Herdecke. Barbara Degenhardt-Schumacher betreut in Herdecke Flüchtlinge beim VCS. Sie wünscht sich mehr Angebote zur Verarbeitung des Schreckens.

Die Heimat haben sie hinter sich gelassen. Die Erinnerung daran nicht. Flüchtlinge tragen die Bilder der Zerstörung, des Verlustes und der Lebensgefahr auf dem Weg unterwegs weiter in den Köpfen. Und werden damit fertig, kommen zunehmend aus dem Takt – oder zerbrechen daran. Barbara Degenhardt-Schumacher kennt den Unterschiedlichen Umgang mit dem Erlebten. Zur ihr kommen viele Flüchtlinge. Und selbst wenn selten jemand von sich aus sagt: Ich brauche Hilfe wegen dieser Bilder. So sieht die Sozialarbeiterin des Vereins für christliche Sozialarbeit (VCS) doch oft Hinweise auf Blockaden, die aus den Erfahrungen der Flüchtlinge erwachsen sein könnten. Was tut sie dann? Und: Reichen die Angebote?

Eine halbe Stelle bekommt der VCS von der Stadt für die soziale Betreuung der Flüchtlinge bezahlt. Um Unterkunft, Kleidung, Möbel, Hausrat oder einen Platz in Schule oder Kindergarten dreht es sich bei dieser „ersten Hilfe“. Manchmal geht es auch um Familienzusammenführung, wenn die Frau noch in der Heimat oder in einer anderen Stadt aufgenommen ist. Gerade hat Barbara Degenhardt-Schumacher da „einen jungen Mann aus Syrien, der seine Eltern nachholen möchte und daran krank wird.“ Wenn es so schlimm ist, weiß die Sozialarbeiterin, dass sie an ihre Grenzen gekommen ist.

In dauerhafter Behandlung

Vieles liegt unter der Oberfläche. Verkapselt. Und tritt plötzlich hervor. Barbara Degenhardt-Schumacher berichtet von einer ehrenamtlichen Helferin, die eine Frau aus Nigeria unvermittelt gefragt hat: „Hast Du eigentlich von Boko Haram etwas mitbekommen?“ Statt einer Auskunft in Worten zu der muslimischen Terror-Gruppe gab es einen Tränenausbruch. „Die Frau war nicht mehr ansprechbar“, erinnert sich Barbara Degenhardt-Schumacher. Heute ist die Nigerianerin in dauerhafter Behandlung. Sie hat sich helfen lassen wollen bei ihrem Trauma. Und sie hat Hilfe gefunden.

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So leidvoll manche Erinnerung auch sein möge: „Das versteckt sich erst einmal“, sagt Barbara Degenhardt-Schumacher und denkt nicht nur an die Flüchtlinge, die in den vergangenen Jahren von Syrien oder Nord-Afrika den Weg nach Deutschland gewählt haben. Die Opfer des 2. Weltkriegs hat sie vor Augen, die Nächte in Bunkern durchwacht oder vergeblich auf die Rückkehr der Väter gewartet haben. Oft erst heute, in den Altenheimen sehe man, wie lange diese Erinnerungen brauchen, um ihre Kapseln im Kopf zu sprengen.

Aber es gibt frühe Anzeichen. Barbara Degenhardt-Schumacher nennt als Beispiel „Antriebsschwäche, die über eine normale Antriebsschwäche hinaus geht.“ Erinnerungen können auch Schatten über aktuelle Beziehungen werfen. Dann zeigt sich Aggressivität nach außen oder Zerstörungswut nach innen.

Die Hürden der Sprache

Wenn die Sozialarbeiterin des VCS solche Auffälligkeiten beobachtet, wenn sie das Gefühl hat, dass die Menschen ihr gegenüber das eigene Leben nicht mehr meistern können, dann dann bietet sie den Kontakt zu professioneller Hilfe an. Oft führt das zu Abwehrreaktionen. Besonders, wenn es um Kinder geht. Dann kommt eine Bitte um Unterstützung für viele Eltern dem Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit gleich.

Und wenn doch Hilfe von außen gewünscht wird? Ziemliche Wartezeiten gebe es im gesamten Psychotherapiebereich, sagt Barbara Degenhardt-Schumacher.

Aber zumindest ein Erstgespräch sei auch bei den Flüchtlingen meist kurzfristig zu vermitteln. Das Angebot für sie sei in den vergangenen Jahren gewachsen, schätzt die Sozialarbeiterin, aber es müssten auch immer mehr Menschen Hilfe in Anspruch nehmen. Bedarf und Angebot seien alles andere als in der Waage. Und dann gibt es auch noch spezielle Anforderungen an die Therapien. „Die meisten Entspannungskurse jedenfalls sind zu deutsch-lastig.“ Die Sprache ist auch ein Problem in den Therapiesitzungen. Über Deutsch und vielleicht noch Englisch reiche sie bei den meisten Therapeuten nicht hinaus. Mit der Sprache ihrer Heimat bleiben sie allein - wie vielfach auch mit den schrecklichen Erfahrungen, die sie dort mit aufgeladen haben.