auch sie selbst dagegen angehen muss. Bisher war sie immer „die Russin“ für die Deutschen, auch wenn ihre Wurzeln deutlich verzweigter sind. Ein Problem war das für Anna Teresonok aber lange nicht. Der von Russland ausgehende Krieg in der Ukraine und die jahrelange Propaganda aber ändern die Lage. Anna Teresonok merkt, wie sie befangen wird, und doch stemmt sie sich dagegen: „Ich will Russland nicht hassen“, sagt sie.

Unter den anderen Russland-Deutschen in ihrem Umfeld findet sie nicht automatisch Verständnis. Viele zeigten wenig Anteilnahme an dem Schicksal der Ukrainer. Der Einfluss russischer Medien, die aus Heimatverbundenheit auch in Deutschland geschaut werden, bleibt nicht ohne Folgen. Das führe zu Streit, wenn denn überhaupt über Politik gestritten werde.

Im Internet ist das natürlich der Fall, wo der Anbieter Instagram mittlerweile auch als Suchdienst für in den Kämpfen verschollene Kinder oder Hinweise auf Schutzräume dient. Ansonsten ist für Anna Teresonok erschreckend, wie kurz oft gedacht wird: das Bild von den hohen Benzinpreisen als Folge der Krise kommentarlos über Whatsapp im Netz verteilt – wenn einem zu diesem Krieg und Leiden mehr nicht einfällt.

Abgabestellen

Alte Gaststätte neben Elektro Jüdith an der Hauptstraße in Volmarstein Mittwoch und Donnerstag zwischen 16.30 und 20 Uhr.

Abgabe im Parteibüro der Herdecker SPD Donnerstag, 10 bis 13 Uhr, Hauptstraße 44.

Abgabe beim Indance Tanzstudio an der Brückstraße 32 in Dortmund ist Mittwoch 12 bis 19.30 Uhr und Samstag/Sonntag 15.30 bis 19.30 Uhr.