Hagen. Geschichte wiederholt sich – kann dieser Satz nur eine Phrase sein? Nicht, wenn es nach den Mummers geht. Andreas und seine Frau Laura aus Costa Rica sind durch den WM-Titel der deutschen Elf 1990 zusammen geführt worden. Vom Schicksal, so glauben sie: Die ganze Geschichte einer märchenhaften Liebe.
Jetzt ist alles klar. Wir werden Weltmeister. Weil es so sein soll. Und weil in Delstern ein Paar lebt, gegen das alle WM-Orakel, die die Medienwelt bei den letzten Turnieren aus dem Hut gezaubert hat, wie windige Hütchenspieler aussehen. Ein Flirt in der transsibirischen Eisenbahn, ein Weltmeister-Liebes-Telegramm aus St. Petersburg, der WM-Titel 1990. Liebe Geschichte, wenn du auch nur annähernd etwas für Romantik, Schicksal und Aberglauben übrig hast, dann wiederhole dich gefälligst. Hörst du? Wiederhole dich.
Die Mummers haben uns eine Mail geschrieben. Schöne Seite hätten wir da neulich veröffentlicht mit Hagens Bürgern aus WM-Nationen. Aber wieso, bitteschön, tauche Costa Rica darauf nicht auf? Wir waren verdutzt, kramten noch mal die Statistik hervor, aus der wir geschöpft hatten. „Costa Rica: kein Bürger“ stand da. Doch die Statistik irrt sich. „Ich lebe seit 20 Jahren in Hagen. Ich komme aus Costa Rica. Ich bin ein Tico“, schrieb uns Laura Mummer. Als wir sie anriefen und sie begann, ihre Geschichte zu erzählen, war schnell klar: Machen Sie mal einen Kaffee, Frau Mummer. Wir kommen vorbei.
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1990: Der Hagener Andreas Mummer ist damals 27. Er zieht los. Weil er die Welt sehen will. Weil er sich frei fühlt. Mit einem Rucksack geht’s nach China. Als sein Rundtrip sich dort dem Ende entgegen neigt, will er die transsibirische Eisenbahn von Peking nach Moskau nehmen, um später nach Berlin weiterzureisen. Für seine Fahrt durch die Mongolei, die Sowjetunion und Polen benötigt er Visa. Er betritt für eines der Papiere also die mongolische Botschaft.
Erstes Treffen in der Botschaft
Noch mal 1990. Exakt zur gleichen Zeit: Laura Mummer, die damals noch Ruiz heißt, kommt aus Costa Rica und studiert in Russland Blindenpädagogik. Das Studium ist vorüber. Und weil sie jung und abenteuerlustig ist, will sie noch eine Reise machen, bevor es nach Costa Rica zurückgeht. Sie will nach St. Petersburg. Auch sie betritt die mongolische Botschaft wegen eines Visums.
Zack. So kann das kommen. Ein Hagener und eine Costa Ricanerin in der mongolischen Botschaft in Peking. Sie flirten. Sie finden sich sympathisch. Zwei Tage später treffen sie sich in der transsibirischen Eisenbahn wieder. Der Flirt geht weiter. In Moskau steigen sie aus. Sie gehen feiern. Sie machen die Nacht zum Tag. Der Dreher aus Hagen und die Blindenpädagogin aus Costa Rica. Danach fährt er weiter nach Berlin. Sie nach Petersburg. Ihre Wege trennen sich.
„Ja und dann“, fängt Andreas Mummer an zu erzählen, „dann kommt dieses Telegramm.“ Liebe Geschichte, hör jetzt genau zu. Vier Tage später, am 8. Juli 1990, schlägt Deutschland Argentinien im Finale der Weltmeisterschaft in Italien. 1:0 für Beckenbauers Männer. In Petersburg schickt Laura Ruiz ein Telegramm an ihren Flirt aus der transsibirischen Eisenbahn. „Gratuliere zum Sieg im Fußball. Ich bin krank, habe Windpocken. Wenn ich gesund bin, dann komme ich zu dir.“
Erst zwei Jahre Costa Rica, dann 20 Jahre Hagen
Das Telegramm liegt bei unserem Besuch auf dem Tisch. 24 Jahre später sind Andreas und seine Laura immer noch zusammen. Verheiratet. Drei Kinder. Sie leben in Hagen, waren zwei Jahre lang gemeinsam in Costa Rica. Er ist immer noch Dreher, sie gibt Spanischkurse an der VHS. „Und wir sitzen gemeinsam vor dem Fernseher und haben irgendwie das Gefühl, dass sich etwas wiederholen könnte“, sagt Andreas Mummer. Er deutet auf das Telegramm von 1990.
Die „Ticos“, diese tapferen Costa Ricaner, haben die ganze Welt überrascht. Sie heißen „Ticos“, weil dieser Begriff auf ihren Hang zur Verniedlichung hindeutet. Sie trinken keinen Kaffee, sondern Käffchen. Sie fahren nicht Auto, sondern Autochen. Und selbst wenn ihnen der ganz große Wurf gelingen sollte, haben sie wahrscheinlich keinen Titel, sondern ein Titelchen geholt. „So sind wir. Einfache Leute, stolz auf unser Land. In Costa Rica herrscht Ausnahmezustand“, sagt Laura Mummer. Am morgigen Sonntag spielen sie im Achtelfinale gegen Griechenland. Gänsehaut in Costa Rica.
Ein Wink des Schicksals
Und auch Laura Mummer deutet auf die Parallelen. 1990 schaffte es Costa Rica ebenfalls zur WM. Auch da schrieben die Zeitung verwundert auf, welch tolle „Fußballerchen“ die „Ticos“ haben. Denn: Sie schafften es auch dort ins Achtelfinale. „Und wir haben den Titel damals in Italien geholt“, sagt ihr Mann, „und Costa Rica hat Italien ja jetzt quasi nach Hause geschickt.“ Und die Liebe? „Ja, die ist noch da“, sagt Laura Mummer mit einem Lächeln, das einen irgendwie nach Costa Rica einladen will.
Sie deuten beide noch mal auf das Telegramm. Wenn Sonntagabend die Costa-Rica-Hymne ertönt, wird Laura Mummer den Fernseher wieder lauter drehen und die Tränchen werden rollen. Weil sie so endlos stolz auf ihre „Ticos“ ist. Weil die Welt über dieses Vier-Millionen-Einwohner-Land spricht. Und wir werden eines wissen: Wenn die Costa Ricaner, so wie 1990, im Achtelfinale ausscheiden sollten, dann fliegt Deutschland zum Titel. Pardon: Titelchen.
Geschichte wiederholt sich. Wir glauben da jetzt einfach mal dran. Und wenn es so kommt, wollen wir ein Telegramm von Laura Mummer haben.