Wetter/Lünen. Till Deipenwisch leitet die Mädchen-Arrestanstalt Wetter, Niklas Nowatius die für Jungen in Lünen. Sie erkennen Unterschiede und Gemeinsamkeiten.

Offene Sozialstunden, Schulverweigerung oder Straftaten – die Gründe, warum Jugendliche Arresterfahrungen machen, sind vielschichtig. Allerdings gibt es auch in diesem Bereich eine strikte Trennung der Geschlechter: Die Mädchen „sitzen“ in Wetter, die Jungen in Lünen. Im Gespräch äußern sich die Leiter der beiden Arrestanstalten, Till Deipenwisch (Wetter) und Dr. Niklas Nowatius (Lünen), über die „kleinen“ Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Ziele.

Erziehen aber nicht verbiegen

Es geht im Jugendstrafrecht um Erziehung, nicht aber darum, einen Menschen zu verbiegen. Da sind sich die beiden Anstaltsleiter einig. Und darum, den betroffenen Jungen und Mädchen bewusst zu machen, dass einzig und allein ihr eigenes Handeln Grund dafür ist, dass sie bis zu vier Wochen Arrest verbüßen. Seit den 40er-Jahren gibt es in Deutschland den Arrest, 1953 wurde die Anstalt in Wetter eröffnet, 16 Jahre später die in Lünen. Tatsächlich existiert in NRW eine Einrichtung für die weiblichen Jugendlichen. Für den Arrest der Jungen stehen indes vier Anstalten zur Verfügung. Und an dieser Stelle lohnt das Nachhaken.

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Dr. Niklas Nowatius bestätigt, dass „viel mehr“ Jungen als Mädchen Arrest verbüßen müssen, schätzt das Verhältnis auf etwa eins zu neun. Allerdings, wenn Mädchen Straftaten begehen, gibt es bei den Delikten mittlerweile keine großen geschlechtsspezifischen Präferenzen mehr. Konkret: Auch junge Frauen schlagen zu, beteiligen sich an Raubüberfällen oder Einbrüchen. Wobei bei der Anzahl der Arreste in beiden Anstalten ein leichter Rückgang zu verzeichnen ist.

Soziale Kontrolle

Mit etwa 700 verbüßten Arresten im Jahr 2019 herrscht auch an dieser Stelle ein Gleichgewicht. In Wetter gibt es 27 Plätze, in Lünen sind es 41. Eine Gemeinsamkeit: Sowohl die Mädchen als auch die Jungen verbüßen ihre Zeit lieber in Arresträumen, in denen sie nicht alleine sind. Ein „Bettnachbar“ macht das Ganze offenbar erträglicher. Und gerade bei Erkrankungen oder auch Suchtproblemen, darauf weist Anstaltsleiter Till Deipenwisch hin, kann dann so etwas wie eine „Sozialkontrolle“ entstehen.

Die Arrestanten achten aufeinander, tragen Verantwortung und spüren vielleicht zum ersten Mal, was es bedeutet, Rücksicht zu nehmen. Auch treten die Jugendlichen in beiden Anstalten den Arrest zum Großteil freiwillig an, wobei eine gewisse Tendenz zu verzeichnen ist, dass die Zuverlässigkeit seit einiger Zeit abnimmt, Arrestanten dann von der Polizei gebracht werden müssen. Die Mädchen sind im Durchschnitt etwa 17,6 und die Jungen etwa 18 Jahre alt. Bei beiden Geschlechtern liegt die Quote derer, die noch keinen Schulabschluss erreicht haben, bei etwa 65 Prozent.

Ein Unterschied zwischen Lünen und Wetter: Rund 65 Prozent der Mädchen treten den Arrest an, weil sie Auflagen wie Sozialstunden nicht erfüllt haben. Bei den Jungen gibt es zum Großteil Arreste, die direkt im Urteil ausgesprochen werden. Auch ist der Anteil derer, die nicht zum ersten Mal verbüßen, bei den jungen Frauen höher als bei den jungen Männern. Schulische Probleme, Drogen und ein schlechtes soziales Umfeld sind bei beiden Geschlechtern oftmals der Hintergrund.

Jugendarrest in NRW

Insgesamt gibt es in Nordrhein-Westfalen fünf Arrestanstalten. Neben Wetter und Lünen sind die Standorte Bottrop, Düsseldorf und Remscheid.

Es gibt verschiedene Formen des Jugendarrestes: Freizeitarrest (ein oder zwei Wochenenden), Kurzarrest (zwei bis vier zusammenhängende Tage), Dauerarrest (bis zu vier Wochen) oder Warnschussarrest (Ergänzung Bewährungsstrafe).

In einem Punkt sind sich die beiden Anstaltsleiter, die gleichzeitig auch Direktoren der Amtsgerichte vor Ort sind, einig. Dr. Niklas Nowatius bringt es auf den Punkt: „Die Wurzel allen Übels liegt in erzieherischen Defiziten.“ Sein Kollege Till Deipenwisch fügt hinzu: „Die Jugendlichen sollen lernen, dass man auch kämpfen oder sich anzustrengen muss, um Ziele zu erreichen. Oft fehlen ihnen Vorbilder.“ Und genau das funktioniert im besten Fall bereits während des Arrests, wenn, wie Deipenwisch beschreibt, Ältere den Jüngeren am Ende Ratschläge geben – beispielsweise in puncto Schulabschluss. „Da hat man schon den Eindruck, dass an der ein oder anderen Stelle ein Umdenken bewirkt werden konnte“, so der Wetteraner Anstaltsleiter.

Generell, so kristallisiert sich beim Gespräch heraus, schätzen die Mädchen die Gemeinschaft, die Jungen legen mehr Wert darauf, ihre Ruhe zu haben. Bei beiden Geschlechtern sind kleinere Konflikte an der Tagesordnung. Eskalationen gibt es nicht, da die jeweils rund 25 Mitarbeiter schnell reagieren und Streithähne zur Not voneinander trennen. Bereits beim Antritt, das eint beide Anstalten, erleben die Arrestanten regelmäßig böse Überraschungen. Kosmetik, Handys, Zigaretten und Feuerzeuge werden konfisziert.

Täuschungsversuche vor Arrest

Dr. Niklas Nowatius erläutert dazu: „Nichts, womit man gefährlichen Unfug machen kann.“ Flucht oder Befreiungsversuche gibt es nicht. Vielmehr, das berichten beide Leiter, versuchen die Mädchen und Jungen entweder bereits im Vorfeld oder mittendrin dem Arrest doch noch zu entgehen. Sie täuschen einen neuen Job, wichtige Schulangelegenheiten oder auch Krankheiten vor.

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Dr. Niklas Nowatius und Till Deipenwisch schätzen die Aufgabe und Herausforderung als Anstaltsleiter neben der Verwaltung der jeweiligen Amtsgerichte. Und dabei geht es ihnen nicht darum, die Mädchen und Jungen lediglich einzusperren. Sie wollen in der kurzen Zeit, die ihnen zur Verfügung steht, auch Impulse setzen und dabei helfen, Probleme zu sehen, Lösungen zu finden. „Defizite erkennen, dann kann man auch lernen“, formuliert es Nowatius. Und dabei gehe es im Arrest auch darum, vielleicht zum ersten Mal im Leben Struktur zu erfahren.