Hagen. NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider sieht nur eine Chance, Langzeitarbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt zurückzuholen: “Qualifizieren, qualifizieren, qualifizieren!“ Auch den Fachkräftemangel in den Bereichen Medizin und Pflege möchte Schneider bekämpfen - mit Zuwanderung!

NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider will Studienabbrecher im Handwerk unterbringen, um dem dort drohenden Fachkräftemangel vorzubeugen. Im Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit setzt der SPD-Politiker auf die Hilfe des Bundes.

Wir haben den Eindruck: Es fehlt in der Landespolitik die große Richtung, die Orientierung. Wo will diese Landesregierung hin?

Guntram Schneider: Die Zielsetzung dieser Regierung ist Chancengleichheit und eine vorbeugende Politik, die Prävention in allen Bereichen. Wir investieren vor allem in Bildung und in die Integration in den Arbeitsmarkt. Einer meiner Schwerpunkte ist zum Beispiel das Landesprogramm „Kein Abschluss ohne Anschluss“. Wir haben eine systematische Berufsorientierung an allen Schulformen ab der 8. Klasse eingeführt. Das ist eine echte Verbesserung bei der Berufsfindung und eine Stärkung der Themen Wirtschaft und Arbeitswelt im Schulunterricht. Zweites wichtiges Thema ist die Infrastruktur. Wir haben das Programm Sozialer Arbeitsmarkt eingeführt, um Langzeitarbeitslose zu qualifizieren. Das muss ausgebaut werden. Da haben wir riesigen Nachholbedarf, den wir nicht allein mit landespolitischen Mitteln decken können. Da bedarf es der Hilfestellung des Bundes.

Auf welchem Weg?

Schneider: Wir haben in NRW 330.000 Langzeitarbeitslose, die länger als ein Jahr, teilweise über fünf Jahre arbeitslos sind. Davon haben 60 Prozent keine berufliche Qualifizierung. Das ist Folge der Strukturbrüche in diesem Land. Die einzige Chance, die Politik hier hat, ist: qualifizieren, qualifizieren, qualifizieren. Aber ein Teil dieser Arbeitslosen wird den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt nicht schaffen. Einige haben neben geringer Qualifikation noch weitere Hemmnisse, Sucht etwa oder Schulden.

Was kann man da machen?

Schneider: Genau dafür haben wir das Konzept des sozialen Arbeitsmarktes entwickelt. Wir haben in dem Programm – über den Europäischen Sozialfonds finanziert – 1200 Leute, das ist nur ein bescheidener Anfang. Aber es kostet zurzeit rund 15 Millionen Euro, ist also nicht billig. Der Bund legt nun ein Programm für 30.000 Menschen auf, das ausgeweitet werden soll auf 100.000. NRW muss da an erster Stelle berücksichtigt werden, denn kein anderes Bundesland muss derartige Strukturbrüche stemmen wie wir.

Konkurrenz für den ersten Arbeitsmarkt befürchten Sie nicht? 

Schneider: Nein, ich sehe keine Konkurrenz zu privaten Firmen. Wir konzentrieren uns auf die Förderung von Beschäftigungsmöglichkeiten im Non-Profit-Bereich: bei Wohlfahrtsverbänden, bei Initiativen. Natürlich kommt dann immer der Garten- und Landschaftsbau. Dann sage ich: Stellt Ihr doch die Leute ein! Wir helfen bei der Integration, der Qualifizierung. Wir können diese Menschen nicht hängen lassen, und wir wollen nicht, dass sie über Jahrzehnte von Transferleistungen leben. Das ist unwürdig, und es ist teuer.

Auf der anderen Seite haben wir in Teilen des Sauerlandes Vollbeschäftigung. Ist Arbeitsmigration eine Antwort auf dieses Problem?

Schneider: Wir haben keinen flächendeckenden Fachkräftemangel, aber in einigen Regionen des Landes – etwa in Teilen der Industrieregion Südwestfalen. Flächendeckend ist der Fachkräftemangel in einigen Berufen, etwa in der Pflege und in der Medizin. Da wird schon versucht, das Problem über Arbeitsmigration zu lösen. Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein: Wenn wir die Eliten aus anderen Ländern abschöpfen, müssen wir dafür bezahlen. In Rumänien stehen die ersten Krankenhäuser vor der Schließung, weil die Ärzte fehlen.

Was also tun?

Schneider: Wir müssen noch mehr machen in der Dualen Berufsausbildung. Bei der Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge sehen wir im Bereich Metall und Elektro, in einem industriellen Kernbereich, einen Rückgang von zehn Prozent. Machen die Unternehmen das zwei, drei Jahre lang, haben wir ein echtes Problem. Der Fachkräftemangel in der Industrie wird weniger bei den Akademikern stattfinden als vielmehr im Mittelbau, bei Meistern, Technikern und qualifizierten Facharbeitern. Hier haben wir ein Fachkräfteprogramm aufgelegt über die Kammern, die eigene Projekte entwickelt haben; wir unterstützen diese zu 50 Prozent.

Können Sie Beispiele nennen?

Schneider: Da gibt es einen interessanten Ansatz bei den Studienabbrechern. Es gibt insbesondere in den Naturwissenschaften und bei den Ingenieuren erhebliche Abbrecherquoten, bei den Maschinenbauern bis zu 50 Prozent. Das Handwerk und andere Träger bieten diesen Leuten eine verkürzte Berufsausbildung und sofort anschließend eine Meisterausbildung an. Dann sind die Leute in fünf Jahren Industrie- oder Handwerksmeister, haben sichere Jobs, können vielleicht sogar Firmen übernehmen.

Zur Integration ...

Schneider: Bislang hat das in NRW ganz gut geklappt. Wir haben zum Beispiel bei den Türkischstämmigen inzwischen eine Hochschulzugangsquote von 33 Prozent.

Und die Probleme?

Schneider: Wir erleben einen Zuzug aus Rumänien und Bulgarien, wo die Hälfte der Zuwanderer teils hochqualifiziert ist, aber die andere Hälfte teils gar nicht. Und das ist ein Problem für die Kommunen, auf die sich diese Zuwanderung konzentriert. Diese Menschen sind aber bildungsbereit und lernfähig, wir müssen sie nur adäquat ansprechen. Da tun wir schon einiges: Wir haben ein Landesprogramm in Höhe von 7,5 Millionen Euro pro Jahr aufgelegt und wollen damit diese Menschen für den Arbeitsmarkt qualifizieren. Für eine bessere Integration fördern wir die Öffnung der Verwaltungen für Beschäftigte mit Migrationshintergrund, Stadtteilmütter und Integrationslotsen. Aber wir können das nicht auf die Schnelle lösen.

Zum Mindestlohn: Vernichtet der nicht ausgerechnet die Jobs für Ungelernte?

Schneider: Nein, das ist nicht so. 8,50 Euro ist die absolute Untergrenze. Zwei-, dreihundert Euro mehr als Hartz IV, brutto. Das ist Hartz IV de Luxe. Die Alternative wäre doch, dass wir Löhne dauerhaft staatlich subventionieren.