Albringhausen. Wechsel in der Kastanie am Hax in Wetter: Auf Erich Wieners folgt Julia Söhngen. Sie hat viele Ideen und eigentlich noch einen ganz anderen Beruf.

Deutlich länger als ursprünglich gedacht hat Erich Wieners in seiner „Kastanie am Hax“ Gäste bewirtet. Doch nach 32 Jahren, „in der Tat genau mein halbes Leben lang“, will er jetzt einen Schlussstrich ziehen. Das kann er gerade jetzt sehr gut; denn mit Julia Söhngen hat er eine Nachfolgerin gefunden, die „die Institution Kastanie am Hax“ weiter mit Leben füllen wird. „Im selben Stil, aber mit ein paar neuen Ideen“, wie Wieners betont.

Rückblick: Geboren im heutigen Hattingen-Niederwenigern, zog Wieners bereits als Kleinkind mit seiner Familie nach Sprockhövel, wo er auch heute noch lebt. Als gelernter Schriftsetzer arbeitete er zunächst im Druckgewerbe, bevor er sich als Hersteller von Videofilmen verdingte. Er drehte Kurzfilme, Dokumentationen und Musikfilme. „Ich habe auch Hochzeiten gefilmt, aber irgendwann hatte jeder seine eigene Kamera“, so der 64-Jährige. Für den Kurzfilm schlägt sein Herz auch heute noch. Die Drehbücher stammen aus der eigenen Feder, und die Darsteller rekrutiert er oftmals in der „Kastanie“. Auf Festivals in der Lichtburg, in Bochum, Hagen und Karlsruhe waren Wieners Filme schon zu sehen. Das Plakat von „Zur Chronik der Gerlachs“, einem Stummfilm in vier Akten, hängt noch im Gastraum. „Ich versuche, die Ästhetik des Stummfilms in die Moderne zu übertragen“, erklärt Wieners und ergänzt: „Das ist immer auch ein Experimentieren.“ Sein letzter Film „Usher“ nach Edgar Allan Poe soll mit live gespielter Cello-Musik aufgeführt werden. Irgendwann, wenn die Pandemie dies wieder zulässt.

Die „Kastanie am Hax
Die „Kastanie am Hax" von außen. © WP | Elisabeth Semme

1988 kam er in die „Kastanie“, wollte eigentlich nur einen Freund ein bisschen unterstützen. „Aber der ist nach eineinhalb Jahren ausgestiegen, und ich bin immer noch hier“, sagt Erich Wieners. Er veranstaltete Konzerte, bot Bands aus der Umgebung in seiner Kneipe eine Bühne, lud zu Lesungen, Kurzfilmabenden und Ausstellungen ein. „In den ersten Jahren waren Junge und Ältere da. Lange Zeit funktionierte das auch, aber jetzt kommt die Jugend nicht mehr, und die Besucher werden älter“, berichtet der 64-Jährige. Vor drei, vier Jahren änderte er deswegen das Konzept und die Öffnungszeiten. Samstags stand die „Kastanie“ nur noch für geschlossene Gesellschaften, Geburtstage, Jubiläen, Konzerte zur Verfügung – inklusive Bewirtung. „Das wurde gut angenommen und wird auch so bleiben; denn man kann hier feiern, wie man Lust hat und stört niemanden dabei“, sagt der Gastronom und übergibt das Wort seiner Nachfolgerin Julia Söhngen.

Deren Ziel ist es, das alte Publikum zu erhalten und zugleich auch neue, junge Leute anzusprechen. Julia Söhngen, Jahrgang 1972, wuchs in Hiddinghausen auf und wohnt mit ihrer Familie heute noch dort. Nach der Ausbildung zur Krankenschwester absolvierte sie ein Studium der Pflegewissenschaften an der Uni Witten/Herdecke, wo sie auch promovierte. Ihren Beruf will Dr. Julia Söhngen auch weiterhin zu 50 Prozent ausüben: „Ich muss sehen, wie ich das schaffe. Aber ich arbeite gerne in meinem Beruf, und außerdem ist es eine finanzielle Absicherung.“ Die „Kastanie“ ist ihr aus der eigenen Teenagerzeit her vertraut; mit 17 stand sie hier eine Zeit lang hinterm Tresen. „Ich konnte und kann zu Fuß hierhin gehen. Und ich mache das nur, weil ich einen besonderen Bezug den Menschen und zu der Umgebung hier habe“, sagt die 48-Jährige. Als Ausfluss des ersten Lockdowns im Juni habe sie sich mit Erich Wieners zusammengesetzt und festgestellt, dass die Idee immer mehr passte. „Ich bin ja Anfängerin und deswegen sehr froh, dass Erich noch dabei ist“, sagt Julia Söhngen. Erich Wieners schmunzelt und ergänzt: „Also ich gebe die Kastanie zwar offiziell ab, werde aber weiter präsent sowie beratend und mitarbeitend vor Ort sein. Man kann doch sein Baby nicht so einfach aus der Hand geben.“ Für Julia Söhngen ist das wie ein Netz mit doppeltem Boden: „Corona ist dabei der einzige Wermutstropfen; denn Erich war gerade dabei, mich einzuarbeiten, als der neuerliche Lockdown kam.“

Kontrast und Ergänzung

Fest stehe, dass der 48-Jährigen ein Fortbestand der „Kastanie am Hax“ am Herzen liegt und sie die neue Herausforderung „als Kontrast und schöne Ergänzung zu meiner anderen Arbeit“ sieht. „Ich habe das Gefühl, als hätte ich sowas schon immer machen sollen“, sagt sie und schmunzelt. „Für mein Umfeld ist das etwas schwer zu verstehen, aber die ,Kastanie’ ist mir vertraut, ich war all die Jahre immer Gast hier, meine beiden Brüder ebenfalls. Und als meine Kinder, die inzwischen 18 und 15 Jahre alt sind, noch klein waren, da war das hier auch mal ein Ausflugsziel für uns.“

Julia Söhngen, die ab 1. Dezember offiziell Inhaberin der „Kastanie am Hax“ sein wird, will das Traditionslokal auch sonntags wieder besonders für Familien öffnen („mit selbstgebackenen Kuchen“) und auch die kulturellen Angebote ausbauen und intensivieren. „Mein Ziel ist es, wenn alles gut angenommen wird, im Sommer auch noch mittwochs zu öffnen. Das Essensangebot wird gleich bleiben, wobei ich mehr auf regionale Produkte setzen möchte“, freut sich die künftige Gastronomin auf ihren neuen Zweitjob.

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