Wetter/Herdecke. Die Bestürzung und das Entsetzen über den Krieg in der Ukraine sind auch in Wetter und Herdecke groß. Sind Feiern und Spaß jetzt tabu?
Es herrscht Krieg in der Ukraine. Der Frieden in Europa ist vorbei. Die Betroffenheit ist auch in Wetter und Herdecke spürbar. Doch wie gehen die Menschen damit um? Entsetzen? Stillstand? Weitermachen? Eine schwierige Situation für alle. Gibt es einen Verhaltenskodex?
Der Wetteraner Stefan Keim ist Schauspieler, Kabarettist und Journalist. Am Freitagabend hat er einen Auftritt mit seinem Kabarettprogramm in Dorsten. Es sollte ein lustiger Abend werden. Peinlichkeiten aus dem Alltagsleben in Keims bekannter, spitzfindiger und wortgewandter Art. Doch vor dem Auftritt kamen ihm Zweifel. Zweifel daran, ob es der richtige Zeitpunkt für einen derartigen Auftritt ist. „Wir haben Krieg. Es fehlen mir die Worte. Und dann spiele ich heute Abend Kabarett in Dorsten. Das passt nicht zusammen“, gibt er seine Gedanken in den sozialen Medien preis. Er habe zwar die eine oder andere Aktualisierung versucht, doch im Kern bleibe es ein lustiges Programm.
„Einfach absagen? Da hängen auch meine Kollegin und der Veranstalter dran. Und eigentlich freuen wir uns darauf, die Show endlich mal wieder zu spielen. Aber heute?“, fragt er sich.
Stefan Keim hadert insbesondere mit dem Format. Wenn er Theater spielen würde, wäre das was anderes. „Da stehe ich dann auf der Bühne und spiele eine Rolle, aber beim Kabarett bin ich in direkter Interaktion mit dem Publikum“, sagt er. „Und ich kann das Kabarett-Programm nicht einfach von jetzt auf gleich umschreiben“, beschreibt er das Problem. „Ich habe keine Ahnung, was ich machen soll. Und das ist natürlich ein lächerliches, winziges Problem im Vergleich zu dem, was gerade viele in der Ukraine erleben“, meint Keim. Er habe bereits mit dem Veranstalter gesprochen und sich mit ihm darauf verständigt, dass dieser ebenso wie Keim im Vorfeld der Veranstaltung einordnende Worte sagt. „Es soll natürlich auch nicht Alibi-mäßig rüberkommen“, sagt der Kabarettist. Auf der anderen Seite hätten die Menschen dafür bezahlt, das Programm zu sehen und kommen aus diesem Grund in das Alte Rathaus von Dorsten.
Den eigenen Weg finden
Solidarität in Wetter und Herdecke
In Wetter und Herdecke gibt es an diesem Wochenende verschiedene Angebote für Menschen, die aufgrund des Krieges zusammen kommen wollen.Am Samstag um 13 Uhr findet eine Mahnwache am Rathaus in Herdecke statt.In Ende ist die Dorfkirche als Ort der Stille am Samstag von 8 bis 15 Uhr geöffnet. Dort können Kerzen angezündet und Gebete gesprochen werden. Am Sonntag gibt es einen Gottesdienst um 10.30 Uhr, bei dem das Friedenslicht entzündet wird. Als Zeichen der Solidarität erstrahlt das Logo der Initiative Wetter Weltoffen in den Farben der Ukraine. Wer ein Zeichen für die vom Kriegsleid betroffenen Ukrainern setzen möchte, kann das Logo auf der Startseite der städtischen Homepage (www.stadt-wetter.de) als Jpg-Datei herunterladen und in den sozialen Medien teilen.
Doch welches Verhalten ist richtig? Gibt es überhaupt ein Richtig oder Falsch? Bernd Becker, ehemaliger Superintendent in Wetter, meint definitiv nicht. „Jeder muss sich selbst überlegen, was er möchte. Ich finde es nicht verwerflich, auch jetzt zu lachen und Spaß zu haben“, sagt er. „Sicherlich ist man bestürzt. Das Sicherheitsgefühl ist angekratzt. Aber all das kann man nicht auf Dauer 24 Stunden am Stück sein. Man muss auch Kraft sammeln“, so Becker. Jeder müsse seinen eigenen Weg finden, damit umzugehen. Gerade auch die Kinder belaste die Situation sehr. „Ich bin froh, wenn meine Tochter, die die Nachrichten natürlich auch verfolgt, drei Stunden Karneval feiern geht und an etwas anderes denkt und Spaß hat. Insbesondere, da auch die Pandemie die Kinder stark belastet“, erklärt er. Da tue Zerstreuung schon gut.
Bernd Becker ärgert sich über die momentane Empörungskultur. „Es gibt nicht den einen richtigen Weg nach dem Motto: Nur so, wie ich lebe, ist es richtig – und was die anderen tun, ist doof. Corona und Krieg sind Ausnahmesituationen, mit denen jeder auf seine Art und Weise umgehen muss“, meint er.
Christliche Sicht
Als ehemaliger Superintendent und Pfarrer hat er natürlich auch eine christliche Ansicht, wie mit Krieg umgegangen werden kann und die Menschen Kraft schöpfen können. „Es gibt eine Reihe von Dingen, die ich tun kann. Beten, dorthin gehen, wo Gleichgesinnte sind, Geld spenden, sich solidarisch erklären, auf die Straße gehen, aber auch gucken, wie friedlich ich eigentlich selbst bin. Wo tue ich etwas für den Frieden in meinem Umfeld“, nennt er Beispiele. Das fange schon beim Streit mit dem Arbeitskollegen oder Nachbarn an. Jeder könne selbst etwas für den Frieden tun, wenn er das will. Wie, das müsse aber jedem selbst überlassen bleiben, meint Becker.