Herdecke. Dass sie ihre Studios erneut schließen müssen, finden Tätowierer aus Herdecke ungerecht. Esther Bühmann hat nun Klage eingereicht.

Wer bei Tätowierungen an Kirmesboxer oder Seemänner denkt, lebt in der Vergangenheit. Inzwischen gehört der unter die Haut gehende Körperschmuck fast schon zum guten Ton. Ein großer Teil der Deutschen, und dabei vor allem die jungen Erwachsenen, sind tätowiert. Häufig auch mit mehr als einem Tattoo. Ein riesiges Business.

Professionelle Unternehmen

In den letzten Jahren sprießen immer mehr Tattoostudios aus dem Boden. Und dabei handelt es sich nicht um dunkle Kellerräume, sondern um höchst professionelle Unternehmen, die ihre Kunden regelmäßig wegen monatelanger Wartezeiten vertrösten müssen. Die Nachfrage ist schier endlos. In Herdecke und Wetter haben sich gleich fünf Tattoostudios niedergelassen. In Wetter laufen die Maschinen bei „Colours of Crime“ und „Orbit Voodoo“ in zwei Studios. In Herdecke existieren mit „Bee Ink“, „Electric Paradise“ und „Zum Buntspecht“ sogar drei. Auch, wenn sich die Stilrichtungen häufig unterscheiden, in einem gleichen sie sich alle: Sie müssen coronabedingt schließen – erneut. Auch weil Friseure und der Einzelhandel weiter Kunden empfangen dürfen, fühlen sich die Tätowierer ungerecht behandelt. Wir sprachen mit Florian Schmidt-Prospischil von „Electric Paradise Tattoo“ und Esther Bühmann von „Zum Buntspecht Tätowierungen“ über die derzeitige Situation.

Sie müssen wegen des Teil-Lockdowns seit Anfang November ihre Tattoostudios geschlossen halten und dürfen nicht arbeiten. Was machen Sie mit der vielen freien Zeit?

Esther Bühmann Wir versuchen, andere Einkommensquellen zu generieren. Wir malen und zeichnen viel und versuchen, Merchandise oder Prints zu verkaufen. Aber auch nebenberuflich ist vieles nicht möglich. Hobbys unter Coronabedingungen sind schwierig.

Esther Bühmann ist Tätowiererin in Herdecke.
Esther Bühmann ist Tätowiererin in Herdecke. © Privat / WP | Lutz Nickel

Florian Schmidt-Pospischil Ich zeichne auch viel, aber verbringe vor allem mehr Zeit mit meiner Familie. Zusätzlich baue ich Tattoomaschinen. Zwar kauft aktuell kein Tätowierer welche, aber ich baue auf Vorrat. Damit kann ich dann auch unabhängig vom Tätowieren Umsatz generieren.

Warum haben Sie sich damals für den Beruf des/der Tätowierers/Tätowiererin entschieden und wie haben sich die Branche und der Beruf in der Zeit verändert?

Schmidt-Pospischil : Ich mochte das unkonventionelle, die kreative Arbeit und das geschichtsträchtige Handwerk am Tätowieren. Das Unkonventionelle hat sich inzwischen ein wenig verändert. Die Tattoo-Shops haben sich verdreifacht. Es ist sehr beliebt geworden, aber leider auch sehr unübersichtlich.

Bühmann Ich wollte immer etwas Kreatives am Menschen machen. Näheren Kundenkontakt kannst du nicht haben. Tätowieren war lange Zeit böse und irgendwie halblegal. Das hat sich inzwischen aber gedreht. Heute gibt es viele strenge Regelungen und Konventionen. Es ist alles deutlich beliebter geworden und genießt eine große öffentliche Aufmerksamkeit.

Sie mussten bereits Ende März für über zwei Monate schließen. Wie haben Sie diesen ersten Lockdown verkraftet?

Bühmann Ich fand den ersten Lockdown schlimmer als den jetzigen. Alle hatten Angst vor dem unbekannten Virus. Man wusste gar nicht, was auf einen zukommt. Da alles zu hatte, herrschte eine regelrechte Geisterstimmung. Wir können die finanziellen Schäden noch nicht absehen. Es ist nicht klar, ob wir die Soforthilfe zurückzahlen müssen. Im Klartext: Wir wissen nicht, ob wir 9.000 Euro Schulden haben oder nicht.

Schmidt-Prospischil Ich hatte unheimliche Angst. Vor dem Virus, aber auch vor der Zeit danach. Sorgen macht mir aber auch, wie Teile der Gesellschaft mit der Situation umgehen. Es stehen auch viele Jobs auf dem Spiel. Jetzt stellt sich die Frage, was ich mache, wenn ich nicht genug Geld im Laden verdiene. Viele Kunden sind in Kurzarbeit. Eine Tätowierung ist gerade das Letzte, was du wirklich zum Leben brauchst.

Wie empfinden Sie und Ihre Kunden die erneute Schließung?

Schmidt-Prospischil Die Kunden haben inzwischen, wie wir auch, weniger Verständnis. Man sollte schon unterscheiden zwischen Bars und Nagel- oder Tattoostudios: Wenn da 15 Leute am Tresen sitzen, ist eine Übertragung vielleicht leichter als bei uns. Warum Friseure aufhaben dürfen, kann ich auch nicht nachvollziehen. Die müssen sich jetzt erst an Regeln halten, die wir schon jahrelang befolgen.

Bühmann: Unsere Kunden sind bestürzt. Wir Betreiber sind wütend. Die Kunden fühlten sich bei uns sehr sicher. Es gab keine bekannten Ausbrüche in Tattoostudios. Wir haben immer alles dafür getan, hygienisch zu arbeiten, um keine Infektionsketten voranzutreiben.

Was wünschen Sie sich von Seiten der Politik?

Bühmann Jeder möchte, dass die Kurve wieder runtergeht. Es geht auch nicht um den Umsatz. Es geht um die Ungleichbehandlung. Wir möchten, dass die Politik differenzierter an die Sache geht oder aber alle gleichbehandelt, so dass alle schließen müssen. Wir arbeiten schon immer unter strengen Hygienerichtlinien. Das Infektionsrisiko blutübertragbarer Krankheiten liegt bei uns unter 0,01 Prozent – das ist über Krankenhausniveau. Es gibt bei uns auch keine bekannten Corona-Infektionsherde.

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Schmidt-Prospischil Ich stimme Esther Bühmann zu und wünsche mir auch, dass Klarheit über die finanziellen Hilfen herrscht. Da ist vieles sehr unklar. Wir wissen nicht, wie viel Geld wir bekommen bzw. was wir behalten dürfen und was wir zurückzahlen müssen.

Klage beim OVG Münster

Das Unverständnis über die erneute Zwangsschließung ihres Unternehmens veranlasste Esther Bühmann zu einer Klage gegen die derzeitige Verordnung. „Ich fühle mich ungerecht behandelt, und bei der Politik vorsprechen kann ich nicht. Das ist der einzige Weg“, so Bühmann. Im Internet hatte sie sich über die Möglichkeit der Klage schlau gemacht. Und dabei ist sie nicht die einzige Inhaberin eines Tattoostudios, die den Rechtsweg einschlägt: „Mein Anwalt sagte mir, dass bereits andere Tätowierer aus NRW Klage eingereicht haben.“

Urteil lässt auf sich warten

Ihr Anwalt hat in Bühmanns Namen eine Normenkontrolle beim Oberverwaltungsgericht Münster eingereicht. Diese umfasst vor allem drei Bereiche, die geprüft werden: Liegen grundrechtsrelevante Eingriffe vor? Handelt es sich um eine notwendige Maßnahme, die Studios zu schließen? Und,liegt ein Verstoß gegen die Gleichbehandlung vor? Ob die Herdeckerin Erfolg haben wird, steht noch aus. Ihr Anwalt macht ihr jedenfalls Mut: „Mein Anwalt sagt: fifty-fifty. Es gab in Bayern bereits ein Urteil im ersten Lockdown, wo der Tätowierer Recht bekommen hatte.“ Das Urteil wird wegen der vielen Klagen aus anderen Bereichen aber noch eine Weile auf sich warten lassen.