Hagen. . Das Hagener Theater hat mit seinem Ballett-Ensemble ein ausgesprochen ambitioniertes Tanzprojekt realisiert. Chefchoreograf Ricardo Fernando und die Dramaturgin Maria Hilchenbach wurden mit ihrem Team bei der Uraufführung vom Publikum begeistert gefeiert.

Das zeitgleiche Fußball-Pokal-Endspiel riss erwartungsgemäß markante Lücken in die Zuschauerreihen der Hagener Ballett-Premiere. Und das war ebenso nachvollziehbar wie bedauerlich. Denn die Uraufführung des Tanz-Projekts „Der Schrank der Georgi“ hätte wahrlich ein ausverkauftes Haus verdient. Die, die gekommen waren, ließen jedenfalls nach gut zweieinhalb Stunden Aufführungsdauer ihrer schier grenzenlosen Begeisterung hör- und sichtbar freien Lauf.

„Der Schrank der Georgi“ ist im besten Sinne ein multimediales Spektakel. Es zeichnet in vielschichtiger Weise das bis in die Gegenwart stilbildende Wirken der weltberühmten Tänzerin und Choreographin Yvonne Georgi (1903-1975) nach. Hagens Ballett-Chef Ricardo Fernando hat seinerseits eine in höchstem Maße einfühlsame Choreographie entworfen, die den Georgi-Vorgaben respektvoll nachspürt, zugleich aber auch das Überkommene in die unmittelbare Moderne tradiert.

Kongeniale Dramaturgie

Maria Hilchenbach hat dazu eine Dramaturgie entwickelt, die als durchaus kongenial gelten kann. Die sorgfältig entworfenen Kostüme von Rosa Ana Chanza und die flexiblen Kulissen von Peer Palmowski tragen ihr Übriges zum gelungenen Gesamteindruck bei. In den sich natürlich die Hagener Tänzerinnen und Tänzer einmal mehr auf großartige, mitreißende Weise regelrecht einzubetten verstehen. Die Live-Musik des Philharmonischen Orchesters unter der Leitung von David Marlow gerät dabei nicht nur zur akustischen Begleitung, sondern setzt selbst tragende Akzente innerhalb des Gesamtgeschehens.

Das wiederum fügt sich im Hintergrund aus bühnengroßen Fotografien, Filmen und Animationen, aus Spiegelwendungen, Lichteffekten und dosierten Überraschungen, wie beispielsweise einem gewaltigen Grashaufen, der plötzlich vom Himmel fällt oder auch schwebenden Kisten, in denen Tänzer ihrem Auftritt entgegen gleiten.

So gerät der Abend zu einer allumfassenden Kunstperformance. Eine Verbeugung vor Yvonne Georgi und ihrem tanzpädagogischen Vermächtnis. Die Inszenierung schlüsselt dies sinnfällig durch das Bild eines Schranks auf, der als Aufbewahrungsort offensichtlich wirklich existiert hat und dessen materieller wie aber auch vor allem ideeller Inhalt Szene für Szene als Konzept vorgestellt wird.

Es soll angesichts dieses betörenden Projekts kein individuelles Ensemble-Mitglied hervorgehoben werden; hier gilt es vielmehr, die Compagnie in ihrer geschlossenen Gesamtheit zu würdigen, besser noch: zu rühmen.

Das Erbe in Ehren gehalten

Der Wechsel und das Miteinander von klassischem und modernem Ballett stand nicht in Konkurrenz, sondern in jeweiliger Ergänzung nebeneinander. Eindringlich poesievolle Texte von Friedrich Rasche (1900-1965) wurden auf intensivste Weise vertanzt. Aus Worten formte sich Bewegung, aus Musik entsprangen Gestik und Formen. Immer neue Schätze förderte der Schrank der Georgi bei seiner Begutachtung zutage; das Hagener Verdienst kann dafür gar nicht hoch genug anerkannt werden.

Komplexer und historisch tiefgreifender hat es wohl noch keinen Ballett-Abend an der Volme gegeben. Eine stoffliche Durchdringung wurde buchstäblich mit allen Mitteln der heute zur Verfügung stehenden Kunst (und auch der Technik) wundervoll umgesetzt. Alle daran Beteiligten dürfen sicher sein, dass Yvonne Georgi davon zutiefst berührt gewesen wäre. Ihr Erbe ist in Ehren gehalten und zu neuen Ufern geführt worden.