Herdecke/Beirut. Da Marc Schulte aus Herdecke von seiner Bekannten in Beirut das Ausmaß der Katastrophe erfuhr, organisiert er einen Spendenabend am 21. August.

Die Bilder aus Beirut beeindrucken auch Hartgesottene. Bestürzt reagieren vor allem jene, die Kontakte zu Menschen in der zerstörten Stadt haben. So wie Marc Schulte aus Ende, der 2015 die Nepal-Initiative „Herdecke hilft“ gründete. Apropos: Der 47-Jährige lernte bei einer Wanderung in Nepal Ghina El Zibawi kennen. Die lebt im Libanon in jener Hauptstadt, in der zahlreiche Menschen nach den Explosionen starben, Not leiden oder obdachlos sind.

Die Rechtsanwältin selbst entkam nur knapp dem Tod. Sie arbeitete in ihrem Büro in Sodeco (drei Kilometer vom Hafen entfernt), als sie nach den Explosionen beinahe von einer zerberstenden Fensterscheibe erschlagen wurde. „Sie hat großes Glück gehabt“, berichtet Schulte. Ein Kollege von ihr wurde dabei verletzt.

Ghina El Zibawi veröffentlichte nun ein Video: Darin bittet die 30-Jährige sowohl ihre Bekannten wie auch alle Menschen weltweit um Unterstützung für Familien. Sie berichtete Schulte von mehr als 30.000 zerstörten Wohneinheiten in Beirut, mehr als 300.000 Menschen verloren ihr Zuhause. Sie spart nicht mit Kritik an der „korrupten Regierung“ und schildert, wie dramatisch die Lage in den nicht mehr wiederzuerkennenden Straßenzügen Beiruts derzeit ist. „Auch das Gesundheitssystem ist zusammengebrochen. Wir brauchen wirklich umfassend Hilfe.“

Angesichts des schlimmen Schicksals vieler begann der Herdecker, einen Spendenabend zu organisieren. „Als einmalige Aktion“, sein soziales Hauptaugenmerk gilt nach der Beirut-Hilfe dann wieder der Nepal-Unterstützung. Aktuell aber freut sich der 47-Jährige über die Zusage aus dem Zweibrücker Hof, dort im Ruhrfestsaal am Freitag, 21. August, ab 18 Uhr auf die dramatische Situation im Libanon aufmerksam machen zu können.

Wobei die Planungen der Benefizaktion noch weiter laufen. Schulte will zu der Veranstaltung mit freiem Eintritt noch fachkundige Gesprächspartner anlocken, dazu habe er bereits mehrere Leute kontaktiert. In jedem Falle aber stehen die Spendengelder im Vordergrund: „Wir sammeln aber nicht für meine Bekannte, sondern für Notleidende.“ Ghina El Zibawi sei gewissermaßen eine Zwischenstation, um die hoffentlich hohe Summe aus Herdecke dann direkt an Bedürftige weiterzugeben. Sachspenden gehören vorerst nicht dazu.

Geld für Wiederaufbau

Die Anwältin aus Beirut ließ Schulte wissen: „Die Gelder, die gesammelt werden, werden für den Wiederaufbau beschädigter Wohnungen verwendet, damit Menschen, die jetzt keinen Schutz mehr haben, wieder einen Ort finden können, den sie wieder als ein Zuhause ansehen können.“

Schulte hofft einerseits auf Spenden und ermuntert andererseits auch Leute, mit einer Teilnahme am Benefizabend im Zweibrücker Hof etwas Gutes und Solidarisches zu tun. Der Fokus von ihm und seiner Tochter Rebecca bleibe Nepal. „Aber nun geht es darum, unmittelbar im Nahen Osten einem bitterarmen Land zu helfen!“ Weitere Details will der Herdecker bald bekannt geben.

Auch ehemalige Mitarbeiterin der Lokalredaktion vor Ort

Sie saß am Schreibtisch ihrer Wohnung in Beirut und hatte gerade eine Videokonferenz beendet, als es knallte. Scheiben zerbarsten, das Haus bebte. Hanna Voß (29), ehemalige langjährige freie Mitarbeiterin dieser Zeitung und jetzt Redakteurin der TAZ, beschreibt den Moment der gewaltigen Explosion so: „Ich stand da und habe gedacht: Das ist das Ende. Ich war mir sicher, dass das Haus einstürzt. Bilder waren von den Wänden geflogen, Fenster und Türen aus den Angeln gerissen.“

Hanna Voss (29, Redakteurin bei der TAZ und langjährige Mitarbeiterin der Lokalredaktion von Westfalenpost/Westfälischer Rundschau) war zum Zeitpunkt der Explosion in Beirut.
Hanna Voss (29, Redakteurin bei der TAZ und langjährige Mitarbeiterin der Lokalredaktion von Westfalenpost/Westfälischer Rundschau) war zum Zeitpunkt der Explosion in Beirut. © Privat

Nach Minuten der Schockstarre suchte sie ihre Schuhe zwischen den Scherben, nahm ihr Handy und verließ das Haus. Dort traf sie auf Nachbarn, von denen auch keiner wusste, was geschah: „Viele befürchteten, wie ich auch, dass Beirut Ziel eines Bombenangriffs der Israelis geworden war und weitere Einschläge folgen würden.“ Erst etwa 20 Minuten später bekam Hanna Voß den Anruf einer Kollegin, die als Korrespondentin vor Ort in Beirut lebt: „Sie konnte mir schon sagen, dass es kein Angriff war, sondern eine Explosion am Hafen. Erst da wusste ich, dass nichts mehr kommen würde.“

Danach habe sich ein libanesischer Freund am Telefon gemeldet: „Er war ganz in der Nähe und hat sich zu mir durchgeschlagen. Bis meine Familie in Deutschland von dem ganzen etwas mitbekommen hatte, dauerte es bestimmt zwei Stunden. Ich habe die ganze Zeit nur gezittert und konnte gar nicht mehr aufhören.“ Gemeinsam mit dem Freund sei dann zurück in ihre Wohnung im vierten Stock. „Viele haben hier ja schon Krieg miterlebt, aber sie sagen, dass sie so etwas noch nie zuvor gehört haben. Der Strom war dann stundenlang weg, und wir sind später langsam angefangen aufzuräumen. Es gab so viele Tote und Verletzte, und 300.000 Menschen sind jetzt obdachlos. Ich dagegen hatte so viel Glück; denn mir ist nichts passiert, und meine Wohnung ist noch bewohnbar.“

Hintergrund

Hanna Voß hat in einem Telefonat mit der Redaktion am Freitag geschildert, wie sie selbst das dramatische Ereignis in ihrer Wohnung – zwei Kilometer vom Hafen entfernt – erlebt hat. Die 29-Jährige hat einige Jahre für die Lokalredaktion in Wetter und Herdecke gearbeitet, bevor sie 2017 ein Volontariat bei der TAZ absolvierte; seitdem arbeitet sie in Berlin als Redakteurin bei der TAZ am Wochenende. Derzeit versieht sie ihre Aufgaben im Home-Office, das sie Mitte Juli auf eigenen Wunsch nach Beirut verlegte.