Hagen. Mittelfristig könnte Deutschland „ein ernsthaftes Problem mit der Versorgungssicherheit bekommen“, warnt NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD). Der Betrieb von Kohle- und Gaskraftwerken sorgt bei vielen Stadtwerken für Verluste. Enervie aus Hagen will abschalten – muss aber noch warten.

Es ist eine Entscheidung mit Signalwirkung: Der kommunale Energieversorger Enervie aus Hagen will seine Steinkohle- und Gaskraftwerke in absehbarer Zeit vollständig stilllegen. Wie das Unternehmen am Donnerstag mitteilte, hat der Vorstand einen entsprechenden Grundsatzbeschluss gefasst. Angesichts der Folgen der Energiewende sei ein „wirtschaftlicher Betrieb“ der Anlagen dauerhaft nicht möglich, hieß es.

Der rasante Aufschwung der erneuerbaren Energien wird für viele Stadtwerke zum Problem – gerade im Ruhrgebiet, wo zahlreiche kommunale Betriebe an Kohlekraftwerken beteiligt sind. Weil die eigenen Anlagen immer seltener laufen, fallen zunehmend Verluste an. Die Lage sei „besorgniserregend“, heißt es beim Verband kommunaler Unternehmen (VKU).

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Beispiel Enervie: Hier sind allein im vergangenen Jahr durch die Kohle- und Gaskraftwerke Defizite in Höhe von rund 50 Millionen Euro entstanden. Mit dem Stilllegungsbeschluss könnten bis zu 400 Arbeitsplätze bedroht sein.

Hinter dem Kürzel Enervie verbirgt sich die ehemalige Südwestfalen Energie und Wasser AG. Größte Eigentümer sind die Städte Hagen (etwa 42 Prozent) und Lüdenscheid (24 Prozent) sowie der Essener Konzern RWE (19 Prozent). Das RWE-Paket wird womöglich bald von der aufstrebenden Remondis-Gruppe übernommen.

„Innerhalb von 24 Stunden ein Blackout in Südwestfalen“

Bereits im September 2013 hatte Enervie-Vorstand Ivo Grünhagen eine komplette Stilllegung des Kraftwerksparks bei der zuständigen Netzagentur angemeldet und damit bundesweit für Aufsehen gesorgt. „Wenn wir unsere Kraftwerke nicht betreiben, gehen wir davon aus, dass Südwestfalen innerhalb von 24 Stunden einen Blackout erlebt“, ließ sich Grünhagen zitieren. Der Enervie-Kraftwerkspark verfügt über eine Leistung von rund 1500 Megawatt, was mit der Kapazität eines großen Atomkraftwerks vergleichbar ist.

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Die Lichter dürften in Hagen aber wohl kaum ausgehen. Die Netzagentur kann Energieversorgern Stilllegungen verbieten, wenn Kraftwerke systemrelevant sind. „Aufgrund der Insellage des Stromnetzes in Südwestfalen werden die Kraftwerke zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit dringend benötigt“, heißt es bei Enervie. Die Anlagen dürfen demnach erst in den Jahren 2020 bis 2022 vom Netz gehen. Strittig sei noch, wer bis dahin die Kosten tragen muss. Enervie sieht den Netzbetreiber Amprion in der Pflicht, eine sichere Stromversorgung zu gewährleisten. Es läuft ein sogenannter „Missbrauchsantrag“ von Enervie gegen Amprion bei der Bundesnetzagentur.

Wirtschaftsminister Garrelt Duin zeigt sich besorgt

Auch NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) äußerte sich besorgt. „Die Situation von Enervie ist nicht untypisch für die konventionellen Kraftwerke in Deutschland“, sagte Duin dieser Zeitung. „Ohne eine Anpassung des Strommarktes an die veränderten Bedingungen der Energiewende werden wir mittelfristig ein ernsthaftes Problem mit der Versorgungssicherheit in Deutschland bekommen.“ Nötig seien moderne Kraftwerke als Ergänzung zu den erneuerbaren Energien.

Mit Vertretern von Enervie, Amprion und der Netzagentur will das Ministerium am kommenden Montag über die Lage beim Hagener Energieversorger beraten. Doch das Problem ist grundsätzlicher Art. In zahlreichen Ruhrgebietskommunen drohen Löcher in Bilanzen der Stadtwerke. Ein Beispiel liefert das verlustreiche Kohlekraftwerksprojekt Gekko in Hamm, an dem unter anderem die Stadtwerke aus Bochum und Dortmund beteiligt sind.